Burg zum Winzerer Fähndl

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich die Wiesn stark zu verändern: Immer mehr Besucher kamen, der Münchner Magistrat wollte das Fest attraktiver gestalten. Wirte vergrößerten ihre Bierbuden erheblich, indem sie die Außenbereiche mit Zelten überdachten. Die Münchner Brauereien verkauften nicht mehr nur ihr Bier an die Wiesnwirte, sondern traten nun selbst als Inhaber und Bauherrn von Bierhallen auf. Da deren Dimensionen den Wirtsbudenring sprengten, wurden sie auch außerhalb aufgebaut – der Beginn einer neuen Epoche für das Oktoberfest.

Den Anfang machte die Thomasbrauerei (1928 mit Paulaner fusioniert), die seit 1895 eine Festhalle im Stile einer Burg mit Wehrturm betrieb. Pächter war die Armbrustschützengilde zum "Winzerer Fähndl", benannt nach dem Tölzer Landsknecht Kaspar Winzerer. Bald übernahm die Brauerei das Zelt komplett, behielt allerdings den Namen bei. Die Schützengilde machte daraufhin ihre eigene Bierbude auf, die sich letztlich zum Armbrustschützenzelt entwickelte. Das Winzerer-Fähndl-Zelt hatte dagegen mit den Schützen nichts mehr zu tun, wurde aber erst 2018 in "Paulaner-Festzelt" umbenannt.

Die Gilde veranstaltete 1895 auf Wunsch der Stadt einen Schützenzug und richtete ein Armbrustschießen aus, das von nun an jedes Jahr stattfand. Im Jahr darauf schenkte Karl Joseph Zwerschina (1850-1928), Gründer des Winzerer Fähndl, dem Münchner Stadtmuseum das hier gezeigte Erinnerungsstück. Mit dem Adler und den beiden "Vogelzungen" links und rechts weist es zwei Elemente auf, auf die geschossen wurde. Laut dem Text unter dem Doppeladler hat Zwerschina die beiden Zungen mit zwei Schüssen hintereinander zu Boden geholt. Das Armbrustschießen entwickelte sich zu einer anerkannten Sportart: Bis in die Gegenwart wird im Armbrustschützenzelt das "Landesschießen" ausgetragen, das 2022 Eingang in die Liste des immateriellen bayerischen Kulturerbes fand.

Matthias Bader