Steilwand-Kitty
Um 1930 traten in Deutschland und auch auf dem Münchner Oktoberfest erstmals Steilwand-Artisten auf. Als ob es keine Schwerkraft gäbe, rasten diese in einem großen Holzkessel meist auf laut knatternden Motorrädern an den Wänden entlang. Um das zahlende Publikum anzulocken, lieferten sich die Artisten oft Wettkämpfe um den waghalsigsten Stunt. Fünf Jahre später war es eine aus einer Hamburger Schaustellerfamilie stammende junge Steilwandfahrerin, die Wiesn-Geschichte schrieb.
Es war der bekannte Steilwand-Schausteller Pitt Löffelhardt, der Kitty Mathieu (1910-1990) im Jahr 1935 für seine Attraktion engagierte. Als eine der ersten Fahrerinnen in diesem ansonsten von Männern geprägten Metier konnte sich die Artistin bereits seit Beginn der 1930er-Jahre einen Namen machen. Mit dem Programm "Kitty und ihre beiden Pitts" trat die als "Steilwand Kitty" bekannte Artistin über Jahre auf dem Oktoberfest auf und wurde schnell zum Publikumsliebling. Der "Todeskessel" von Löffelhardt gehörte kurz vor und nach dem Krieg zu den beliebtesten Wies-Attraktionen überhaupt – nicht zuletzt aufgrund der tollkühnen Ausnahmeartistin, die das Publikum und den Boulevard faszinierte. In einem Hörspiel über einen Oktoberfestbesuch äußert sich der bekannte Komiker Valentin (1882-1948) beeindruckt von der Steilwandfahrerin: "Was die für einen Schneid hat, da kann sich mancher Schneider dran ein Beispiel nehmen."
Ab dem Jahr 1951 hatte Mathieu, die 1949 den Schausteller Franz Mathieu geheiratet hatte, ihre eigene Steilwand. Zum letzten Mal trat die Artistin mit 58 Jahren darin auf, danach leitete sie das Unternehmen.
Zum letzten Mal stand das Geschäft 1987 auf dem Münchner Oktoberfest. Das hier gezeigte Steilwand-Motorrad "Indian Scout 101" von 1921 ist eine originale Maschine von Kitty Mathieu aus der Steilwand-Attraktion "Im Banne der Motoren". Noch heute erinnert "Pitt’s Todeswand" auf dem Oktoberfest an die Wirkungsstätte dieser legendären Wiesn-Persönlichkeit.
Julia Misamer