Der weiße Kunigundenmantel. Im Auftrag des Kaisers? Die Ursprungskonzeption

Vom Ursprungsobjekt sind über 72 Kaiserdarstellungen und nur noch 441 Buchstaben erhalten. Die Anlegerichtung der Goldfäden folgt dabei stets der Kettfadenrichtung des originalen Trägergewebes, sodass die ursprüngliche Anordnung in parallelen Reihen über- und untereinander auf einem rechteckigen Textil ohne Zweifel feststeht.

Der überwiegende Teil der Goldstickerei ist mit roten Haltefäden fixiert. Nur wenige, prominente Stellen innerhalb der Goldstickerei – wie im Gesicht, in der Krone und der Rahmung des Labarum sowie an den Ärmelmanschetten – haben eine dunkelbraune, fast schwarze Binnenzeichnung.

Eine vergleichende Materialanalyse der Goldfäden aus dem Bereich der Kaiserdarstellungen und der Inschriften zeigt eine nahezu identische Metallzusammensetzung. Eine Analyse der Haltefäden bestätigt dies. Damit sind Kaiserdarstellungen und Inschriften zweifelsfrei zur selben Zeit in der gleichen Werkstatt entstanden.

Aufgrund der stark in den Originalbestand eingreifenden Veränderungen im Laufe der Zeit ist die Ursprungsdisposition kaum mehr zu rekonstruieren. Zwei Möglichkeiten bieten sich an, schließen aber weitere nicht aus.

Einerseits könnte es sich um eine Decke für das Grab Heinrichs II. (973-1024, reg. 1014-1024) gehandelt haben, wofür die Genitivform des erhaltenen Kaisernamens spricht. Nach Veränderungen am Kaisergrab könnte sie nutzlos geworden sein, was die sehr radikale Umarbeitung im Mittelalter erklären würde. Die im ältesten Bamberger Schatzverzeichnis von 1127 gestickte Grabdecke ist bereits ab dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden.

Andererseits könnte es sich ursprünglich um einen kaiserlichen Mantel gehandelt haben. In der zeitgleichen Buchmalerei sind noch über die Zeit Heinrichs II. hinaus weltliche Männermäntel in rechteckiger Form belegt. Dem ist entgegenzuhalten, dass Kaiser eigentlich nie ihr eigenes Bildnis auf den Gewändern trugen. Nur Kaiserinnen konnten dies tun. Die Inschrift HEINRICI widerspricht dem nicht. Und genau dieser Aspekt könnte die Verknüpfung des Gewandes mit dem Namen Kunigundes (gest. 1033) in der Bamberger Tradition erklären.

Tanja Kohwagner-Nikolai