Sachliteratur 13.-15. Jahrhundert

Ist die lehrhafte Dichtung im Bayern der höfischen Klassik nur in wenigen Sprachdenkmälern vertreten (Der Winsbeke, 1210/20; Bescheidenheit des Freidank, 1215-30), kann von ihr im Hinblick auf ihren Umfang und praktischen Gebrauchswert gesagt werden, dass sie in der deutschen Literatur des Mittelalters einen exzeptionellen Stellenwert besitzt. Dies umso mehr, als "Der welsche Gast" des Thomasîn von Zerclaere (1186-1238) – entstanden am Hof des Patriarchen von Aquileja, des früheren Passauer Bischofs Wolfger von Erla (1191-1204) – das erste monumentale deutschsprachige Lehrgedicht des Mittelalters und die erste umfassende Verhaltens- und Tugendlehre in deutscher Sprache darstellt. Für ein Publikum, zu dem "vrume rîter, guote vrouwen, wîse phaffen" gehören und dem der Zugang zur lateinischen Fachliteratur verwehrt ist.

Reiche Entfaltung nach Umfang, Themen und Formen erfährt auch die spätmittelalterliche Gebrauchsliteratur in Bayern. Neue Fachbereiche werden der deutschen Prosasprache erschlossen, z.B. in der Rechtsliteratur, im naturwissenschaftlichen Schrifttum, aber auch in der Astronomie, Astrologie, Gedächtniskunst, Wahrsagerei sowie Geschichtsschreibung.

Im bürgerlich-städtischen Bereich fächert sich die Geschichtsschreibung in den hochmittelalterlichen Typus der Universalgeschichte auf (Weltchronik des Rudolf von Ems [1200-1250/54], Weltchronik des Heinrich von München [1. Hälfte des 14. Jahrhunderts]) oder kommt in zahlreichen Stadtchroniken zur Geltung. Mit der Chronik von Augsburg des Sigismund Meisterlin (um 1435-nach 1497) liegt zugleich die erste deutsche humanistische Geschichte, die ansatzweise auf Quellenkritik beruht, vor. Die neue Gattung der Familiengeschichte begründet hingegen das Püchel von mein geslecht und von abentewr des Nürnberger Ratsherrn und Unternehmers Ulman Stromer (1329-1407).

Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache ist das Buch der Natur des aus dem heutigen Mäbenberg stammenden Konrad von Megenberg (1309-1374), Domherr und Pfarrer von St. Ulrich in Regensburg. Er publiziert nicht nur deutschsprachige Wissensliteratur für Kaufleute in den Städten (vgl. sein astronomisches Lehrbuch Deutsche Sphaera), sondern bietet mit diesem Werk ein bis ins 16. Jahrhundert hinein fast ausschließlich benutztes und populäres Handbuch der Naturkunde. Einen anderen Typus der Gebrauchsliteratur stellen die Losbücher zur Weissagung der Zukunft vom Wetter bis zu politischen Ereignissen von Konrad Bollstatter (ca. 1420-1482) dar. Bollstatter, der seit 1466 in Augsburg lebt, hat eine große Zahl deutscher Handschriften, darunter bedeutende frühhumanistische Werke wie den Ackermann aus Böhmen, abgeschrieben.

Der Nördlinger Schreibmeister Bernhard Hirschvelder (gest. ca. 1503) kompiliert dagegen seine Gedächtniskunst, einen besonderen Zweig der Rhetorik innerhalb der Artes liberales. Diese "Ars memorativa, Ein kurtzer Tractat Der edlen vnd hochgelopten kunst der gedechtnus", entsteht zwischen 1470 und 1475 und gerät in den Besitz des Nürnberger Arztes und Humanisten Hartmann Schedel (1440-1514).

Abschließend sind die aus dem Augsburger Franziskanerkreis um 1270/75 stammenden oberdeutschen Rechtsbücher Deutschenspiegel und Schwabenspiegel zu nennen. Die Bedeutung des Letzteren liegt vor allem in der Weiterentwicklung des deutschen Rechts, der Einführung kanonistischen und alttestamentlichen Gedankenguts sowie der Bereicherung der deutschen Sprache des Mittelalters.