Beschreibung
Bei Ausgrabungen im römischen Limeskastell von Obernburg am Main kamen 1996 einige Glasscherben einer kostbaren spätantiken Trinkschale zum Vorschein. Die Entdeckung überrascht, da zum Zeitpunkt, als das Gefäß benutzt wurde, das Kastell längst von den Truppen verlassen war. Die rechtsrheinischen Besitzungen Roms gehörten seit rund 150 Jahren nicht mehr zum Römischen Reich. Der Fund an dieser Stelle erklärt sich am wahrscheinlichsten durch ein militärisches Sonderkommando, das zur Beschaffung von Baumaterial für die Befestigung der Rheingrenze gesandt worden war und in der Ruine des Obernburger Lagers kampierte. Die flachgewölbte Schale ist in drei Zonen ganzflächig mit eingeschliffenen Szenen aus dem Neuen und Alten Testament verziert. Vom obersten Abschnitt ist an zentraler Stelle Christus erhalten, der von Petrus und Paulus flankiert wird. Es handelt sich um das in der frühchristlichen Kunst häufig dargestellte traditio-legis-Motiv: Christus übergibt das Gesetz – symbolisiert durch eine Textrolle – an die beiden Apostelfürsten, die das Fundament der Kirche bilden. Zur Erläuterung waren die Namen der Dargestellten beigeschrieben. Es handelt sich dabei um die älteste Christusdarstellung von bayerischem Boden. Außerdem sind Scherben erhalten, die Wunderberichte und die Opferung des Isaak durch Abraham zeigen. Die meisterhaft gefertigte Schale, die im Bildprogramm nördlich der Alpen keine Vergleiche kennt, dürfte einer Werkstatt in Rom zuzuweisen sein.
Archäologische Staatssammlung München
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