Jüdisches Leben in Ichenhausen im Königreich Bayern und der Weimarer Republik (1806-1933)

Die vorderösterreichische Markgrafschaft Burgau, zu der auch Ichenhausen gehörte, umfasste seit dem 14. Jahrhundert (1301) einen bedeutenden Teil des heutigen Bezirks Schwaben. Im Frieden von Pressburg (1805) musste Österreich das Territorium an Bayern übergeben. 1813 wurden die Rechtsverhältnisse im sogenannten Judenedikt für ganz Bayern neu geregelt. Dieses brachte zwar Bürgerrecht und Gewerbefreiheit, beschränkte aber Zuwanderung und Freizügigkeit. Das restriktive Edikt hatte eine Welle der Auswanderung zur Folge. Die Juden mussten sich in einer Matrikel registrieren lassen, worunter ein Verzeichnis für die festgeschriebene Zahl von jüdischen Haushalten an einem Ort zu verstehen ist. In Ichenhausen wurden 200 Matrikelnummern vergeben. Immerhin fiel die Beschränkung des Wohngebietes weg – Juden durften in Ichenhausen nun auch im "Inneren Markt" Häuser kaufen. Auch die Autonomie jüdischer Gemeinden in innerjüdischen und schulischen Belangen wurde aufgehoben und die religiöse Unabhängigkeit beschränkt. Ebenso begann der Staat, das Leben der jüdischen Gemeinden umfassend zu regeln. 1833 erhielt Ichenhausen eine eigene jüdische Schule unter staatlicher Aufsicht. Um 1830 gab es dort 217 jüdische Haushalte mit ca. 1.300 Personen (fast die Hälfte aller Ortseinwohner). Ichenhausen war nach Fürth die zweitgrößte jüdische Gemeinde Bayerns; erst 1840 wurde sie von München übertroffen. Die Aufhebung des Matrikelgesetzes 1861 und die rechtliche Gleichstellung durch das Reichsgesetz 1871 führten dazu, dass seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Juden aus Dörfern in kleinere und größere Orte und Städte zogen. 1870 war Ichenhausen mit ca. 750 jüdischen Einwohnern immer noch die größte Landjudengemeinde in Bayern. Die Synagoge wurde 1853 und 1896 weiter umgebaut. Nach 1813 stieg das Rabbinat Ichenhausen zum Sitz des Bezirksrabbinats auf. 1894/95 erhielt der Ort ein neues, repräsentatives Rabbinatshaus. Um 1862 wurde ein Armenhaus gebaut.

1913 verlieh Prinzregent Ludwig, der spätere König Ludwig III. (1845-1921, reg. 1913-1918), das Stadtrecht an Ichenhausen, nicht zuletzt aufgrund dessen großer Bedeutung in Handel und Textilgewerbe, an der jüdische Produktionsbetriebe beträchtlichen Anteil hatten. Das Stadterhebungsfest wurde von Juden und Christen gleichermaßen gefeiert. Ein wohl zu diesem Anlass angelegtes Album, das Ichenhausen in 29 Postkarten zeigt, lässt die Wertschätzung erkennen, mit der die Stadt die jüdische Gemeinde als integralen Teil von Ichenhausen begriff. Auf vier Postkarten werden jüdische Gebäude und Einrichtungen präsentiert: die Synagoge mit angebautem Rabbinatshaus, das neue prächtige Rabbinatshaus von 1896, der Innenraum der Synagoge und die jüdische Schule. Die Begeisterung und der Einsatz für Vaterland und Nation im Kaiserreich einte Christen und Juden auch im Ersten Weltkrieg und während der Revolution. Dies bezeugen Ehrentafeln, mit denen die jüdische Gemeinde ihrer 13 Gefallenen im Ersten Weltkrieg gedachte. Die Tafeln waren in der Synagoge rechts und links vom Tora-Schrein angebracht.

Danach begann die Konfrontation zwischen Gegnern und Befürwortern der Weimarer Verfassung. Zu Letzteren zählten in Ichenhausen vor allem Juden und Arbeiter. In den 1920er-Jahren kam es zu ersten antisemitischen Übergriffen, wie ein Flugblatt zeigt, gegen das jüdische Gemeinde und Stadtrat gleichermaßen protestierten. Auf einer Fotografie, die den Ichenhausener Stadtrat im Jahr 1927 zeigt, sind u. a. die jüdischen Stadträte Saly Dollmann, Moritz Frank, Julius Krämer (alle SPD) und Aaron Heller (Deutsche Demokratische Partei) zu sehen. Bis 1933 waren Juden in den Gremien der Stadt Ichenhausen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten.

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