Jüdisches Leben in Ichenhausen zur Zeit der Markgrafschaft Burgau (1541-1805)
Für den Markt Ichenhausen ist seit 1541 jüdisches Leben belegt. Der Ort gehörte ab dem 14. Jahrhundert zur Markgrafschaft Burgau, die seit 1301 Teil von Vorderösterreich war. Die Habsburger förderten in dieser Region gezielt jüdische Ansiedelungen, um ihre machtpolitischen Ansprüche auszubauen. Mit dem "Recht der Judenaufnahme" stützten sowohl die Markgrafschaft als auch die – oft verarmten – Ortsherren ihre politischen Herrschaftsansprüche und ließen sich den "Judenschutz" durch Abgaben bezahlen. Zudem bot sich kleineren Orten die Möglichkeit, durch den hauptsächlich von Juden betriebenen Geld- und Warenhandel an wirtschaftlicher Attraktivität zu gewinnen. Auch für die Ortsherren von Ichenhausen war der Judenschutz eine wichtige Einnahmequelle. Unter der Herrschaft Bertholds von Roth (1541-1560) wird erstmals ein jüdischer Bürger in einer offiziellen Quelle genannt: So belegt die Urkunde vom 31. Mai 1541 den Rechtsstreit eines David aus Burgau. Aus dem Jahr 1544 stammt ein in Ichenhausen gedrucktes, von Josef ben Jakar aus dem Hebräischen ins Jüdischdeutsche übersetztes Gebetbuch für Frauen. Letztere durften nicht in der Heiligen Sprache unterrichtet werden und konnten (wie im Übrigen auch viele Männer) die Gebete nicht im ursprünglichen Wortlaut verstehen.
Nachdem die Herrschaft über den Markt Ichenhausen von den Edlen zu Roth auf die Freiherren vom Stain (1574) übergegangen war, wurde die Ansiedelung von Juden aus wirtschaftlichen Erwägungen besonders gefördert. 1657-1784 kam es zur Teilung in eine "unter-" und eine "oberschlossliche" Herrschaft. Ein Ölgemälde (1784) zeigt die Wiedervereinigung der gleichberechtigt dargestellten Bevölkerungsgruppen beider Teile des Marktes Ichenhausens (Juden und Christen). Im 18. Jahrhundert konnten die Juden ihre rechtliche und wirtschaftliche Stellung in Ichenhausen festigen. 1712/13 legte die jüdische Gemeinde ein Memorbuch an, das die Erinnerung an die Toten der Gemeinde bewahrte. 1717 ersetzte der "Burgauer Rezess" alle bis dahin an einzelne Juden des Ortes ausgestellten Schutzbriefe und bestätigte zahlreiche Rechte der Juden.
Ein um 1750 angefertigter Ortsplan von Ichenhausen zeigt – farblich gekennzeichnet – Häuser, die sich in jüdischem Besitz befanden. Er stammt vom Militär und Kartographen Johann Lambert Kolleffel (1706-1763), der in österreichischen Diensten stand, und bildete die Grundlage für die von Juden zu leistenden Abgaben. Das sogenannte "Friedbergerhaus" (1763), das noch heute erhalten ist, bezeugt mit seiner Größe und Ausstattung den Wohlstand mancher Juden in Ichenhausen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wuchs die jüdische Gemeinde stetig – zeitweilig war sie die größte in der Markgrafschaft Burgau. Auch die örtliche Synagoge, die über einem Vorgängerbau (1687) im Jahr 1781 mit angebautem Rabbinatshaus errichtet wurde, spiegelte in Größe und Pracht die überregionale Bedeutung der jüdischen Gemeinde wider. Bis ins angehende 19. Jahrhundert war die jüdische Gemeinde in Ichenhausen relativ selbstständig und bildete eigene Institutionen aus. Obgleich die weltliche Obrigkeit auf Einmischung in das durch Religion und Tradition geregelte Leben verzichtete, konnte eine vollständige Gleichstellung mit den Christen dennoch nicht erreicht werden. So war es Juden bis 1805 in Ichenhausen nicht erlaubt, innerhalb des Marktes zu wohnen; auch außerhalb wurden ihnen nur 35-40 Häuser zugestanden. Die Zeit, in der Ichenhausen zur Markgrafschaft Burgau gehörte, war von einer kulturellen Blüte jüdischen Lebens gekennzeichnet. Aus diesem Zeitraum stammt auch die bedeutende Tora-Wimpelsammlung, die in den 1990er-Jahren auf dem Dachboden der Ichenhausener Synagoge gefunden wurde.
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