Referat von Nikolaus Freiherr von Stengel zum Fehlen einer verfassungsgerichtlichen Instanz in Bayern

In der Konstitution von 1808 fehlten echte Verfassungsgarantien. Die Nationalrepräsentation, die zusammen mit der Garantie der Grundrechte ein Gegengewicht zur absoluten Stellung des Königs gebildet hätte, trat nicht zusammen. Minister waren zwar für Verfassungsverletzungen verantwortlich, mussten aber nur dem König gegenüber Rechenschaft ablegen. Für Verfassungsbeschwerden von Staatsbürgern wegen Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte gab es keinen vorgesehenen Klageweg.

Schon unmittelbar nach Erlass der Konstitution von 1808 wurde das Fehlen einer verfassungsgerichtlichen Instanz kritisiert. Den Mangel empfand und thematisierte nicht nur die zeitgenössische Publizistik, sondern auch die Verwaltung selbst. Es war nicht klar, welche Instanz bei staatsrechtlichen Konflikten zuständig war. Diese Frage gelangte daher 1809 an das höchste Beratungs- und Gesetzgebungsorgan der bayerischen Monarchie, den Geheimen Rat. Am 5. September 1809 schilderte Nikolaus Freiherr von Stengel (1760–1810) in seinem Referat „Ueber Rekurse gegen Erkenntnisse der königlichen Justizstellen zur allerhöchsten Stelle seiner königlichen Majestät“ in insgesamt 39 Paragraphen seine Sicht des Problems.

Nach Meinung Stengels sollten verfassungsmäßige und ungeklärte staatsrechtliche Fragen nicht vor den normalen Gerichten entschieden werden. Vielmehr müsse den Prozessparteien nach Durchlaufen sämtlicher gerichtlicher Instanzen die Berufung an den Geheimen Rat eröffnet werden (v.a. § 20 und § 21). Dieser erhielt somit die Funktion eines Gerichtshofs für verfassungsrechtliche Fragen. Auch die Verfassung von 1818 löste nicht alle Unzulänglichkeiten. Ein echtes Verfassungsgericht und eine klare und durchsetzbare Ministerverantwortlichkeit waren auch hier nicht vorgesehen.

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