Nürnberger Spielzeug-Musterbücher aus dem 19. Jahrhundert
Spätestens im 18. Jahrhundert hatte sich Nürnberg als Hauptumschlagplatz des deutschen Spielwarenhandels etabliert. Dieser Erwerbszweig war ein wichtiger Teil des Geschäfts mit Manufakturwaren, dem so genannten "Nürnberger Tand". So nannte man heimische Produkte, aber auch Erzeugnisse, die außerhalb der Stadt hergestellt wurden. Nürnberger Kaufleute unterhielten rege Beziehungen zu den Zentren der hausindustriellen Spielzeugfertigung, die entlang wichtiger europäischer Handelsstraßen lagen. Sie traten als Großeinkäufer auf, belebten über den Austausch von Mustern den Handel und steuerten die Art der Produktion. Namhafte Unternehmen wie Förster & Günther, Assenbaum, Bestelmeier, Leuchs oder Roth & Rau organisierten ein riesiges Netzwerk. Da sich ihr Monopol nur schlecht umgehen ließ, konnten sie die Preise weitgehend diktieren.
Während im Großhandel der Verkauf im 18. und frühen 19. Jahrhundert über die Messen in Frankfurt und Leipzig abgewickelt wurde, organisierte man parallel dazu den Vertrieb über "Reisende" oder unterhielt ständige Musterlager. Der Transport der Muster war jedoch kostspielig, sodass die Herausgabe von "Musterkarten" mit Bildern um 1830 eine bedeutende Erleichterung mit sich brachte. In Nürnberg war 1834 der als Künstler und Verleger tätige Peter Carl Geissler (1802-1872) mit einer ersten Loseblatt-Sammlung erfolgreich. Das Angebot bestimmten die Produzenten und Kaufleute.
Im Archivbestand des Nürnberger Spielzeugmuseums haben sich unter zahlreichen historischen Bildquellen sechs Musterbücher aus der Zeit um 1850 bis 1880 erhalten. Es handelt sich dabei um frühe Zeugnisse indirekter Verkaufspräsentation. Sie zählen weltweit zu den seltenen kultur- und wirtschaftshistorischen Quellen dieser für die 'Spielzeugstadt' so bedeutenden Branche und gelten als Vorläufer jüngerer Warenkataloge, die ab den 1880er Jahren als Massen-Printmedien veröffentlicht wurden.
Der umfangreichste Bestand an Einzelblättern stammt aus den lithografischen Anstalten von Caspar Friedrich Scharrer (1795-1869) und seinem späteren Schwiegersohn August Kolb (1816-1876). Die von Alois Senefelder (1771-1834) erfundene Lithografie (Flachdruckverfahren mit Kalksteinplatten) war Mitte des 19. Jahrhunderts das modernste Druckverfahren. Die Kreide- und Federlithografien aus dem Programm von Scharrer und Kolb wurden mit Steinnummern und dem Namen der Druckerei versehen. Eine aufwendige Kolorierung durch künstlerisch ausgebildete Arbeitskräfte folgte. Die Bücher konnten leicht auf Reisen mitgeführt werden oder man schickte sie an Partner. So gelangten die heute seltenen Exemplare auch in andere Länder.
Eine genaue Zuschreibung der erhaltenen Nürnberger Bände ist nur sehr vereinzelt möglich. In den "Monatlichen Nachrichten für Kaufleute und Fabrikanten", herausgegeben von Joh. Carl Leuchs (1797-1877) in Nürnberg, lässt sich im Februar 1854 Fr. Scharrer als Herausgeber einer 100 Blatt umfassenden Neuauflage eines Bandes (1853) mit dem Titel "Musterbuch von Nürnberger Manufactur-Waren" belegen. Die nachweisbaren Steinnummern von Fr. Scharrer in den Beständen des Spielzeugmuseums bewegen sich zwischen Nr. 10 und 357, die von A. Kolb zwischen Nr. 30 und 592. Leider sind nicht alle Musterblätter überliefert. Bei zahlreichen Seiten fehlt eine Steinnummer oder die Angabe des Herstellers. Darüber hinaus wurden sie beim Binden oft beschnitten. Der Großteil der in den Bänden abgebildeten Waren stammt aus der Zeit zwischen 1850 und 1870. In sehr seltenen Einzelfällen befinden sich unter den abgebildeten Produkten zusätzliche Vermerke mit den Namen der Lieferanten. So kann man sich heute ein Bild von typischen Nürnberger Erzeugnissen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machen.
Text: CC0
Autor: Urs Latus
>> Diese Sammlung ist ein Bestand des Spielzeugmuseums Nürnberg.