Historische Wiesn-Töne
Die Volksfest-Atmosphäre auf dem Oktoberfest wird insbesondere von der typischen Geräuschkulisse getragen. Zwischen den lauten Tönen der vielen Fahrgeschäfte, die sich mit den Gesprächsfetzen der freudetrunkenen Festbesucher mischen, schallen auch immer wieder die Klänge der Musikkapellen über die Theresienwiese. Interessant ist auf dem Oktoberfest vor allem die musikalische Mischung, die geboten wird: Bis zum späten Nachmittag musizieren meist Blaskapellen in den Festzelten. Abends wird die Stimmung dann von Party-Bands angekurbelt. Von der Landeshauptstadt München gibt es die Vorgabe, dass vor 18 Uhr keine "aufheizende Musik" gespielt werden darf. Seit Beginn der 1980er-Jahre wird jedes Jahr das in den Festzelten am häufigsten gespielte Lied inoffiziell zum sogenannten "Wiesn-Hit" gekürt.
Gemeinsam mit dem Archiv für Volksmusik und regionale Literatur am Zentrum für Volksmusik, Literatur und Popularmusik des Bezirks Oberbayern lädt bavarikon in diesem Ausstellungskapitel zu einer akustischen Reise über die historische Wiesn ein. Dafür wurden elf Schellack-Aufnahmen aus der umfangreichen Sammlung der historischen Tondokumente des Archivs ausgewählt. Diese akustischen Schätze stammen aus der Zeit von 1906 bis 1938.
Die hier präsentierten historischen Aufnahmen bieten einen Einblick in die Geschichte der Aufnahmetechnik. Das Prozedere einer Tonaufnahme sah vor, dass die Interpreten in einen Schalltrichter spielten oder sprachen, welcher zu einer Membran führt. Diese war verbunden mit einem sog. Schneidstichel, der die Aufnahme in eine Wachsmatrize eingravierte. In der Fabrik wurde diese Vorlage schließlich auf beliebig viele Schellackplatten übertragen – ein gewaltiger Fortschritt, wenn man bedenkt, dass die frühesten Tonaufnahmen auf Wachswalzen im späten 19. Jahrhundert jeweils einzeln besungen werden mussten. Zur schwankenden Tonqualität der Aufnahmen: Die älteren Schellackplatten wurden noch in akustisch-mechanischer Aufnahmetechnik hergestellt und sind deshalb sehr viel stärker mit Störgeräuschen überlagert als die Platten, die ab dem Ende der 1920er-Jahre in elektrischer Aufnahmetechnik produziert wurden. Jede Platte bietet dabei ein einzigartiges Hörerlebnis: Beim Abspielen mittels Grammophon wurden für gewöhnlich Stahlnadeln verwendet, welche aufgrund ihrer Materialhärte Beschädigungen an den filigranen Rillen mit den Toninformationen bewirkten. Wurde eine Platte – als normales Gebrauchsmedium ihrer Zeit – zum Tonkonsum abgespielt, gingen damit unwiederbringlich Toninformationen verloren.
Julia Misamer, Theresia Schusser
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