KulturErben gemeinschaftlich gestalten

Beim immateriellen Kulturerbe stehen die handelnden Menschen im Mittelpunkt, die als Trägergruppen die kulturellen Ausdrucksformen ausüben, weiterentwickeln und an die nächste Generation vermitteln. Doch welche Gemeinschaften und Gruppen sind daran beteiligt, wie werden Wissen und Können verhandelt, wer sagt, was zu tun ist und wie es richtig getan wird? Wer gehört dazu, wer beteiligt sich – und wer nicht? Wie schafft der Austausch von Wissen und Können ein Gemeinschaftsgefühl?

Die kulturelle Vielfalt in Bayern wird von ganz unterschiedlichen Gemeinschaften und Gruppen getragen: Vereine, Verbände und Genossenschaften, aber auch situationsgebundene Zusammenschlüsse und Interessengemeinschaften. Manche sind durch Satzungen strukturiert, andere organisieren sich eher informell.

Die KulturErben waren und sind als Gruppen oder Gemeinschaften oft überregional vernetzt. Viele kulturelle Ausdrucksformen reichen über die Grenzen von Bayern und Deutschland hinaus.

Gemeinsame Spitzenleistung: das Spitzenklöppeln im Oberpfälzer Wald

Das Klöppeln von Spitzen im Oberpfälzer Wald wurde um 1900 gezielt eingeführt. Durch die Einrichtung von Klöppelschulen zur Förderung eines möglichen Nebenerwerbs für Frauen und Kinder, entstand in der Region ein spezifisches handwerkliches Wissen. Als das Klöppeln im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch mechanisierte Herstellung und globale Konkurrenz keinen wirtschaftlichen Ertrag mehr brachte, entwickelte sich das Spitzenklöppeln in der Oberpfalz zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung, die häufig in Gruppen gemeinsam geübt wird. Diese sind zudem in ein europaweites Netzwerk von Spitzenklöpplerinnen eingebunden.

Heute sind die Klöpplerinnen und Klöppler meist lose organisiert. In Klöppelkreisen erfolgt die Weitergabe von Wissen und Können innerhalb der Trägergruppen durch Lehrgänge, Workshops und Ausstellungen. Organisiert werden diese meist weiblichen Runden von wenigen zentralen Personen, die sich auch für die Weitergabe des Kulturerbes an eine jüngere Generation einsetzen. Ebenso sind Museen bestrebt, die kunstvoll gefertigten Spitzen und die kulturelle Bedeutung zu zeigen.

Gemeinsam schmücken: das Wunsiedler Brunnenfest

Dem jährlich immer gegen Ende Juni stattfindenden Wunsiedler Brunnenfest gehen die Vorbereitungsarbeiten in den Brunnengemeinschaften voraus. Gemeinsam werden in ihnen die Brunnenverzierungen entworfen, die Blumen gepflückt und bereitgestellt, Kränze und Girlanden gebunden. Kurz vor dem Festtag oder am Tag selbst werden die über dreißig Wasserspender in der Stadt geschmückt.

Zunächst waren die Brunnengemeinschaften eher lose über die Nachbarschaft zu den Brunnen verbunden. Seit den 1970er Jahren sind die Gruppen vermehrt durch Vereine, Schulen und andere Institutionen organisiert und repräsentiert. Im Jahr 2018 schmückten sie 36 Brunnen in der Stadt. Es geht um den gemeinschaftlichen Austausch, aber auch um ein Wetteifern um den schönsten Brunnen.

Gemeinschaftliche Markttradtion: der Münchner Viktualienmarkt

Das Verkaufen und Kaufen von Lebensmitteln und Pflanzen auf dem Münchner Viktualienmarkt bildet den Mittelpunkt des wortwörtlichen alltäglichen "Handelns" der Menschen. Werktäglich entsteht aus Händlerinnen und Händlern, Kundinnen und Kunden sowie Gästen eine vielfältige Gemeinschaft. Inmitten der Altstadt hat sich so eine eigene Marktkultur herausgebildet. Zu ihr gehört auch der Tanz der Marktfrauen am Faschingsdienstag, der jährlich ein Höhepunkt des Münchner Faschings ist und zahlreiche Besucherinnen und Besucher anzieht.

Gemeinsam auftreten: das historische Festspiel Kinderzeche zu Dinkelsbühl

An der Kinderzeche in Dinkelsbühl sind über 1.000 Mitwirkende beteiligt, die vor zahlreichen Besucherinnen und Besuchern auftreten. Zum Festgeschehen zählen neben dem eigentlichen Schauspiel auch Umzüge, Tanzvorführungen und die Aktivitäten um die Schulfeste. Letztere bilden den historischen Kern des Festspiels. Alle zusammen verbinden sich zu einer Festgemeinschaft, die für die Mittelstadt und die Region von großer Bedeutung ist.

Solche regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen sind für eine lokale Gemeinschaft oft ein besonderes Datum, mit dem sich eine eigene Zeitordnung verbindet, die das Jahr strukturiert. Es ist ein lokaler und regionaler gesellschaftlicher Fixpunkt. Die Rede ist dann von einer "fünften Jahreszeit" und viele, die weggezogen sind, schauen zu diesem Anlass wieder vorbei.

Ein Gelöbnis verbindet: Der Kötztinger Pfingstritt

Der Kötztinger Pfingstritt beruht der Legende nach auf einem mittelalterlichen Gelöbnis und ist seit Mitte des 17. Jahrhunderts belegt. Die Prozession stiftet für die Reiter und die Stadt eine Gemeinschaft. 2004 wurde sie mit einem Bischofsdekret, nach einer Unterbrechung von 135 Jahren, wieder eine eucharistische Prozession. Die Frauen sind in vielfältiger Weise in das Festgeschehen einbezogen, sie schmücken zum Beispiel die Pferde und kümmern sich um die Gäste. Zu den Feierlichkeiten an Pfingsten gehören außer dem Bittritt auch die Pfingsthochzeit und andere Festlichkeiten, die Einheimischen und Gästen offenstehen.

In den Jahren der Corona-Pandemie 2020 und 2021 setzte sich die Trägergruppe des Pfingstritts damit auseinander, auf welche Weise zumindest das jährliche Gelöbnis - der Kern ihres immateriellen Kulturerbes - unter den Bedingungen von Festverboten und Distanzhalten gestaltet werden könnte. Die Lösung lag in einer radikalen Beschränkung der Teilnehmer: Nur drei Personen wurden in den beiden Jahren zu Stellvertretern für alle sonst Beteiligten und hielten das Gelöbnisanliegen durch ihren Pfingstritt aufrecht.

Grenzüberschreitend: die Goldhaubentradition

Die Donau stellt eine wichtige Verkehrsachse dar, auf der auch Moden und Wissen wanderten. Entlang dieses Weges kam auch die "Linzer Goldhaube" im 18. Jahrhundert ins Passauer Land. Spezialisierte Putz- und Haubenmacherinnen fertigten dieses Element einer Festtracht für Frauen an. Mit dem Wandel der Moden verschwanden die Goldhauben fast völlig und wurden nur noch zu seltenen Gelegenheiten getragen.

Verstärkt seit den 1970er-Jahren wurde das Wissen zur Goldhaubenstickerei von engagierten Personen wieder gesammelt. Durch gemeinsame Stickkurse in Passau und Linz gelang es ihnen, Frauen für die Herstellung von Goldhauben als Do-it-yourself zu begeistern sowie für das Tragen zu gewinnen. Bis heute ist daraus eine neue, grenzüberschreitende Gemeinschaft entstanden, deren Angehörige sich über die Feinheiten der Herstellung austauschen und den goldenen Kopfputz zu festlichen Gelegenheiten tragen.

Zur Ausstellungseinheit: KulturErben verhandeln