Zeugnisse jüdischen Lebens aus Thannhausen
In Thannhausen, einer Kleinstadt im schwäbischen Landkreis Günzburg, die 1806 durch die Rheinbundakte zu Bayern kam, bestand vom frühen 16. Jahrhundert bis 1717/18 eine bedeutende jüdische Gemeinde, die sogar über eine eigene Druckerei verfügte. 1348 erhielten das Hochstift Augsburg und die Markgrafschaft Burgau das Lehensrecht über Thannhausen. Die Ansiedelung jüdischer Familien wurde Anfang des 16. Jahrhunderts durch die Ortsherren gefördert, da diese durch die Erhebung von Schutzgeldern und weiteren Gebühren zusätzliche Einnahmen erhielten. Die jüdische Gemeinde wuchs rasch. Seit 1566/67 bestand ein Beerdigungsgelände. 1569 wurde die Herrschaft über Thannhausen dem Augsburger Patrizier Baumgartner und den Freiherren von Hohenschwangau übertragen. Die Druckerei in Thannhausen wurde zwischen 1592 und 1594 betrieben und brachte u.a. den bekannten Machsor Druck (Universität Oxford) heraus. Um 1620 gehörte die jüdische Gemeinde Thannhausens zu den größten und bedeutendsten in Schwaben, nicht zuletzt aufgrund der Zuwanderung vertriebener jüdischer Familien aus Günzburg und Burgau (1617/1618). Zudem hatte der Kaiser 1618 ein Privileg erlassen, das jüdischen Bewohnern in Thannhausen und anderen Orten der Region Wohnrecht einräumte. Als Gegenleistung musste ein jährlicher „Opferpfennig“ gezahlt werden. 1627/1628 ließ die jüdische Gemeinde eine Synagoge erbauen und unterhielt bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges sogar eigene Bildungseinrichtungen. 1710 lebten in Thannhausen rund 20 Familien, die mit Salz, Vieh und Textilien handelten. Unter Graf Johann Philipp von Stadion wurden die jüdischen Einwohner 1717/1718 aus Thannhausen vertrieben. Heute erinnern die "Judengasse" und die auf den Grundmauern der 1720 abgerissenen Synagoge errichtete Stadionkapelle an die einstige jüdische Gemeinde. Ein Opferstock (um 1700), der noch aus der früheren Synagoge stammt, christlicherseits gezielt verändert wurde und heute in der Stadionkapelle steht, ist das einzige erhaltene materielle Relikt. In Thannhausen gedruckte Bücher gehören heute zu Raritäten des jüdischen Buchwesens. Auf ehemalige jüdische Familien in Thannhausen geht auch der Name Thannhauser zurück, der in der Kunstwelt Berühmtheit erlangte.
Die Sammlung präsentiert neu erstellte Fotografien der Stadionkapelle und des sogenannten Opferstocks. Die Objekte werden vom Heimatverein Thannhausen e.V. im Auftrag des Grafen Alexander von Schönborn betreut.
Text: Dr. Ingvild Richardsen (Universität Augsburg)
>> Diese Sammlung ist ein Teil der Sammlung "Das jüdische Erbe Bayerisch-Schwabens. Kultur und Alltag des Landjudentums von 1560-1945" unter Beteiligung folgender Partner: