Untersuchungsausschuss zum Hitler-Ludendorff-Prozess, 1924-1928
Beschreibung
Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags, eingesetzt auf Initiative von Wilhelm Hoegner (SPD) am 31. Juli 1924, um die politischen Vorgänge in Bayern zwischen dem 1. Mai und dem 9. November 1923 zu untersuchen. Die von der Landtagsmehrheit erst 1928 angenommenen Untersuchungsergebnisse waren in ihrer Aussage sehr zurückhaltend. Das Sondervotum der oppositionellen SPD, das die staatlichen Stellen heftig attackierte, fand keine Mehrheit.
Einsetzung 1924, Beratungsbeginn 1927
Am 31. Juli 1924 setzte der Bayerische Landtag unter anderem auch mit den Stimmen des Völkischen Blocks einen Untersuchungsausschuss zur "Untersuchung der Vorgänge vom 1. Mai 1923 in und der gegen Reichs- und Landesverfassung gerichteten Bestrebungen in Bayern vom 26. September [Einsetzung des Generalstaatskommissars >> bis 9. November 1923" [Hitler-Putsch] ein. Zustandegekommen war der Ausschuss auf Initiative des jungen Abgeordneten >> (SPD, 1887-1980) (vgl. dessen Jungfernrede im Bayer. Landtag, Stenographische Berichte, 22. Juli 1924, 261-271) und auf Antrag der SPD-Fraktion vom 3. Juni 1924.
Die Motive der antragstellenden Parteien waren naturgemäß verschieden. Die SPD war bemüht, die Verstrickung der Staatsregierung bzw. einzelner Mitglieder sowie des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr (1862-1934) in die rechtsradikalen Putschpläne offenzulegen. Der Völkische Block wollte hingegen den Untersuchungsausschuss ähnlich wie den Hitler-Prozess vor dem Volksgericht im Sinne seiner "destruktiven Parlamentsstrategie" propagandistisch instrumentalisieren, um den Hitler-Ludendorff-Putsch, insbesondere die Putschisten, als "Märtyrer der gemeinsamen nationalen Sache" zu verklären. Da das Justizministerium die Vorlage der Ermittlungsakten immer wieder verzögerte, begann der Ausschuss erst mit dreijähriger Verzögerung am 5. Oktober 1927 seine Beratungen.
Zusammensetzung
Der siebenköpfige Ausschuss setzte sich aus drei Vertretern der BVP und je einem Abgeordneten von SPD, DNVP (BMP), Bayerischem Bauern- und Mittelstandsbund und Völkischem Block zusammen. Zum Vorsitzenden wurde in der ersten Sitzung >> (BVP, 1880-1951) gewählt. Berichterstatter wurden >> (BVP, 1868-1930) und Wilhelm Hoegner (SPD). Weitere Mitglieder waren >> (BVP, 1888-1967), >> (DNVP, 1878-1946), >> (Bayer. Bauern- und Mittelstandsbund, 1873-1932) und >> (Völkischer Block, 1869-1932). Die hochkarätige Besetzung des Ausschusses mit juristisch versierten politischen Schwergewichten zeigt, welche politische Brisanz man ihm über die Parteigrenzen hinaus zumaß.
Kristallisationspunkt der Ausschussermittlungen - Die Rolle von Justizminister Franz Gürtner
Im Zentrum der Enquete stand die Frage, ob Justizminister >> (DNVP, 1881-1941) Einflussnahme auf die Einstellung des Verfahrens gegen >> (1889-1945) wegen der Vorgänge am 1. Mai 1923 eine Hemmung einer strafrechtlichen Untersuchung nach § 69 Abs. VI der Bamberger Verfassung (1919) darstellte und der Justizminister somit gegen die Verfassung verstoßen hatte. Die Feststellungsanträge Hoegners, denen sich der BVP-Abgeordnete Pestalozza anschloss, waren im Ausschuss nicht mehrheitsfähig. Sie zwangen allerdings insbesondere den Ausschussvorsitzenden Georg Stang und Fritz Schäffer dazu, die bisher verfolgte BVP-Strategie einer "neutralen Obstruktion" ( >> ) zu verlassen, eindeutig Stellung zu beziehen und einen Verfassungsbruch Gürtners zu negieren. Dies belegt nicht nur die Abhängigkeit der BVP von ihrem deutschnationalen Koalitionspartner, sondern lässt auch die Distanz führender Repräsentanten der BVP gegenüber dem Parlamentarismus klar erkennen.
Abschlussbericht
Erst vier Jahr nach seiner Einsetzung, am 27. April 1928, konnte der Ausschuss, dessen treibende Kraft der Jurist Hoegner als Mitberichterstatter war, dem Plenum seinen Abschlussbericht vorlegen. Die von der Landtagsmehrheit angenommenen Untersuchungsergebnisse (Bericht, 23. März 1928, Beilagenband, Nr. 3737) waren im Umfang dürftig und in ihren Aussagen extrem zurückhaltend.
Das von Hoegner im Landtag vorgetragene Sondervotum der SPD (Stenographische Berichte, 27. April 1928, 683-704) attestierte hingegen der bayerischen Justiz Versagen gegenüber der NSDAP und bescheinigte staatlichen Stellen sowie den Führern von Reichswehr und Landespolizei, an den hochverräterischen Plänen Hitlers und >> (1865-1937) beteiligt gewesen zu sein. Generalstaatskommissar von Kahr sei gegen die ihm längst bekannten Pläne nicht eingeschritten.
Diese kritischen Feststellungen hatten 1928 keine Aussicht, von der Landtagsmehrheit angenommen zu werden. Der Landtag entschied vielmehr, darüber nicht abzustimmen. Die bayerische SPD publizierte Auszüge der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses, die auf Hoegners Minderheitsvoten beruhten, anonym unter dem Titel "Hitler und Kahr. Die bayerischen Napoleonsgrößen von 1923".
Bewertung der Ausschusstätigkeit
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse wurden nach dem Ersten Weltkrieg als Instrumente zum Schutz der noch jungen parlamentarischen Demokratie in Reich und Ländern neu eingeführt. § 52 Abs. II der Bamberger Verfassung sah dieses Instrument analog zu Art. 34 der Weimarer Reichsverfassung vor. Der Ausschuss von 1927/1928 stellte durch eine ausführliche Presseberichterstattung Kontrolle durch Öffentlichkeit zwar grundsätzlich her. Er zeigt aber, so das Fazit Alexander Schillings, wie republikanische Politiker an dem Versuch scheiterten, mit diesem Instrumentarium den demokratischen Staat gegen antidemokratische Angriffe wirkungsvoll zu verteidigen, da sich die Mehrheit der Verfahrensakteure systemfeindlich verhielt.