Jüdisches Leben in Ichenhausen in der NS-Zeit (1933-1943)
Das nach der ersten jüdischen Ansiedelung (um 1541) 400 Jahre lang andauernde friedliche Zusammenleben von Juden und Christen in Ichenhausen endete 1933 gewaltsam mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Es folgten Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Einwohner. 1933 lebten in Ichenhausen nur noch 350 Jüdinnen und Juden (14 % der Bevölkerung). Sie wurden aus Öffentlichkeit, Stadtrat und Vereinen verdrängt. Letzteres zeigt sich am Beispiel des "Jüdischen Jugendvereins Ichenhausen", der ab 1933 neben der Kultusgemeinde und dem "Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten" eine der wenigen jüdischen Organisationen war, die in Ichenhausen noch aktiv sein durften: Am 1. Dezember 1934 wurde der Vorsitzenden Ruth Erlanger mitgeteilt, dass der am 7. Oktober von ihr beantragte "Heim und Elternabend mit kleineren jüd. theatralischen Aufführungen, sowie mit neuhebräischen Gesängen und Musikstücken" nicht genehmigt sei. Die "Nürnberger Gesetze" (1935) beendeten die 1871 im Deutschen Reich garantierte Gleichstellung von Juden und Christen. Private und geschäftliche Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen waren fortan verboten. Das Steuerprotokollbuch (1933-1938) der Jüdischen Kultusgemeinde Ichenhausen ist ein zentrales Dokument der NS-Zeit. Mit dem 1. November 1938, der letzten Sitzung vor der Reichspogromnacht (9./10. November), brechen die Protokolle ab. Die Synagoge Ichenhausen wurde schwer beschädigt und als Gotteshaus entweiht, jüdische Menschen wurden misshandelt, 125 Ichenhausener Juden ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Eine Liste mit Unterschriften der letzten jüdischen 20 Geschäftsinhaber und Geschäftsinhaberinnen Ichenhausens vom 5. Dezember 1938 zeigt, dass sie dem Ichenhausener Bürgermeister die am 29. November 1938 verfügten staatlichen Beschränkungen "zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" mit ihrer Unterschrift zu bestätigen hatten.
Zum 1. Januar 1939 mussten Geschäfte in jüdischem Besitz aufgelöst oder an 'Arier' verkauft werden, was in Ichenhausen kaum gelang. Unter diesen Gegebenheiten ergriff ein Großteil der jüdischen Bevölkerung die Flucht; einige zogen in Großstädte oder wanderten aus. Von den 437 Juden, die in den letzten 10 Jahren in Ichenhausen gemeldet gewesen waren, gelang nur 172 die Emigration in andere Länder. Wie schwierig dies war, zeigen die Fälle des Justin Henle und der Sophie Gerstle. Henle, der mit 26 Jahren 1939 einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses stellte, gelang es erst bei einem zweiten Anlauf, 1941 in die USA auszureisen. Die 68-jährige Sophie Gerstle, die – nach zwei gescheiterten Ausreiseanträgen – bei einem dritten Versuch 1941 nach Südamerika emigrieren wollte, verwehrte man die Ausreise. Sie wurde später nach Theresienstadt gebracht und in Auschwitz ermordet. Die letzten in Ichenhausen ansässigen Juden wurden 1942 und 1943 in Konzentrationslager deportiert. Das aus dem Jahr 1951 stammende "Verzeichnis der Juden, die in den Jahren 1942 und 1943 aus Ichenhausen deportiert wurden", dokumentiert die Verschleppung von 125 Menschen in Konzentrationslager. Seit 1993 erinnern Gedenktafeln an einer Wand im Vorhof der ehemaligen Synagoge an die jüdischen Opfer der NS-Zeit – Männer, Frauen und Kinder Ichenhausens.
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