Der Falkensteiner Kodex, 1166 – ca. 1196

Unter den überlieferten Traditionsbüchern nimmt der Falkensteiner Kodex eine ganz besondere Stellung ein. Er enthält nicht nur das einzige Traditionsbuch eines Adelsgeschlechts, sondern auch das älteste Einkünfteverzeichnis einer weltlichen Grundherrschaft, ein Lehenverzeichnis und weitere Aufzeichnungen, die nicht unbedingt in einem Traditionskodex zu erwarten sind.

Graf Siboto von Falkenstein machte im Sommer 1166 vor seinem Aufbruch zum vierten Italienzug Kaiser Friedrich Barbarossas (1122-1190) sein Testament. Er traf Vorkehrungen für den Fall, dass er nicht zurückkehren sollte, um Eigentum und Stellung seiner Familie abzusichern. Besonderen Wert legte er auf die Niederschrift des sog. Hantgemals, des Stammgutes der Familie in Geislbach (Lkr. Erding), das die volle Freiheit seines Geschlechts beweisen sollte. Außer dem Stammsitz hatte die Familie auch Besitzungen im Chiemgau, im Sundergau und im Unterinntal Als die Familie um die Mitte des 13. Jahrhunderts ausstarb, fiel ihr Erbe an die Wittelsbacher.

Die Handschrift entstand im Stift Herrenchiemsee, dessen Vogt Siboto von Falkenstein war und wurde später über Jahrhunderte hinweg in Weyarn, dem Hauskloster der Grafen von Falkenstein, aufbewahrt.

Eine weitere Besonderheit des Kodex sind die farbigen Miniaturen und Randillustrationen. Die bekannteste Miniatur befindet sich am Beginn des Kodex und zeigt den Urheber der Handschrift mit seiner Familie. Die Randzeichnungen illustrieren die im Codex aufgeführten Abgaben, symbolisieren aber auch rechtsgeschichtliche Vorgänge.

Alle im Kodex überlieferten Rechtsaufzeichnungen sind über eine Edition im Rahmen der "Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte", die von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird, zugänglich. Dadurch wird die Handschrift so detailliert aufbereitet, dass bei Forschungen nicht unbedingt auf das Original zurückgegriffen werden muss; manche Fragestellungen lassen sich überhaupt nur anhand einer nach modernen Grundsätzen verfassten Edition klären.

Die Edition umfasst im Anhang auch die einzige von Graf Siboto von Falkenstein als Aussteller erhaltene Originalurkunde, die für das Kloster Herrenchiemsee ausgestellt wurde. Siboto, der von 1126 bis ca. 1200 lebte und seit 1158 die Vogtei über das Kloster innehatte, tritt in zahlreichen Traditionen von Herrenchiemsee als Tradent (Übereigner), Zeuge oder Salmann (Gewährsmann) auf. Im für die damalige Zeit recht hohen Alter von rund 70 Jahren überträgt er durch die Urkunde dem Kloster einen Geldbetrag zum Kauf eines Weinberges bei Krems in der Wachau als Jahrtagsstiftung für sich und seine verstorbene Frau sowie Besitz in Ratzenberg im Landkreis Mühldorf zum Unterhalt eines nächtlichen Lichtes in der zur Stiftskirche gehörigen Agathakapelle. Die Urkunde ist nicht datiert; die Datierung kann jedoch aufgrund von zwei Anhaltspunkten erschlossen werden. Die Gemahlin Sibotos, Hildegard von Mödling, war zur Zeit der Besitzübertragung bereits verstorben; ihr Todesdatum lässt sich genau auf den 29. März 1196 festlegen. Die obere Datumsgrenze ergibt sich aus dem Ende der Regierungszeit von Propst Siboto von Herrenchiemsee, der die Urkunde zusammen mit Graf Siboto besiegelte. Somit fand die Übertragung zwischen dem 29. März 1196 und dem 27. Februar 1198 statt, kurze Zeit vor dem Tod des Tradenten.

>> Diese Sammlung ist ein Bestand des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns.

Literatur:

  • Elisabeth Noichl, Codex Falkensteinensis. Die Rechtsaufzeichnungen der Grafen von Falkenstein (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 29), München 1978.
  • Peter Johanek, Zur rechtlichen Funktion von Traditionsnotiz, Traditionsbuch und früher Siegelurkunde. In: Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen Bd. 23), Sigmaringen 1977, S. 152-153.
  • Werner Rösener, Codex Falkensteinensis. Zur Erinnerungskultur eines Adelsgeschlechts im Hochmittelalter. In: Ders. (Hg.), Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (Formen der Erinnerung 8) Göttingen 2000, S. 35-55.
  • Birgit Gilcher, Die Traditionen des Augustiner-Chorherrenstifts Herrenchiemsee (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 49/1), München 2011.