Dokumente der Frauenbewegung

Ab 1895 erscheinen Romane, Gedichte und Erzählungen von Münchner Schriftstellerinnen, die sich thematisch mit den traditionellen bürgerlichen Rollenmustern auseinandersetzen und die bestehenden Geschlechterverhältnisse kritisch hinterfragen. Die Suche nach einem neuen weiblichen Selbstverständnis, die Aufbruchsversuche bürgerlicher Mädchen und Frauen prägen die Werke von Carry Brachvogel (1864-1942), Helene Böhlau (1856-1940), Gabriele Reuter (1859-1941), Maria Janitschek (1859-1927), Emmy von Egidy (1872-1946) und anderen.

Carry Brachvogel zeigt in ihrem Roman Alltagsmenschen (1895) anhand der Protagonistin Elisabeth, wie eine junge bürgerliche Frau keinen wirklichen Zugang zum Leben hat und nur durch fantastische Träumereien der Leere entkommen kann; sie begeht Ehebruch und versucht ihren Traum in einer Affäre zu realisieren. Helene Böhlau legt ihrem Roman Halbtier (1899) ein einfaches, wenn auch radikales Emanzipationsprogramm zugrunde: "Ein Kind und Arbeit!" ist die Forderung der Protagonistin Isolde; beides soll für die Frau möglich sein und bleibt ihr doch versagt. Als letzte Konsequenz wählt Isolde den Männermord und den Freitod. Und Emmy von Egidy schildert in ihrem Roman Marie-Elisa (1898) eine unglückliche "halbe Ehe", in der es keine Übereinstimmung, kein wirkliches Verständnis zwischen den Ehepartnern gibt und an deren Ende doch nur ein einziger Imperativ steht: "Gatte suche die Seele deines Weibes und nimm sie in dich auf, damit ihr beide ein einziges Wesen werdet" – so beschreibt es der Münchner Schriftsteller Jakob Wassermann (1873-1934) in seiner Buchrezension.

Im Folgenden werden fiktionale Werke und essayistische Schriften von Eva von Baudissin (1869-1943), Anna Croissant-Rust (1860-1943), Lydia Danöfen (nach 1906-?), Emmy von Egidy, Maria Janitschek, Helene Raff (1865-1942) und Gabriele Reuter (1859-1941) vorgestellt.

Den Anfang macht Baudissin mit ihren weiblichen Künstlerromanen Kapellmeisterin Hanna von Santen und Die Königin der Tränen, dem Kriegsroman Die Laterne über der Tür und dem Bergsteigerinnenbuch Sie am Seil. Danach folgt Croissant-Rust, die in ihrem Volksroman Die Nann das harte und entbehrungsreiche Leben zweier Bergbauerntöchter schildert. Danöfen hat mit ihrer Novelle Estella und den beiden Romanen Der Charlatan und Maruschka ein verhältnismäßig kleines Œuvre hinterlassen. Egidy hat mit ihrem Roman Ilse Bleiders einen reinen Typus der Frauenemanzipation vorgelegt. Heterogener geht Janitschek in ihren Werken vor: Während der Roman Mimikry ein flammender Protest gegen die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist, mutet Die Amazonenschlacht wie ein ironischer Abgesang auf die moderne Frauenbewegung an. Und Reuter thematisiert als alleinerziehende Mutter einer Tochter neben der freien Mutterschaft in Das Tränenhaus das Verhältnis der Generationen (Großstadtmädel, Die Herrin, Töchter). Einen Sonderfall nimmt Raff mit ihren Altbayerischen Legenden ein.

Den Abschluss bilden kulturhistorische Essays und Vorträge von Baudissin zu Themen wie Ursachen der Liebe, Der Toilettentisch oder Frauenleistungen auf der Bühne. Reuters Essay Das Problem der Ehe führt entsprechend die Wesensdiskrepanz zwischen Mann und Frau auf gesellschaftlich-kulturelle Gegebenheiten zurück.

Fiktionale Werke

Kulturgeschichtliche Essays und Vorträge