Die Reichsrätekammer als Reformhindernis, Leitartikel der Münchener Post vom 03.05.1914 ‚Fort mit dem Reichsrat‘

Im Mai 1914 starteten die Bayerischen Sozialdemokraten eine Kampagne, die zur Abschaffung oder zumindest zur umfassenden Reform der Ersten Kammer des Bayerischen Landtags, der sogenannten Reichsrätekammer, führen sollte. Der Grund hierfür war der Widerstand, den die Reichsrätekammer den sozialpolitischen Forderungen der SPD entgegenbrachte.

Die seit 1893 in der bayerischen Kammer der Abgeordneten vertretene Sozialdemokratische Partei Deutschlands versuchte über das Parlament soziale Verbesserungen für ihre Wählerschaft durchzusetzen. Insbesondere sollten die Löhne für die Arbeiter in den staatlichen Betrieben erhöht und eine staatliche Arbeiterversicherung eingeführt werden. Die meisten dieser Initiativen scheiterten allerdings an der ablehnenden Haltung der Reichsrätekammer. In dieser waren Honoratioren aus Adel, Bürgertum und Geistlichkeit vertreten, die wenig Sympathie für die SPD-Forderungen aufbrachten.

Seit 1909 bemühten sich die Sozialdemokraten mit entsprechenden Landtagsanträgen eine staatlich geförderte Arbeitslosenversicherung in Bayern auf den Weg zu bringen. Anfang Februar 1914 war es endlich gelungen, in der Kammer der Abgeordneten eine Mehrheit zu gewinnen, die einen Entwurf für die staatliche Förderung der gemeindlichen Arbeitslosenfürsorge unterstützte. Als die Kammer der Reichsräte den Entwurf dennoch ablehnte und das Vorhaben damit gescheitert war, initiierte die SPD eine Kampagne zur Abschaffung der Reichsrätekammer. Diese wurde in zahlreichen Versammlungen und Protestschreiben als „Werkzeug des feudalkapitalistischen Klassenstaates“ gebrandmarkt. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die dann einsetzende Burgfriedenspolitik der SPD beendeten die öffentliche Diskussion. Diese wurde erst im September 1917 wieder aufgenommen.

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