KulturErben laden zum Miteinander ein

Immaterielles Kulturerbe beruht stets auf dem gemeinsamen Handeln von Menschen in Bräuchen und Festen, beim Musizieren, Tanzen und Theaterspielen oder beim handwerklichen Arbeiten. Die jeweils tätigen Gemeinschaften der KulturErben sind vielfältig und verändern sich immer wieder, sie wechseln mit der Generationenfolge, mit Mobilität und Migration, durch Integration, aber auch durch Ausschlüsse. In manchen Festen oder Bräuchen vergewisserte sich historisch eher die eigene Gruppe ihres Handelns und grenzte sich von anderen ab, andere gemeinschaftliche Praktiken sind schon länger offen für neue Mitwirkende und haben ein großes integratives Potential.

Das UNESCO-Übereinkommen fordert neben der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsvereinbarungen auch die freie Zugänglichkeit zu Kulturformen. Dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, ihrer sexueller Orientierung oder anderen Merkmalen von einer Teilhabe ausgeschlossen werden, ist für das immaterielle Kulturerbe im Sinne des UNESCO-Übereinkommens nicht akzeptabel. Doch der Ausschluss von Frauen von zentralen Praktiken in Bräuchen ist nach wie vor verbreitet. Die Offenheit musste und muss immer wieder neu ausgehandelt und umgesetzt werden. Ein Tanz oder Schauspiel will einstudiert sein, eine Handwerkstechnik muss eingeübt werden, für manche Teilhabe braucht man sogar eher "geheimes" Wissen. Viele Trägergemeinschaften haben schon früh Angebote für neu Hinzukommende entwickelt und bemühen sich, der sozialen Vielfalt in ihrem Umfeld gerecht zu werden.

Alle an einem Tisch: Brettspiele spielen

Ob Backgammon, Mensch-ärgere-dich-nicht oder Siedler von Catan: Beim Spielen von Brettspielen steht das gemeinsame Spielerlebnis im Vordergrund. Spielen bringt Menschen unterschiedlichen Alters oder Geschlechts zusammen, an Brettspielen kann sich Jede und Jeder beteiligen. Spielen hat damit eine inklusive Funktion. Voraussetzung des Spielens ist das Einüben von Regeln, an die sich alle Mitspielerinnen und Mitspieler halten. Jede Generation lernt die Spiele erneut und übernimmt oder modifiziert das Wissen der früheren Generationen. Das Spielen geht mit sozialen Aushandlungen am Spieltisch einher. Die Interaktion in der Spielegemeinschaft verläuft keineswegs immer harmonisch, sondern kann auch von Konflikten geprägt sein, die in diesem Kontext ausgetragen werden.

Das Spielen von Brettspielen kann bis in antike Kulturen zurückverfolgt werden. Das Wissen um das Spielen wurde und wird teils über Jahrhunderte über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg tradiert. Das Deutsche Spielearchiv Nürnberg, das Spielzeugmuseum Nürnberg und das Bayerische Spiele-Archiv Haar haben es sich, gemeinsam mit anderen Institutionen, zur Aufgabe gemacht, dieses Wissen zu erhalten und die Brettspielkultur zu fördern. Dazu gehören Forschungen und Ausstellungen, Archiv-Führungen sowie die Zusammenarbeit mit Spiele-Clubs.

Gelebte Integration: Gregorius-Feste

Die Gregorius-Feste, die in einigen oberfränkischen Orten jährlich begangen werden, sind heute für alle Kinder, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, zugänglich. Die Schulfeste, die in der Frühen Neuzeit an Lateinschulen entstanden sind, waren zunächst kirchlich gebunden. Sie wurden bis ins 18. Jahrhundert bei Katholiken und Protestanten gefeiert, später vor allem noch in protestantisch geprägten Gebieten. Angehörige der jeweils anderen Konfession waren ausgeschlossen. Die wichtigsten Elemente des Festes waren eine Messe und ein Umzug durch den Ort, meist angeführt von einem Kinderbischof oder Kinderpapst.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Fest ins Säkulare. Kinderpapst oder Kinderbischof wurden von einer weltlichen Figur abgelöst, meist einer Person des öffentlichen Lebens des jeweiligen Ortes. Diese führt nun den Kinder-Umzug durch den Ort an, der meist an einer Festwiese endet. Dort bilden die Tänze oder Spiele der Kinder den Höhepunkt des Festes. Heutzutage leistet das Fest einen wertvollen Beitrag zur Integration, da es alle Kinder anspricht. Auch Neuzugezogene, darunter Menschen mit Fluchterfahrungen, werden einbezogen und ihr Ankommen sowie Einleben im Ort wird erleichtert.

Reiterinnen ausdrücklich erwünscht: der Willibaldsritt Jesenwang

Beim Willibaldsritt im oberbayerischen Jesenwang ziehen in einer feierlichen Prozession Reiterinnen und Reiter in manchen Jahren mit bis zu 300 Pferden, einige Gespanne sowie andere geführte Tiere durch den Ort bis zur spätmittelalterlichen Wallfahrtskirche St. Willibald. Tausende Besucherinnen und Besucher begleiten den Umzug. Am Nordportal der Kirche segnen der katholischen Pfarrer und die evangelische Pfarrerin die geschmückten Pferde samt Reiterinnen und Reiter. Die Besonderheit des Ritts ist es, dass die Teilnehmenden die historische Willibaldkirche reitend durchqueren oder ihre Tiere durch diese hindurchführen.

Strikte Zulassungsbeschränkungen, wie man sie von anderen Umrittsbräuchen kennt, gibt es beim Willibaldsritt nicht, weder für die teilnehmenden Menschen noch für die mitgeführten Tiere. Die Teilnahme steht grundsätzlich allen Interessierten offen, Voraussetzung ist lediglich, dass Kenntnisse im Reiten oder im Führen von Pferden und Gespannen vorhanden sind. Reiterinnen sind hier ausdrücklich erwünscht. Die tierischen Begleiter sind nicht auf Pferde und Ponys beschränkt, sondern im Zug finden sich auch Esel, Kühe oder Ochsen, Hunde oder andere Vierbeiner.

Schauspielen für alle: die Fränkischen Passionsspiele Sömmersdorf

Im unterfränkischen Sömmersdorf beteiligen sich an der Aufführung der Passionsspiele jedes Mal rund 400 Personen aus der etwa 700-köpfigen Bevölkerung. Vertreterinnen und Vertreter des Trägervereins führen vor jeder Spielsaison eine Befragung vor Ort durch, um zu ermitteln, wer in welcher Funktion teilnehmen möchte und wer welche persönlichen Fähigkeiten einbringen kann. Zusätzlich unterstützen örtliche Vereine die Aufführung, sie regeln beispielweise den Verkehr und kümmern sich um die Versorgung der Gäste. So darf man sagen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Ortes am Gelingen der Passionsspiele beteiligt ist.

In Sömmersdorf dürfen bei den Passionsspielen all jene mitmachen, die ortsansässig sind, oder die einmal dort wohnten. Viele der Schauspielerinnen und Schauspieler sind seit Kindestagen dabei und haben sich im Lauf der Jahre schauspielerisches Wissen und Können angeeignet. Vor und hinter den Kulissen wechseln sie über die Zeit ihre Rollen. Um Frauen mehr Teilhabe zu ermöglichen, wurde das Spiel um weibliche Figuren erweitert und manche weibliche Rolle erhielt mehr dramaturgisches Gewicht.

Zur Ausstellungseinheit: KulturErben bewältigen Krisen