Ehemalige jüdische Wohn- und Geschäftshäuser in Ichenhausen
Mitte des 18. Jahrhunderts, als Ichenhausen noch der Markgrafschaft Burgau unterstand, zeichnete der in österreichischem Dienst stehende Militär und Kartograph Johann Lambert Kolleffel (1706-1763) – zusammen mit 522 weiteren Ortschaften der Markgrafschaft Burgau – den ersten Ortsplan von Ichenhausen. Dieser Plan, in dem die Häuser, die sich in jüdischem Besitz befanden, farblich gekennzeichnet waren, bildete auch die Grundlage für deren Abgaben an die markgräfliche Verwaltung. Er zeigt, dass sich um 1750 von den insgesamt 160 Häusern in Ichenhausen 40 Häuser in jüdischer Hand befanden. Ausgespart war nur der "Innere Markt". Als die Markgrafschaft Burgau 1805 an das Königreich Bayern fiel, wurden die Rechtsverhältnisse der Juden für ganz Bayern neu geregelt. Auch wenn das "Judenedikt" von 1813 mit seinem Matrikelgesetz die Anzahl jüdischer Haushalte an einem Ort begrenzte, fiel doch die Beschränkung des Wohngebietes weg: Juden durften in Ichenhausen nun auch im "Inneren Markt" Häuser kaufen. Um 1830 gab es in Ichenhausen 217 jüdische Haushalte mit ca. 1.300 Personen (fast die Hälfte aller Ortseinwohner). Um 1835/40 war von etwa 300 Häusern über ein Drittel (etwa 120) in jüdischem Besitz, um 1870 lebten dort noch etwa 750 Juden, 1933 noch 350 (14 % der Bevölkerung).
In Ichenhausen sind heute viele frühere jüdische Wohn- und Geschäftshäuser erhalten. Gezeigt werden ein typisches früheres jüdisches Mehrfamilienhaus, das heute unter Denkmalschutz steht, sowie eine Auswahl von Privat- und Geschäftshäusern, vornehmlich solche, die auch heute noch unter den Namen der früheren jüdischen Besitzer bekannt sind. Zu sehen sind die Gebäude früherer bedeutender Textilgeschäfte bzw. Textilfabriken, wie das "Rosskammhaus", der frühere "Wimpfheimer" (heute auch "Kuglerhaus" genannt), das frühere Textilgeschäft "Frankenheimer" und das "Seligmannhaus", in dem die Eltern des bekannten Schriftstellers Rafael Seligmann lebten und ein Textilwarengeschäft betrieben. Im früheren Spiel- und Schreibwarengeschäft von Samuel Gabriel Heller, der auch einen Verlag unterhielt und dessen Sohn, Aaron Heller, Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde und Magistratsrat war, absolvierte der berühmte Hollywood Filmproduzent Carl Laemmle (1867-1939) von 1880 bis 1883 seine Lehrzeit.
Von spezieller Bedeutung ist das "Erlangerhaus", benannt nach Arnold Erlanger, der dieses zuletzt bewohnte, einer der zwei jüdischen Ortsansässigen, die den Holocaust überlebten. In seinen veröffentlichten Lebenserinnerungen schildert er sein Leben in Ichenhausen, Holland sowie in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald. Zwei unter Denkmalschutz stehende, ehemals jüdische Häuser stellen besondere Highlights dar: Im Garten des früheren Wohnhauses der Familie Stern, das von seinen heutigen Besitzern sorgsam gepflegt wird, befindet sich eine erhaltene Laubhütte (Sukka), die einzigartig in Bayern ist. Das 1763 erbaute "Friedbergerhaus" zeigt, in welchem Wohlstand einige jüdische Familien Mitte des 18. Jahrhunderts in Ichenhausen lebten. Bis in die NS-Zeit war "der Friedberger" eines der größten Textilgeschäfte des Ortes und blieb bis 1940 in Familienbesitz. Der frühere Seiteneingang des alten Hauses bestand im Urzustand aus einer breiten Tür mit zwei geschnitzten Flügeln. Erhalten ist davon der rechte Türflügel mit Türsturz, einer hebräischen Inschrift, einem in den Türbalken eingeschnittenen hebräischen Wunsch und einer Vertiefung für die Mesusa (Schriftkapsel am Türpfosten). Die Tür, die heute zu den bedeutendsten Zeugnissen jüdischer Kultur aus Ichenhausen zählt, kann in der Dauerausstellung der ehemaligen Synagoge Ichenhausen besichtigt werden.
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