KulturErben erneuern

Wenn vom immateriellen Erbe gesprochen wird, dann geht es nicht darum, einen Brauch, ein Fest oder eine Handwerkstradition festzuschreiben, ihnen quasi eine "Käseglocke drauf" zu setzen – ganz im Gegenteil! Wichtig ist zu erkennen, dass das immaterielle Kulturerbe, wie jedes Erbe, nur für die Zukunft und kommende Generationen bewahrt wird. Dafür müssen sich die Trägerinnen und Träger stetig mit ihrer Umwelt und der Gesellschaft auseinandersetzen, um ihr kulturelles Erbe mit Kreativität weiter zu entwickeln und um den ihnen nachfolgenden Generationen Wissen und Können über lebendige kulturelle Praktiken und Formen weitergeben zu können. Damit verbindet immaterielles Kulturerbe Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Menschen, die sich für eine kulturelle Tradition engagieren und damit ihr immaterielles Kulturerbe bewahren, haben immer wieder verändernd eingegriffen, um es an neue soziale, politische, wirtschaftliche, religiöse oder kulturelle Gegebenheiten anzupassen. Ohne Wandel kann es keine Kontinuität geben, sei es bei Bräuchen und Festen, bei Handwerkstechniken, darstellenden Künsten oder dem Wissen um Natur. Die KulturErben prägen mit ihrem Tun, ihren Ideen, ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten die kulturellen Ausdrucksformen und gestalten dieses ganz selbstverständlich. Auch der Mut zur Veränderung hilft bei der Erhaltung des immateriellen Kulturerbes.

Moderne Dialoge: das Augsburger Friedensfest

Das Augsburger Friedensfest stand viele Jahrzehnte im Dienst von konfessioneller Konfrontation und Abgrenzung. Der heute überkonfessionelle und interreligiöse Festtag bietet einen impulskräftigen Rahmen, in dem Ideen zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und Friedenssicherung verhandelt werden. Engagierte Gruppen und Institutionen der Zivilgesellschaft bringen sich inhaltlich, künstlerisch und gemeinschaftlich ein.

Aus dem Erbe des Konfliktfestes wurde damit ein Dialogfest, das die Herausforderungen der Gegenwart aufgreift. Jährlich zeigen die Diskussionen über neue gesellschaftspolitisch relevante Themen die Veränderungsbereitschaft und Innovationsfreude auf. Ein neues Festelement ist seit 2015 der "Runde Tisch der Religionen", der auf die vielfältige Stadtgemeinschaft der Gegenwart reagiert.

Neue Traditionen: Fürther Michaeliskirchweih

Um die Feiern zur Weihe von Kirchen (Kirchweih, Kärwa) hat sich vielerorts im Laufe der Zeit ein umfangreiches Festgeschehen entwickelt. So kam zur Fürther Michaeliskirchweih, die nachweislich seit dem 16. Jahrhundert begangen wird, im Jahr 1954 ein Erntedankumzug hinzu, der mittlerweile zu den zentralen Festelementen zählt. Mit solchen Erweiterungen reagieren Festgemeinschaften auf neue Ideen und Bedürfnisse. Nicht jede Veränderung hat aber Bestand, so wurde beispielsweise die Verlagerung der Kirchweih 1901 auf eine Festwiese 1902 wieder rückgängig gemacht.

Veränderter Geschmack: die Dörrobstherstellung

Die "Hutzeln", im Ganzen getrocknete Birnen, sind im Steigerwald eine Spezialität. Das vitaminreiche und lagerfähige Dörrobst war über Jahrhunderte ein Exportschlager aus der ländlichen Region, gerade auch für den internationalen Schiffsverkehr. Wegen moderner Konservierungstechniken, veränderter Geschmacksvorlieben und neuer Anbaumethoden verschwanden viele der Produktionsstätten und die zugehörigen Obstbäume.

Mit dem heutigen Bewusstsein für gesunde, regionale und nachhaltige Ernährung gewann die Hutzelbirne in den letzten Jahren eine neue Bedeutung, die auch eine Neuausrichtung des Dörrvorgangs mit sich brachte: Früher wurde mit dem Ziel gedörrt, die Hutzeln lange haltbar zu machen. Bei den "neuen" Hutzeln geht es vor allem darum, beim Dörren den Geschmack zu erhalten. Die Attraktivität und Beliebtheit der Hutzeln mag wiederum Impuls für eine Wiederbelebung der Baumfelderwirtschaft sein, die prägend für die Kulturlandschaft um Fatschenbrunn ist.

Künstlerische Perspektiven: die handwerkliche Fertigung von Flachglas

Über Jahrhunderte konnte Flachglas nur aufwändig im Mundblasverfahren hergestellt werden, heute erfolgt dies in der Regel industriell. Die tradierte Handwerkstechnik wird mittlerweile nur noch an wenigen Standorten in Europa angewandt, so auch in der Oberpfalz. Dabei entstehen Glastafeln, die jede für sich ein Unikat ist. Solche Gläser werden heute weniger für Kirchenfenster und sakrale Kunst benötigt, finden aber weltweit Verwendung in zeitgenössischer Architektur sowie Kunstobjekten.

Neue Funktionen: die Flechthandswerkstradition

Das Flechten ist eine traditionelle Handwerkstechnik mit einer großen Fülle an Anwendungsbereichen. Durch neue Werkstoffe und industrielle Alternativen sowie Importe von Korbwaren nahm die ökonomische Bedeutung des Flechthandwerks in Bayern ab. Das Wissen und Können um dieses Kulturerbe ist dennoch in "klassischen" Anwendungsgebieten gefragt, etwa im Möbelhandwerk oder bei Restaurierungsarbeiten.

In der Fachschule in Lichtenfels wird das Flechthandwerk gelehrt und gelernt und durch Künstlerinnen und Künstler sowie im Kunsthandwerk kreativ weiterentwickelt. Diese erschließen mit innovativen Materialien und modernen Formen neue Anwendungsgebiete für eine alte Handwerkstechnik. Ihre Produkte und teils kunstvollen Objekte präsentieren sie auf Märkten und in Ausstellungen.

Nachhaltigkeit: die Schafhaltung

Die Schäferei in Bayern hat massiv an Bedeutung verloren, weil die Möglichkeiten zunehmend eingeschränkt sind, um freie Flächen mit Schafherden zu beweiden, und weil die Erzeugung von Fleisch und Wolle Konkurrenz in globalisierten Märkten hat. Doch heute wird die Schafhaltung unter neuen ökologischen Perspektiven betrachtet: Für die Erhaltung der über Jahrhunderte entstandenen Kulturlandschaften aus Magerrasen oder Wacholderheiden ebenso wie für die Deichpflege leisten die Schafe einen essentiellen Beitrag. Die durch die Schafhaltung gepflegten Regionen zeichnen sich durch eine hohe Biodiversität aus.

Ein neues Wertebewusstsein für regionale Produkte oder landwirtschaftliche Minikreisläufe im urbanen Raum – zum Beispiel die Weidewirtschaft auf Dächern – erschließen der Schäferei neue ökonomische Möglichkeiten und fördern die Wertschätzung für das Kulturerbe "Schäferei". Eine globale Dimension der Mensch-Schaf-Beziehung und ihrer Inwertsetzung offenbarte zuletzt der Brexit, der die Nachfrage nach Produkten der Schafhaltung aus Bayern steigen ließ.

Alte Rechte, neue Pflichten: die Gemeinschaftswälder im Steigerwald

Aus historischen Formen der Allmende, der gemeinschaftlichen Nutzung von forst- und landwirtschaftlichen Ressourcen, haben sich im Steigerwald zahlreiche Rechtspraktiken und Waldnutzungen entwickelt. Rechte und Pflichten veränderten sich dabei weniger als vielmehr die Verfahrensweisen, mit denen der Wald bewirtschaftet und gepflegt wird. So kommen heute statt traditioneller Geräte Motorsägen zum Einsatz oder es wurden die Regeln der Holzzuteilung angepasst. Zentral ist nach wie vor der Gedanke der Nachhaltigkeit, der auf ein langfristiges Erben und Vererben und die Bindung der Menschen an ihren Wald zielt.

Zur Ausstellungseinheit: KulturErben lernen, können, vermitteln