Byzantinisches Knochenplättchen mit Herakles - Herakles im Frauenkloster

Archäologische Staatssammlung München

Beschreibung

Bei Ausgrabungen 1984 im Klausurbereich des Benediktinerinnenkonvents auf der Fraueninsel im Chiemsee wurde ein verziertes Beinplättchen gefunden: Ein stattlicher, bärtiger Mann sitzt nackt auf einem Korb und stützt den Kopf nachdenklich mit der linken Hand ab. Das darüber gebreitete Löwenfell macht nach antiker Bildtradition deutlich, dass es sich um eine Darstellung des antiken Heros Herkules handelt. Eine Herkulesstatue in ähnlicher Haltung stand seit 325 im Hippodrom von Konstantinopel und wurde erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts eingeschmolzen. Die zwölf heroischen Taten des Herkules – unsere Darstellung zeigt ihn wahrscheinlich nach dem Ausmisten des Augiasstalles – wurden im Hohen Mittelalter in Konstantinopel gerne in flache Knochenplättchen geschnitzt, die als Verkleidung von Holzkästchen dienten. Solche Kästchen gelangten auch in den Raum nördlich der Alpen, wo sie in einiger Anzahl komplett in Kirchenschätzen erhalten blieben, da sie als Reliquienbehältnisse genutzt wurden. Vielleicht kam ein solches Kästchen über den Salzburger Erzbischof Gerhard, zu dessen Territorium das Kloster gehörte und der sich 1074 in Konstantinopel aufgehalten hatte, nach Frauenchiemsee. Oder eine vornehme Dame brachte ihr kostbares byzantinisches Schmuckkästchen beim Eintritt in den Konvent mit. Nach mittelalterlicher Gewohnheit hätte sie hier auch nicht auf ihren wertvollen Schmuck verzichten müssen.

Autor

Archäologische Staatssammlung München

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