Utopien und Verfassungsverständnis eines desillusionierten Herrschers

Die Reichsgründung von 1871 und der damit verbundene Verlust der staatlichen Souveränität des Königreiches Bayern blieben ein Trauma für Ludwig II. Daher keimte in ihm der Wunsch, abzudanken und eine ferne Insel zu erwerben, wo er frei von den Beschränkungen der Verfassungen Bayerns und des Deutschen Reiches eine absolutistische Herrschaft aufbauen könne.

Zu diesem Zweck wurde der Direktor des bayerischen Reichsarchives, Franz von Löher (1818-1892), 1873 damit beauftragt, Inseln in Griechenland, Zypern und auf den Kanaren zu bereisen, um zu sondieren, ob diese für solche Pläne geeignet seien. Er hielt schließlich eine der Kanarischen Inseln für am vielversprechendsten und arbeitete einen Entwurf für ihre Erwerbung von Spanien und Verhandlungen mit Großbritannien als möglicher Schutzmacht aus. Bei diesen Unterlagen findet sich auch ein Entwurf einer zukünftigen Verfassung von einem unbekannten Autor. Deutlich wird darin vor allem die starke Betonung der Gewalt des Monarchen, eine Ablehnung jeglicher Form der Gewaltenteilung sowie die Forderung nach einer unbedingten Unterordnung der Untertanen. Obwohl das Projekt von allen Seiten als nicht realisierbar erachtet wurde, verfolgte es der König während seiner Regierungszeit weiter und kam immer wieder darauf zurück.

Stefan Schnupp