Alltagskultur in Bayern im frühen 20. Jahrhundert: Die „Rundfrage“ des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde, 1908/09

Der „Bayerische Verein für Volkskunst und Volkskunde in München“ führte in den Jahren 1908/09 unter der Leitung des Germanisten Friedrich von der Leyen (1873–1966) und des Volkskundlers Adolf Spamer (1883–1953) eine „Rundfrage“ durch. Diese erste große volkskundliche Erhebung in Bayern im 20. Jahrhundert steht zeitlich zwischen den Physikatsberichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und den Fragebogen des Atlas der Deutschen Volkskunde (1928–1935). Für die Umfrage erstellte man einen Fragenkatalog zu den Themenbereichen 1. Sitte und Brauch, 2. Nahrung und Kleidung, Wohnung und Gerät, 3. Glaube und Sage, 4. Volksdichtung und 5. Mundart, der rund 400 Einzelfragen enthält. Mit ihnen sollten materielle und immaterielle Aspekte des Alltagslebens sowie Glaubens- und Wertvorstellungen der breiten Bevölkerung ermittelt werden.

Die Umfrage ging an alle bayerischen Bezirksämter, die sie wiederum an Lehrer, Geistliche, Bürgermeister oder andere Gewährsleute zur Beantwortung weiterleiteten. Diese sandten ihre Schreiben an den Verein zurück. Am Institut für Volkskunde sind heute noch die Antworten aus 598 Orten in Bayern und der damals Bayerischen Pfalz vorhanden. Sie sind jeweils im Umfang verschieden und reichen von nur wenigen Zeilen bis zu ausführlichen vielseitigen Berichten. Im Detail sind die Fragebogen individuell unterschiedlich beantwortet: manche gehen nur auf einzelne Aspekte ein, andere bieten umfassende Darstellungen. Es handelt sich um etwa 6.700 handschriftliche Textseiten, die einen singulären Bestand darstellen. Bereits ab 1909 wertete man die Zuschriften thematisch aus und verzettelte sie nach Sachkategorien; 27.670 Auswertungsseiten haben sich erhalten.

Jede einzelne Zuschrift spiegelt Kenntnisse, Interessen, Engagement und Vorverständnis ihres meist männlichen Autors wider: Alltag kann so als kulturelle Praktiken und Lebensformen aufgefasst sein oder als magisch-religiöse Vorstellungen und Erzählungen; Alltagskultur kann sich auf ihre Gegenwart beziehen oder auf eine nicht näher bestimmte Vergangenheit; die Bevölkerung kann sozial homogenisierend verstanden oder nach sozialer Zugehörigkeit, Geschlecht oder Religion differenziert sein. Für eine historisch angemessene Beurteilung der Texte sind entsprechende quellenkritische Fragen daher unabdingbar. Der gesamte Bestand wird erschlossen auf bavarikon präsentiert.

Die Teilsammlungen der "Rundfrage" des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde in bavarikon

>> Diese Sammlung ist ein Bestand des Instituts für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.