Gegenwelten

Linderhof - Von der Scheune zum Schloss

Linderhof ist das einzige große Bauprojekt, das König Ludwig II. (1845-1886) vollenden konnte (1880). In der damaligen Benennung "Königliche Villa" ist ein Vorbild des Baues enthalten: die großbürgerliche Villa des 19. Jahrhunderts. Allerdings haben die Prachtentfaltung und der Anspruch in der Ausgestaltung der Fassade und der Innenräume des Schlosses Linderhof mit diesen Vorbildern nichts mehr zu tun. Hier ist der Typus der Maison de Plaisance Vorbild gewesen, im 18. Jahrhundert in Frankreich entstanden und gerade in Süddeutschland mit besonders aufwändigen und qualitätvollen Beispielen vertreten.

Die Konzeption der Fassaden änderte sich während des Bauens diametral: vom verdeckten Refugium zur repräsentativen Herrscherarchitektur. Innen entfaltet sich Rokoko mit Inhalten der Zeit Ludwigs XV. von Frankreich (1710-1774). Auch das Bildprogramm der Räume ist Geschichte und Personen des Ancien Régime verpflichtet.

Allerdings ist dieses Zweite Rokoko oder Neurokoko Ludwigs II. in der Ornamentik stark von süddeutschen Vorbildern geprägt: er übernahm Motive vom Rokoko seiner eigenen wittelsbachischen Vorfahren, vor allem aus der Amalienburg im Schlosspark Nymphenburg und aus den Reichen Zimmern der Residenz München. Ludwig II. schuf in Schloss Linderhof Räume von phantasmagorischer Fülle, die alle Vorbilder weit übertrifft.

Uwe Gerd Schatz

Mittelalterliche Burgenwelt - Schloss Neuschwanstein

Die Romantik hatte neue Denk- und Sehweisen entwickelt. Mittelalterliche Burgruinen wurden zu Symbolen der Geschichte, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend Bedeutung bekamen; man übernahm historische Bau- und Kunststile und baute, gestaltete und dichtete "historisch".

Entscheidend wurde die Idee der "Vollendung" der Stile und damit auch der Geschichte: Was die Geschichte an Ruinen hinterlassen hatte, wollte man "wiederaufbauen", aber "stilreiner" – und dies mit Hilfe aller modernen technischen Errungenschaften. Für diese Geisteshaltung des Historismus ist Neuschwanstein das weltweit bekannteste Beispiel.

Ludwig II. war mit dieser Auffassung jedoch durchaus Kind seiner Zeit, und so hat Neuschwanstein nicht nur Vorbilder, sondern auch etliche Verwandte. Einmalig wird es durch den Absolutheitsanspruch seines Bauherrn an sich selbst und seine Gegenwelt. Auch die Bildenden und die Darstellenden Künste, Bildhauerei, Malerei, Theater, hat er konsequent wie kein anderer für die Beschwörung eines idealen Mittelalters herangezogen.

Neuschwanstein wurde zu Lebzeiten Ludwigs II. "Neue Burg" genannt. "Neuschwanstein" ist erst kurz vor seinem Tod zum ersten Mal nachgewiesen und bürgerte sich erst nach seinem Tod richtig ein.

Uwe Gerd Schatz

Denkmal für das absolute Königtum - Schloss Herrenchiemsee

Seit 1878 ließ Ludwig II. auf der Herreninsel im Chiemsee ein Abbild des Schlosses Versailles als "Tempel des Ruhmes" für den Sonnenkönig Ludwig XIV. von Frankreich (1638-1715) errichten, also ein Denkmal des absolutistischen Königtums ohne praktische Funktion.

Der Architekt Georg Dollmann (1830-1895) musste das Vorbild studieren und auch Räume rekonstruieren, die in Versailles längst nicht mehr bestanden. Die Haupträume sind der Höhepunkt der Ausstattungskunst des 19. Jahrhunderts, ungleich prunkvoller ausgestattet als in Versailles. Die Fülle und Qualität der Porzellanausstattung ist ohne jeden Vergleich. Auch Stickereien hat es nie zuvor und nie danach in solcher Pracht gegeben. Eine der großen Ideen des 19. Jahrhunderts, das "Vollenden" historischer Stile, hat in diesem Gebäude ihre großartigste Ausprägung erfahren.

Der von Carl von Effner (1831-1884) nach Versailler Vorbild entworfene Park sollte einen Großteil der Insel umgreifen. Bis zum Tod Ludwigs II. 1886 war nur die Mittelachse mit ihren grandiosen Wasserspielen fertiggestellt. Auch das Schloss blieb ein Torso. Der nördliche Seitenflügel wurde äußerlich weitgehend fertiggestellt, der südliche Seitenflügel kam nicht mehr über die Fundamente hinaus. Beide wurden nur aus Symmetriegründen 1907 abgerissen.

Uwe Gerd Schatz

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