Entmachtung und Tod
Die letzten Jahre
In den Jahren nach der Reichsgründung 1871 zog sich Ludwig II. immer mehr von seinen Pflichten als König zurück. Zwar erledigte er bis unmittelbar vor seiner Absetzung pflichtgemäß die Aktenarbeit, doch empfing er weder seine Minister noch seine Sekretäre. Auch mied er die Öffentlichkeit in München und Bayern und vernachlässigte damit das, was im 19. Jahrhundert von einem König erwartet wurde. Zu seinem Lebensinhalt wurden stattdessen die Dinge, er als Kunst empfand, insbesondere die Seperatvorstellungen und seine Bauprojekte in Herrenchiemsee, Linderhof und Neuschwanstein.
Obwohl Ludwig über ein großzügiges Einkommen aus staatlichen Bezügen, Erträgen des königlichen Eigenbesitzes und den jährlichen Zahlungen Bismarcks aus dem "Welfenfonds" verfügte, reichten diese Gelder nicht, um die immer ausufernderen Baukosten der königlichen Schlösser zu decken. Die Schulden häuften sich, 1884 hatten sie 8,25 Millionen Mark erreicht. Ein Bankdarlehen über 7,5 Millionen, für das die königliche Familie bürgte, sowie eine Sonderzahlung Bismarcks über 1 Million Mark tilgten zwar diese Schulden vorerst, doch Ludwig konnte die Konsequenzen – zeitweilige Einstellung der Bauarbeiten und künftige sparsame Haushaltsführung – nicht akzeptieren. Ein Jahr später betrugen die Schulden des Königs erneut 6,5 Millionen Mark. Verschiedene Handwerker drohten mit Klage.
Die Schulden des Königs, aber auch sein Lebenswandel, heizten die Gerüchte in Bayern an. Außerhalb der Umgebung seiner Schlösser war Ludwig schon länger nicht mehr beliebt. Nun spekulierten Zeitungen aus dem In- und Ausland offen über den König als Schuldner und an den Stammtischen tuschelte man gar über die Sexualität von "Herrn Huber". Die persönliche Krise Ludwigs wurde so Anfang 1886 nach und nach zu einer Staatskrise.
Friedrich Röhrer-Ertl
Entmündigung und Tod
Die sich zuspitzende Schuldenkrise ab 1884 hatten den leitenden Minister Johann von Lutz und seine Kollegen spätestens im März 1886 davon überzeugt, dass ein Einschreiten gegen den König nötig sei, um Schaden von Monarchie und Königsfamilie abzuwenden. Ludwigs Abdankung oder seine Absetzung standen als Alternativen im Raum.
Die bayerische Verfassung von 1818 sah für den Fall, dass der bayerische König für mehr als ein Jahr unfähig wäre, sein Amt auszuüben, die Einsetzung einer Regentschaft vor, wobei im Detail viele verfassungsrechtliche Fragen ungeklärt blieben. Da Ludwigs jüngerer Bruder Otto seit 1876 als unheilbar geisteskrank galt, konnte nur Prinz Luitpold, der Onkel König Ludwigs, als nächster männlicher Verwandter die Regentschaft übernehmen; dieser weigerte sich jedoch zunächst.
Am 23. März kam es zu einem Treffen zwischen Lutz und Bernhard von Gudden (1824-1886), der seit 1872 Direktor der Kreisirrenanstalt von Oberbayern und seit 1876 der betreuende Arzt von Prinz Otto war. Dieser sah Parallelen zwischen seinem Patienten Otto und König Ludwig; der König sei "originär verrückt" und regierungsunfähig. Der angesehene und selbstbewusste Psychiater Gudden, der sicherlich aus innerer Überzeugung handelte, wurde so zur treibenden Kraft in der Königskrise. Sein Urteil wurde sowohl von den königlichen Ministern als auch von Prinz Luitpold akzeptiert. Der Weg zur Absetzung König Ludwig II. war eingeschlagen. Am 10. Juni 1886 wurde die Regentschaft Luitpolds proklamiert.
Friedrich Röhrer-Ertl
Beisetzung Ludwigs II.
So sehr der plötzliche Tod Ludwigs II. im Starnberger See Regierung, Hof und Gesellschaft überrascht hatte - was folgte, entsprach den seit langen etablierten Bestattungsritualen der Wittelsbacher.
Ludwigs Leichnam, dem am 14. Juni noch die Totenmaske abgenommen worden war, wurde nach München verbracht, wo er in der Residenz am 15. Juni obduziert wurde. Dies diente zum einen der Feststellung der Todesursache (mit dem Befund eines Tods durch Ertrinken); zum anderen wurde dem König das Herz entnommen und ein Abguss seiner rechten Hand angefertigt.
Vom 16. bis zum 18. Juni wurde Ludwig in der Hofkapelle der Residenz aufgebahrt. Der Leichnam trug das Kostüm des Großmeisters des wittelsbachischen Hubertusritterordens mit Collane (Ordenskette) und Zeremonialschwert; in seine rechte Hand hatte man einen Jasminstrauß gelegt, den seine Cousine, Kaiserin Elisabeth von Österreich, gepflückt hatte. Der Andrang der Bevölkerung war gewaltig; wer privilegiert genug war, konnte einen Blick von den Galerien der Hofkapelle auf den Leichnam werfen.
Am 19. Juni erfolgte die Beisetzung in der Michaelskirche. Der Trauerzug nahm einen größeren Umweg durch die Münchener Innenstadt, um möglichst vielen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen. Schließlich wurde der eingesegnete Sarg in die Hauptgruft hinabgelassen, wo Ludwig II. bis heute ruht. Rund zwei Monate später, am 16. August 1886, wurde das Herz des Königs in die Gnadenkapelle in Altötting verbracht.
Neben dieser zentralen Trauerfeier gab es in ganz Bayern noch zahlreiche weitere Trauerveranstaltungen. Neben den Kirchen gedachten vor allem die israelitischen Gemeinden Ludwig II. Nicht zuletzt suchten viele Menschen auch einen persönlichen Weg; in Scharen fuhr man nach dem Tod des Königs zum Starnberger See, um mit Ruderbooten die Todesstelle in Berg zu besichtigen. Dabei wurden Blumen, aber auch Holzsplitter von Booten und Gartenbänken als Erinnerungsstücke entfernt. Die Mythisierung Ludwigs hatte begonnen.
Friedrich Röhrer-Ertl
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