Schloss Neuschwanstein: Sängersaal

Der Sängersaal war von Anfang an für die Neue Burg geplant und zwar als Denkmalraum der ritterlichen Kultur des Mittelalters, ohne praktische Funktion. Die Laube ist aus dem Sängersaal, die Empore aus dem Festsaal der Wartburg zitiert. Auf typisch historistische Weise sind diese beiden historischen Säle hier zu einem an Größe und Ausstattung weit übertreffenden Raum kompiliert.

Zunächst war das Bildprogramm entsprechend der Funktion der Vorbildräume auf Darstellungen des Minnesangs und seiner Interpreten angelegt. Als jedoch mit den Jahren für Ludwig II. seine Neue Burg zunehmend zur Gralsburg wurde, ließ er seinen Sängersaal nach Angaben des Mediävisten Hyazinth Holland (1827-1918) mit Bebilderungen mittelalterlicher Gralssagen ausstatten, vor allem der Parzivalsage, die auch Richard Wagner (1813-1883) zum Vorbild für sein Bühnenweihefestspiel Parsifal nahm, mit dem er Ludwig II. identifizierte.

So zeigen die Rückwand der Laube den Heiligen Wald, der die legendäre Gralsburg umgibt, und die Wandbilder unter der Decke Lohengrins Abschied von der Gralsburg und dessen Vater Parzival als Gralskönig an der Festtafel. So sind hier die Identifikationsgestalten Ludwigs II. aus seiner Jugend und aus seiner Spätzeit vereint. Über den Türen ist mit der rahmenden Umschrift LUDOVICUS II. REX. BAVAR. COM. PALAT. das königliche Wappen des Bauherrn gezeigt, ein anschauliches Indiz dafür, dass es Ludwig II. mit seinen Bauten nicht um Träumen, sondern um unbedingte Vergegenwärtigung, ja Beschwörung, ging.

Uwe Gerd Schatz