Neuer Gala-Wagen

Von Kindheit an kannte Ludwig II. die prachtvollen spätbarocken Gefährte seiner Vorfahren, darunter auch Schlitten mit vollplastischen Figuren. 1867 ließ er die Kutsche, mit der Kurfürst Karl Albrecht 1742 in Frankfurt zu seiner Krönung zum Kaiser Karl VII. gefahren war, als Hochzeitskutsche für sich renovieren. Das war der erste direkte Bezug auf seinen kaiserlichen Vorfahren, dem später etliche folgen sollten. Seit 1870 entstanden für ihn mehrere Kutschen und Schlitten, an denen die Vorbilder des 18. Jahrhunderts phantasmagorisch übersteigert wurden. Zumal an den beiden Prunkkutschen Ludwigs II. (der hier gezeigte "Neue Gala-Wagen" von 1870/71 und der "Kleine Gala-Wagen" von 1878) erscheinen die alten Symbole und Allegorien der Herrschermacht, wie Genien, Viktorien, vor allem aber die Krone, in vordem nie gekannter Dichte, Größe und Fülle.

Schon im Spätbarock waren Prunkgefährte wichtige Herrschersymbole gewesen; bei Ludwig II. aber wurden sie zu Beschwörungen seiner in der Wirklichkeit von 1866 und 1870/71 immer mehr geschwundenen Königsmacht. Ludwig II. war seit den späteren 1870er-Jahren großenteils nachts unterwegs. Seine Gefährte benutzte er nur im Gebirge, im weiten Umfeld seiner Bauten, in seiner Gegenwelt, die er seit 1869 errichtet hatte. Dazu gehörten auch Wege und Straßen, die nur für ihn und seine Fahrten angelegt worden waren. Seine Prunkgefährte konnten nicht mehr öffentlich repräsentieren wie einst ihre Vorbilder, weil kaum jemand sie zu Gesicht bekam.

Uwe Gerd Schatz