Zeugnisse jüdischen Lebens aus Kempten

Erste Zeugnisse jüdischen Lebens in der früheren Reichstadt Kempten stammen aus dem 14. Jahrhundert. 1373 erhielt Kempten für sechs Jahre von Kaiser Karl IV. (1355-1378) das Recht des Judenschutzes. König Wenzel (gest. 1419) setzte diese Politik fort. 1561 kam es zur Ausweisung von Juden durch die Stadt. Im Fürststift Kempten war ab 1587 der Handel mit Juden untersagt. Trotz Aufhebung dieses Verbots kam es im 17. und 18. Jahrhundert zu ähnlichen Verordnungen. Jüdische Händler hielten sich darum stets nur für die Dauer ihrer Handelsgeschäfte in Kempten auf. Eine Ausnahme war der jüdische Hoffaktor Mayr Seligmann, der eine Handelskonzession sowie 1692 das Recht erhielt, mit seiner Familie in einem der stiftseigenen Gebäude zu wohnen. 1803 fielen Stadt und Stift Kempten an das Königreich Bayern. Als Juden 1861 ihren Wohnsitz frei wählen durften, kam es zum vermehrten Zuzug in die Stadt. 1880 lebten hier über 70 jüdische Mitbürger. Sie arbeiteten als Kaufleute, Bankiers oder Fabrikbesitzer. Seit 1875 bestand in Kempten eine Filialgemeinde der Kultusgemeinde Memmingen. Die Kemptener Judenschaft hatte einen eigenen Vorstand und war weitgehend selbstständig. Sie verfügte zwar über einen Betsaal, jedoch nicht über eine Synagoge, Mikwe oder Schächterei. 1876 wurde eine jüdische Begräbnisstätte eingerichtet.
Schon 1919 fanden in Kempten antisemitische Hetzkampagnen statt. Zu Beginn der NS-Zeit (1933) grenzte man die 50 dort lebenden Juden zunehmend aus dem Leben der Stadt aus. Während des Novemberpogroms (1938) wurden jüdische Männer festgenommen und wochenlang inhaftiert. Der Hälfte der Juden gelang es, auszuwandern, die Verbliebenen mussten in das sog. "Judenhaus" umziehen, bis sie 1942 nach Piaski und Theresienstadt deportiert und ermordet wurden. Der jüdische Friedhof mit einer Gedenkstätte sowie zwei Mahnmale auf dem Friedensplatz erinnern heute an die Geschichte der jüdischen Gemeinde Kempten. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben und die Städtische Museumssammlung Kempten zeigen Ritualgegenstände.
Die Sammlung präsentiert ausgewählte Zeugnisse jüdischen Lebens in Kempten: Fotografien ehemaliger Wohn- und Geschäftshäuser, einer Gedenkstätte, von Mahnmalen, Kult-, Ritual- und Alltagsgegenständen. Besonders kostbar sind ein aus Kempten überliefertes Koffer-Ensemble und ein Tora-Schild mit Tora-Aufsätzen. Ebenfalls zu sehen sind eine Tora-Rolle aus der früheren jüdischen Gemeinde sowie Alltagsgegenstände, darunter ein Zinnteller und ein Schuhlöffel.
Text: Dr. Ingvild Richardsen (Universität Augsburg)
>> Diese Sammlung ist ein Teil der Sammlung "Das jüdische Erbe Bayerisch-Schwabens. Kultur und Alltag des Landjudentums von 1560-1945" unter Beteiligung folgender Partner: