Alltagskultur in Bayern im frühen 20. Jahrhundert: Die Auswertungsblätter zur „Rundfrage“ des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde, 1908/09

„Rundfrage“ und thematische Auswertung

Der "Bayerische Verein für Volkskunst und Volkskunde in München" startete im November 1908 eine bayernweite "Rundfrage" mit dem Ziel, ein volkskundliches Archiv aufzubauen, das schriftliche Zeugnisse zu vielfältigsten alltagskulturellen Themen enthalten sollte. Zusammen mit einigen Helfern exzerpierten die Leiter des Unternehmens, der Germanist Friedrich von der Leyen (1873–1966) und der Volkskundler Adolf Spamer (1883–1953), die eingesandten Antworten nach Sachschlagworten. Sie erstellten von 1909 bis etwa 1914 thematische Einzelblätter, insgesamt mehr als 26.600 meist handschriftliche Seiten. Die Belege stammen aus etwa 800 Orten und damit auch aus den Antworten, die im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren gegangen sind. Nach dem Ersten Weltkrieg geriet die Kartei allmählich in Vergessenheit. Erst zu Beginn der 1980er Jahre wurde Torsten Gebhard (1909–1994) erneut auf den Quellenbestand aufmerksam.

Struktur der Auswertungsblätter

Die originalen Auswertungsblätter sind alle im selben Blattformat (annähernd DIN A 5, Hochformat) und weisen meist die selbe Struktur der Beschriftung auf. Jedes Blatt enthält in einer Kopfzeile das Sachschlagwort, auf dem rechten Rand Ort, Bezirksamt sowie Autor der Zuschrift und als Haupttext den entsprechenden thematischen Auszug aus der Zuschrift. Die Bearbeiter stellten die einzelnen Blätter dann nach thematischen Sachgruppen zusammen. Diese umfassen unter anderem Bräuche im Jahres- und Lebenslauf (nur das Thema "Tod und Sterben" ist hier teilweise verloren), im Arbeitsleben und in Rechtsbeziehungen. Sie handeln von Ausdrucksformen der materiellen Kultur wie Nahrung, Kleidung, Haus und Wohnen oder Geräten. Auch Glaubensvorstellungen, Erzählungen (Sagen) und andere sprachliche Äußerungen kommen vor.

Heutige Verschlagwortung (Stand: 2018)

Die Auswertungsblätter sind neu verschlagwortet. Die gewählten Begriffe ordnen jeden Beleg in einem dreistufigen System vom Allgemeinen zum Besonderen ein. Die Schlagworte versuchen sowohl den historischen Kategorien gerecht zu werden als auch heutigen Anforderungen zu genügen. Zudem können auf diese Weise heute als problematisch zu bewertende Textstellen – zum Beispiel in den Bereichen so genannter "abergläubischer" Vorstellungen oder antisemitischer Vorurteile – kontextualisiert werden. Wie für die vollständigen Zuschriften ist für jede Belegstelle einzeln als auch in der Zusammenschau zu einem Sachthema eine quellenkritische Einordnung unabdingbar, um zu einer historisch angemessenen Beurteilung der mitgeteilten Informationen zu kommen.

>> Diese Sammlung ist ein Teil der "Rundfrage" des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde aus dem Bestand des Instituts für Volkskunde.