KulturErben. Handwerkliche Fertigung von Flachglas in der traditionellen Technik des Mundblasverfahrens

Waldsassen in der nordöstlichen Oberpfalz ist einer von nur mehr drei Standorten in Europa, an denen flache Glasscheiben mit einer mehrere Jahrhunderte alten Handwerkstechnik im Mundblasverfahren hergestellt werden. Dabei wird das Glas zunächst aus Sand, Soda und Kalk erschmolzen, dann gefärbt und schließlich mithilfe der Glasmacherpfeife zu etwa sechs Kilogramm schweren Ballons geblasen. Aus ihnen entstehen Zylinder, die im Ofen erneut erwärmt und dann zu Glastafeln ausgebügelt werden. Mit der Entwicklung der Glasmacherpfeife ab etwa dem 2. Jh. n. Chr. wurde dieses technische Verfahren möglich, das es schließlich gestattete, gänzlich transparente Glastafeln mit beidseitig feuerpolierten Oberflächen zu erzeugen.

Neben den im 13./14. Jahrhundert entstandenen mundgeblasenen Butzen- und Tellerscheiben wurden bis in die 1920er Jahre hinein großformatigere Flachgläser handwerklich im Mundblasverfahren hergestellt. Weiterentwickelte Glaszusammensetzungen wie auch Befeuerungs- und Abkühltechniken ermöglichten stetig größere Tafelformate. Seit dem 20. Jahrhundert wird jedoch industriell gefertigtes Flachglas als großformatiger Standard (post)-moderner Architektur weltweit verbaut. Mundgeblasenes Flachglas fand dennoch eine ökonomische Nische: Die Handwerkstechnik konnte bewahrt werden, weil etwa ab der Mitte des 20. Jahrhunderts Unikate in Glaskunst und Glasarchitektur, in der Denkmalpflege sowie bei Künstlerinnen und Künstlern Verwendung fanden. Heute schmücken mundgeblasene Flachgläser unter anderem künstlerisch gestaltete Fassaden oder Wände von Metrostationen oder Flughäfen auf der ganzen Welt.

Die Gläser sind in einem Farbspektrum von über 5.000 Farbtönen verfügbar und können in ihrer typischen leicht verzerrenden Durchsicht nur durch das Mundblasverfahren hergestellt werden. Um die Glastafeln zu formen, ist das besondere Wissen und Können der Glasmacher notwendig. Es ist mit einer einzigartigen Form der choreographierten Zusammenarbeit der Handwerkerteams verbunden: Jeweils vier Männer der Glashütte Lamberts arbeiten an den Glasöfen Hand in Hand an einem Werkstück. Die Kontinuität in der Beherrschung der Technik wird durch langjährige Mitarbeiter und die Ausbildung in der eigenen Hütte gewährleistet. Durch die Verbindung hochwertiger mundgeblasener Gläser mit der Isolierglastechnologie des 21. Jahrhunderts können wärmedämmende Verglasungen an denkmalgeschützten Gebäuden eingesetzt werden. Dafür und für alle weiteren Anwendungsbereiche des mundgeblasenen Flachglases gilt zudem, dass sie sehr nachhaltig sind, da die Materialien regional bezogen werden.

Zur Ausstellungseinheit: KulturErben erneuern

Weitere Informationen in der Landesliste des immateriellen Kulturerbes Bayerns

>> Diese Sammlung ist ein Teil des Bestandes "KulturErben. Das Bayerische Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes" des "Institut für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften"