Spätbarock und Aufklärung

Das 18. Jahrhundert ist in Bayern eine Zeit der fließenden Übergänge: Während in protestantisch geprägten Reichsstädten wie Nürnberg die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts sich weitgehend behauptet, beweist Altbayern eine gewisse Beharrlichkeit etwa im mystischen Lied oder in der Barockpredigt. Neue geistige Strömungen prägen der Zeit gleichwohl ihren Stempel auf: Rokoko und Empfindsamkeit auf der einen, Aufklärung und Illuminatentum auf der anderen Seite.

Den Anfang macht der Ettaler Benediktinermönch Ferdinand Rosner (1709-1778). Mit seiner Neufassung des Oberammergauer Passionsspiels wird er zum Mittler zwischen dem barocken Jesuitentheater und dem Volksschauspiel. Dem Modernen, ja Modischen aufgeschlossen, hat Rosner im Laufe seines Lebens zahlreiche Bildungseindrücke erhalten. Nach dem Vorbild der Musenalmanache, worin u.a. die besten im Vorjahr erschienenen Gedichte und kleinere Werke abgedruckt sind, stellt er mehrere Bände unter dem selbstironischen Titel "Muscae Viennenses et Ettalenses" ("Wiener und Ettaler Mücken") zusammen, von denen sechs hier vorgestellt werden.

Auch einzelne Gattungen setzen sich immer mehr durch oder entfalten sich jetzt erst richtig: In Franken erreicht die Mundartdichtung im 18. Jahrhundert einen Höhepunkt in dem Werk des Nürnberger Handwerkers Johann Konrad Grübel (1736-1809); die epische Großform des Romans gewinnt in Bayern an Boden mit der aus Kaufbeuren stammenden Sophie von La Roche (1731-1802, Geschichte des Fräuleins von Sternheim) und dem lange Zeit in Coburg tätigen Moritz August von Thümmel (1738-1817, Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich). Einen besonderen Stellenwert nimmt die volkstümliche Lieddichtung ein. Hier wird altes weltliches und geistliches Liedgut von einem Bauern aus Stubenberg in Thal (heute Schachenthal) ab 1796 in einer farbenprächtigen zweibändigen Handschrift zusammengetragen – die größte Sammlung ihrer Art im Bayern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Das sogenannte "Stubenberger Liederbuch" ist zudem ein bedeutendes Zeugnis für die bis ins Mittelalter hineinreichende Kontinuität volkstümlicher Liedtradition.

Nicht weniger bemerkenswert sind die Aufzeichnungen des Literaturkritikers, Lyrikers, Dramatikers und Philosophen Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737-1823), die die Bayerische Staatsbibliothek in ihren Nachlässen verzeichnet. Mit seinen Literaturbriefen und der Tragödie Ugolino (1768) gehört Gerstenberg zu den Wegbereitern der literarischen Strömung des Sturm und Drang und hat auch Einfluss auf den jungen Dichter Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). Sein Poetisches Tagebuch, zwischen 1751 und 1757 entstanden, kann als Reflex der herrschenden ästhetischen Theorie seit Johann Christoph Gottsched (1700-1766) gesehen werden und ist vor dem Hintergrund eines früh ausgeprägten ästhetischen Interesses bedeutsam.

Eine der vielseitigsten Persönlichkeiten der bayerischen Aufklärung stellt zweifellos der Münchner Historiker, Volkskundler, Gymnasiallehrer, Domherr und Aufklärer Lorenz von Westenrieder (1748-1829) dar. Er bereichert nicht nur die Zeitschriften-Literatur in Bayern, sondern tritt auch als Romanautor hervor. In seinem von Goethes Briefroman Werther angeregten "Leben des guten Jünglings Engelhof" (2 Bände) schildert er im bunten Wechsel von Dokumenten, Briefen, Tagebuchblättern und direkter Erzählform die (letztlich) erfolglosen Bemühungen eines edelgesinnten, aber mittellosen Akademikers um Reformen in Justiz, Volkserziehung und Armenpflege auf dem Lande. Es ist der wohl bedeutendste bayerische Roman der Aufklärung.