Abfindung der Wittelsbacher nach 1918
Beschreibung
In Bayern waren vor 1918 das Privateigentum des Hauses Wittelsbach und der Besitz des Staates nicht voneinander getrennt worden. Unter Berufung auf die Verfassung von 1818 ging die Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts davon aus, dass das Haus Wittelsbach zugunsten des Staates auf sein Hausvermögen verzichtet habe. Die revolutionäre Regierung Eisner stellte daher 1918 alle Zahlungen an die Dynastie ein und betrachtete die bisher von den Wittelsbachern genutzten Schlösser sowie die Kunstsammlungen als Staatseigentum. Der BVP-nahe Staatsrechtler Konrad Beyerle (1872-1933) wies aber im Auftrag der gestürzten Dynastie nach, dass die Verfassung von 1818 falsch interpretiert worden und eine Scheidung von Haus- und Staatsvermögen noch durchzuführen sei.
Allgemeine Problemlage
Die Revolution von 1918 zerriss in den deutschen Einzelstaaten nicht nur das staatsrechtliche Verhältnis der Dynastien zu ihrem Land, sondern warf auch ein vermögensrechtliches Problem auf. Während des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit war das Hausvermögen der regierenden Familie mit den Gütern, die zu den lehenrechtlich vom Kaiser verliehenen Fürstentümern gehörten, z. B. mit dem bayerischen Herzogsgut, gemeinsam verwaltet worden. Als Ergebnis waren die beiden Vermögensmassen derart vermengt worden, dass eine saubere Trennung nicht mehr möglich war.
Versuche, diesen Komplex der so genannten "Domänen" zwischen Staat und Haus aufzuteilen, wie sie v. a. in Preußen und mehreren norddeutschen Kleinstaaten versucht wurden, endeten in politisch bedingten Kompromissen, bei denen entweder der Staat dem Herrscherhaus eine fixierte Rente (Zivilliste, Krondotation) bezahlen musste oder die als Hausvermögen anerkannten Domänen mit Leistungen an den Staat (Domanialrente oder Übernahme bestimmter Lasten, z. B. Unterhalt des Hoftheaters) belastet wurden. In einigen Ländern kam es im 19. Jahrhundert zu überhaupt keiner Vermögensteilung. Die praktische Zuordnung konnte dabei beim Haus liegen, wie in Mecklenburg, oder beim Staat, wie in Bayern.
Die Verhältnisse in Bayern
Die bayerische Verfassung vom 26. Mai 1818 bestimmte in ihrem Titel III "Von dem Staatsgute" in § 1 den ganzen Umfang des Königreichs Bayern als unveräußerliche Gesamtmasse (Abs. 1) und legte ferner fest, dass alle "neuen Erwerbungen aus Privat-Titeln" an unbeweglichen Gütern dieser Gesamtmasse einverleibt werden und "in den Erbgang des Mannesstammes" kommen sollten.
Aufgrund der Überschrift des Titels war die Staatsrechtslehre schon im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu der Überzeugung gelangt, das Haus Wittelsbach habe 1818 auf sein Hausvermögen zugunsten des Staates verzichtet. Auch die 1834 getroffene Regelung, durch verfassungsergänzendes Gesetz dem Haus eine permanente Zivilliste aus der Staatskasse als Unterhaltsrente anzuweisen, schien diese Ansicht zu bestätigen. Zugleich stellte die Zivilliste eine besondere Vermögensmasse innerhalb des "Staatsgutes" dar, die die zum Gebrauch durch das Königliche Haus bestimmten Liegenschaften, darunter die Residenz in , die Schlösser Nymphenburg, und am Starnberger See sowie verschiedene Schlösser in ehemals selbstständigen Territorien, z. B. die Residenzen in , , und umfasste. Außer dem privaten Unterhalt der Angehörigen des Hauses Wittelsbach war aus der Zivilliste auch der Repräsentationsaufwand des Königs als Staatsoberhaupt zu decken.
Die revolutionäre Regierung Eisner ging aufgrund dieser Staatsrechtslehre 1918 davon aus, die von der Zivilliste verwalteten Liegenschaften (v. a. Schlösser) seien ohnehin Staatseigentum; die Zahlung der Rente aus dem Staatshaushalt stellte sie ein.
Schon früh erhoben sich jedoch Stimmen, die in dieser Vorgehensweise eine ungerechtfertigte Bereicherung das Staates sahen, da das Haus nur unter der Voraussetzung des Bestehens der monarchischen Verfassung und gegen einen Versorgungsanspruch sein Hausgut in das Staatsvermögen eingeworfen habe, dem Haus daher ein Anspruch auf Entschädigung nach § 812 BGB zustehe.
Durch ein umfangreiches Rechtsgutachten des BVP-nahen Staatsrechtslehrers >> (1872-1933) von 1921 konnte das Haus Wittelsbach dann nachweisen, dass der Staatsgut-Begriff der Verfassung von 1818 nicht mit dem späteren des Staatsvermögens identisch, sondern aus dem älteren Begriff des "Haus- und Staatsfideikommisses" hervorgegangen war, d. h. einer unteilbaren, unveräußerlichen Vermögensmasse, an der ein durch den rechtlichen Charakter als Fideikommiss beschränktes Eigentum dem Gesamthaus, das Verwaltungs- und Nutzungsrecht aber dem jeweils Erstgeborenen im Mannesstamm zusteht. In Bayern müsse also eine Trennung von Staats- und Hausvermögen überhaupt erst vollzogen werden.
Beiderseitige Interessen und Lösungsweg
Schon vor Abgabe des Rechtsgutachtens waren durch beiderseitige Bevollmächtigte Verhandlungen zwischen dem Staat und dem Hause Wittelsbach in Gang gekommen, um die vermögensrechtlichen Probleme durch einen Vergleich zu regeln. Das Haus hatte dabei den Anspruch erhoben, für den Entzug der Zivilliste – als Vermögensmasse (Schlösser u. a.) und als Rente – entschädigt zu werden.
Zugleich bestand seitens des Staates ein Interesse daran, dass die überwiegend in besonderen Fideikommissen zusammengefassten Kunstsammlungen des Hauses nicht gemäß dem Fideikommissauflösungsgesetz von 1919 in freies Privateigentum übergingen, sondern den staatlichen Museen, in denen sie ausgestellt waren, erhalten blieben.
Außerdem wurde die verfassungsrechtlich problematische Abwicklung des Nachlasses von König >> (1848-1916, reg. 1886-1913), zu dem u. a. die Schlösser >> (1845-1886, reg. 1864-1886) gehörten, erneut aufgerollt, da die vorläufige Lösung, die 1918 gefunden worden war, auf die neuen Verhältnisse nicht mehr passte.
Aufgrund des Gutachtens Beyerles verschob sich der Akzent von der Entschädigung für die Zivilliste auf eine Auseinandersetzung des bisher im "Staatsgut" verfangenen Staats- und Hausvermögens. Beiden Beteiligten war jedoch klar, dass auch dies aus praktischen Gründen nur auf dem Wege des gütlichen Vergleichs erfolgen konnte, der am 24. Januar 1923 seinen Abschluss fand. Am 9. März 1923 bestätigte der Landtag diese Einigung im Gesetz über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung des Bayerischen Staates mit dem vormaligen Bayerischen Königshaus.
Die Lösung
Durch Vergleich und Gesetz wurde der Wittelsbacher Ausgleichsfonds zur Versorgung der Mitglieder des Hauses Wittelsbach und zur Erhaltung der dem Fonds zugewiesenen Kunstobjekte geschaffen. Gleichzeitig errichtete der Chef des Hauses, Kronprinz >> (1869-1955), die Wittelsbacher Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft.