Weimarer Reichsverfassung, 1919

Beschreibung

Erste demokratisch-parlamentarische Verfassung Deutschlands nach einem Entwurf des Staatsrechtlers Hugo Preuß (1860-1925), benannt nach dem Tagungsort der verfassunggebenden Nationalversammlung. Sie wurde nach Verhandlungen seit 6. Februar 1919 am 31. Juli von der Nationalversammlung verabschiedet (mit 262 zu 75 Stimmen), am 11. August von Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) unterzeichnet und trat am 14. August 1919 in Kraft. Die Verfassung bewahrte zwar den bundesstaatlichen Aufbau des Reiches, war jedoch zugleich sehr unitaristisch geprägt. Eine von den Ländern geforderte Verfassungsreform kam nicht zustande. Die Verfassung blieb, im "Dritten Reich" nie formal außer Kraft gesetzt, bis 1945 gültig.

Die Weimarer Reichsverfassung als Zäsur

Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 ("Weimarer Reichsverfassung") besiegelte nicht allein in für die Länder verbindlicher Weise den Übergang vom monarchischen zum republikanischen System (vgl. das so genannte Homogenitätsgebot des Art. 17 Abs. 1), sondern markiert auch einen qualitativen Sprung in der das 19. und 20. Jahrhundert prägenden Entwicklung Bayerns von der prononcierten Eigen- zur bloßen Gliedstaatlichkeit. Prägend sind der geringe Einfluss Bayerns im Prozess der Verfassungsgebung, die unverkennbar unitarische Tendenz der Bestimmungen zum Verhältnis von Reich und Ländern sowie die erfolglosen bayerischen Versuche einer späteren Reform des Verfassungswerks in föderalistischem Sinne. Sinnfällig für diese "Vorhand" des Zentralstaats ist der Umstand, dass die Weimarer Reichsverfassung die einzige gesamtdeutsche Verfassung der jüngeren Geschichte ist, die vor ihrem bayerischen Pendant zustandegekommen und in Kraft getreten ist.

Bayerischer Einfluss auf das Zustandekommen der Weimarer Verfassung

Die vielzitierte "Weimarer" Verfassung wäre beinahe als " Verfassung" in die Geschichte eingegangen, zählte doch die unterfränkische Domstadt (neben , und ) zu den Orten in Bayern, die sich als Gastgeber der in Berlin nicht ausreichend geschützten Verfassunggebenden Nationalversammlung angeboten hatten. Das Scheitern dieser Bewerbungen ist symptomatisch für den insgesamt erfolglosen Versuch der bayerischen Vertreter im Staatenausschuss (der vom Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt eingerichteten Vertretung der Länder) und in der Nationalversammlung, das Verfassungswerk spürbar im bayerischen Sinne zu beeinflussen. Es gelang den Bayern zwar, der Präambel der Reichsverfassung durch die Ergänzung "einig in seinen Stämmen" einen föderalistischen Stempel aufzudrücken, doch blieb dieser eher kosmetische Erfolg eine Ausnahme. Im Verein mit den anderen Mittelstaaten vermochte der Freistaat etwa noch die Pläne abzuwehren, dem Reichstag statt des Reichsrats ein stärker unitarisch geprägtes Staatenhaus an die Seite zu stellen. Insgesamt aber erwies sich der Unitarisierungsdruck in der auf ihre souveräne verfassunggebende Gewalt pochenden Nationalversammlung als überwältigend. Von den übrigen süddeutschen Ländern unter der Regierung Eisner isoliert und in entscheidenden Phasen durch die Münchner Räterepublik nochmals geschwächt, hatte Bayern dem während der Verfassungsverhandlungen seit 6. Februar 1919 wenig entgegenzusetzen.

Erschwerend kam hinzu, dass der Freistaat mit der These der Fortgeltung des Schutzes seiner Reservatrechte nach Art. 78 Abs. 2 der Reichsverfassung von 1871 und der Notwendigkeit einer vertraglichen Neugründung des Reiches durch die Länder (noch dazu offen widersprüchliche) Maximalforderungen verfocht, die von Anfang an jeder Chance auf eine Durchsetzung entbehrten und dadurch auch zurückhaltendere föderalistische Positionen desavouierten.

In der Schlussabstimmung der Nationalversammlung stimmten gleichwohl die bayerischen Abgeordneten überwiegend für die Verfassung; dagegen votierten außer USPD und DVP namentlich die drei anwesenden Abgeordneten des Bayerischen Bauernbundes sowie einer der 18 BVP-Abgeordneten aus der Fraktionsgemeinschaft mit dem Zentrum, >> (1865-1938). Eine irgendwie formalisierte Annahme durch die Länder fand ungeachtet bayerischer Forderungen – und anders als 1949 – nicht statt.

Bayern im institutionellen Gefüge der Weimarer Verfassung

Die aus Reichssicht zentrale institutionelle Frage der Einbindung Bayerns in das Verfassungswerk war die nach seiner Mitwirkung im Reichsrat. In Abkehr von den festen Stimmenzahlen der Verfassung von 1871 (auf Bayern entfielen sechs von 58 Stimmen) sah Art. 61 Abs. 1 der Reichsverfassung nunmehr eine Stimme für je 1 Mio. (ab 1921: je 700.000) Einwohner vor. Mit elf von 66 Stimmen (Stand: 1925) schien danach Bayerns Einfluss auf den ersten Blick gestärkt, doch wurde dieses Bild relativiert durch die im Wege der "clausula antiborussica" (Art. 61 Abs. 1) nur notdürftig kaschierte Dominanz Preußens (26 von 66 Stimmen; 1871: 17 von 58) sowie die im Vergleich zum Bundesrat des Bismarckreiches spürbar reduzierten Mitwirkungsrechte der Länderkammer in Gesetzgebung und Verwaltung: Ihr kam insbesondere im Legislativverfahren keine Veto-Position mehr zu (Art. 74).

Ausdrückliche Erwähnung findet der Freistaat darüber hinaus nur noch in der Neugliederungsbestimmung des Art. 18 Abs. 5 (betr. die Abtrennung eines bayerischen Kreises, nach heutiger Diktion also Bezirkes) sowie in Art. 170 Abs. 1, der die Übernahme der Post- und Telegraphenverwaltung auf das Reich anordnete. Diese explizite Aufhebung eines überkommenen Reservatrechts lenkt gleichzeitig den Blick darauf, dass die gravierendsten Eingriffe in die überkommene Machtverteilung zu Lasten Bayerns quasi stillschweigend erfolgten, indem die entweder in der Reichsverfassung von 1871 (Art. 35 Abs. 2: Bier- und Branntweinsteuer; Art. 46 Abs. 2 u. 3: Eisenbahnverwaltung; Art. 52: Post- und Telegraphenwesen) oder im Vertrag über den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes vom 23. November 1870 aufgelisteten Ausnahmeklauseln nicht fortgeschrieben wurden. So fiel die bayerische Militärhoheit ebenso fort wie die Exemtion des Militäretats vom Reichshaushaltsrecht (vgl. als Restbestand die landsmannschaftliche Klausel in Art. 79).

Mag dieser Verlust teilweise auch emotional behafteter Privilegien für den Freistaat besonders schmerzlich gewesen sein, so erwiesen sich die allgemeinen Bestimmungen der Reichsverfassung zum Verhältnis Reich – Länder als weit bedeutsamer: Der Zugriff des Zentralstaates geriet im Vergleich zur vorangegangenen Epoche (wie auch zur heutigen Regelung unter dem Grundgesetz) deutlich rigider. Neben den nach Zahl und Reichweite großzügig erweiterten Gesetzgebungskompetenzen des Reichs (Art. 5-12; den Ländern blieb in der Sache die Kompetenz für das Schul-, Polizei- und Kommunalrecht) sind hier seine Aufsichtsbefugnisse (Art. 15), zahlreiche teils detaillierte Vorgaben für die Landesverfassungen (neben der Homogenitätsregel des Art. 17 noch Art. 36-40a für das Parlamentsrecht) sowie insbesondere die zentrale Rangvorschrift des Art. 13 Abs. 1 ("Reichsrecht bricht Landrecht") zu nennen. Die letztgenannte Norm wurde in der vorherrschenden Deutung der Staatsrechtslehre, sie breche selbst inhaltsgleiches Landesrecht, zu einem zentralen Argument für die Durchsetzung der nunmehr angenommenen "Hoheit des Reichs über die Länder" (Gerhard Anschütz). Art. 18 mit der Möglichkeit der Neugliederung auch gegen den Willen der betroffenen Länder schließlich stellte in fundamentaler Weise die bislang garantierte Existenz der Einzelstaaten in Frage.

Bayerische Bestrebungen zur Reform der Weimarer Verfassung

Die geschilderten Verschiebungen zu Lasten der Landeshoheit, die das weitgehend isolierte Bayern im Prozess der Verfassunggebung nicht hatte verhindern können, versuchte die bayerische Staatsregierung in mehreren Denkschriften seit 1924 sowie auf der "Länderkonferenz" zur Verfassungsreform von 1928/1930 rückgängig zu machen. Ihre im Wesentlichen gleichlautenden Vorschläge zielten auf eine Revision der Gesetzgebungskompetenzen, die Abschaffung der selbständigen Reichsaufsicht, eine Stärkung der Mitwirkungsrechte des Reichstags sowie die weitgehende Wiederherstellung der bayerischen Reservatrechte von 1871 (u. a. Eisenbahn-, Post- und Telegraphenverwaltung sowie Militärhoheit). Diese in der zeitgenössischen Literatur vornehmlich als überzogen, ja eigensinnig aufgefassten Reformüberlegungen wiesen allerdings in mancherlei Hinsicht auf das Grundgesetz voraus; das gilt für die Forderung nach einer Stärkung der "Verfassungsautonomie" der Länder (vgl. jetzt Art. 28 Abs. 1 Grundgesetz) ebenso wie für den geforderten Neuzuschnitt der Bundes- und Landeskompetenzen in der Gesetzgebung. Verständlich sind die im Übrigen teils klar hypertrophen Forderungen wohl nur vor dem Hintergrund einer Vielzahl von verfassungsrechtlichen Konflikten zwischen Reichs- und Staatsregierung, die sich an Fragen wie dem Verhältnis von Reichs- und Landesausnahmezustand (1921, nochmals 1923), der Republikschutzgesetzgebung (1922), der Befehlsgewalt über die bayerischen Reichswehrverbände (1923/24), aber auch dem Gesandtschaftsrecht der Länder oder dem Abschluss von Konkordaten entzündeten. Das sich hierin schon abzeichnende Scheitern der Weimarer Reichsverfassung entzog allen Reformüberlegungen den Boden; die berechtigte bayerische Kritik an ihrem unitarischen Konzept beherzigte erst 1949 das Grundgesetz.

Bayerische Staatsbibliothek