Die ehemalige Synagoge Ichenhausen

Die Synagoge ist Mittelpunkt des religiösen und sozialen Lebens einer jüdischen Gemeinde. Sie dient dem Gebet, dem Lernen und der Begegnung, bietet Platz für Gottesdienst und Zeremonien, für Feste und Zusammenkünfte. Wesentlicher Bestandteil einer Synagoge ist der Tora-Schrein, die heilige Lade an der Ostwand. Hier werden die Tora-Rollen aufbewahrt. Die Tora, die Heilige Schrift der Juden, besteht aus den fünf Büchern Mose. Als Teil der hebräischen Bibel ist sie in hebräischer Schrift verfasst, auf Pergament, das von Hand aus der Haut koscherer ("reiner") Tiere gefertigt wurde. Die Tora-Rolle ist auf zwei Holzstäbe aufgewickelt. Sie wird mit einem Vorhang bedeckt, einem bestickten Mantel, der sie beschützen und verzieren soll. Zur Lesung der Tora-Rollen dient ein erhöhter Platz (Almemor oder Bima) in einer Synagoge. Kostbarer Schmuck zeichnet die Tora-Rollen aus. Tora-Schilder (hebr. Tas) hängen an den einzelnen Tora-Rollen einer Synagoge, um anzuzeigen, für welche Feiertage sie vorbereitet sind. Die Schilder trugen zunächst nur den Namen der Feiertage; Später entstanden zunehmend prachtvoll verzierte Tora-Schilder mit einem Fenster, in welches das Täfelchen für den jeweiligen Feiertag eingeschoben werden konnte. Tora-Aufsätze (Rimon) treten immer paarweise auf. Sie schmücken die Enden der beiden Stäbe, um welche die Tora gerollt ist.

Der heutige Bau der ehemaligen Synagoge Ichenhausen mit angebautem Rabbinatshaus entstand 1781 im Stil des Frühklassizismus. Teile eines Vorgängerbaus (1687) wurden im Neubau weiterverwendet, sicher das Eingangsportal. Auf einer Fotografie von 1950 ist es noch mit drei hebräischen Schrifttafeln zu sehen, von denen heute nur zwei erhalten sind. Sie erinnern an die Fertigstellung des zweiten Synagogenbaus von 1781/82 sowie an die Umbauten von 1853 und 1896. Die bisher bekannten ältesten Fotografien mit Ansichten der Ichenhausener Synagoge befinden sich in einem Postkartenalbum, das wohl 1913 anlässlich der Erhebung Ichenhausens zur Stadt angelegt wurde. Eine nach 1922 entstandenen Fotografie zeigt den Raum von 1781 (Umfassungswände, Decke) noch in der Ausgestaltung des 19. Jahrhunderts: Zu sehen sind die hölzernen Emporen entlang der Seitenwände von 1853 und die Neuausstattung (Tora-Schrein, Lampen, Fenster, vermutlich auch Bänke) sowie die gemalte Dekoration von 1896.

Von Theodor Harburger (1887-1949), der 1927/28 im Rahmen der Inventarisation jüdischer Kulturgüter in Bayern fotografierte, sind verschiedene Aufnahmen überliefert, darunter eine damalige Außenansicht der Synagoge Ichenhausen. Auf weiteren Fotografien werden auch der damalige Tora-Schrein, zwei Tora-Vorhänge, ein Tora-Schild und ein Tora-Aufsatz gezeigt. In der Novemberpogromnacht 1938 wurde die Synagoge von den Nationalsozialisten als Gotteshaus entweiht, der Innenraum verwüstet und der Tora-Schrein zerstört. Eine Fotografie von 1938 zeigt den Zustand des Schreins nach der Pogromnacht.

Die einst umfangreichen Kultgerätschaften der Ichenhausener Synagoge sind fast gänzlich verschollen oder 1938 zerstört worden. Abgesehen von dem hier präsentierten Tora-Schild und dem Tora-Aufsatz aus dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben vermitteln oft nur noch alte Ansichtskarten und Fotografien einen Eindruck des einstigen Tora-Schreins und -schmucks.

Die von Harburger fotografierten Tora-Vorhänge und das Tora-Schild sind verloren, der 1927 von ihm fotografierte Tora-Aufsatz befindet sich heute im Jüdischen Museum Augsburg. Während der Kriegs- und Nachkriegszeit diente die ehemalige Synagoge als Lagerraum. 1953 verkaufte die JRSO (Jewish Restitution Successor Organization) sie an die Stadt Ichenhausen. Bei der Restaurierung (1985-1987) erhielt der Innenraum seine ursprüngliche Gestalt weitgehend zurück. Träger des Baus ist die "Stiftung Ehemalige Synagoge Ichenhausen – Haus der Begegnung", die Lesungen, Konzerte, Diskussions-, Gedenkveranstaltungen und Führungen durch das Gebäude sowie die Dauerausstellung veranstaltet, in der auch zwei erhaltene Säulen des ehemaligen Tora-Schreins besichtigt werden können. 2022 neuerstellte Fotografien präsentieren die heutige Außenansicht und den restaurierten Innenraum der ehemaligen Synagoge.

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