Zweites Arbeiter-Turn- und Sportfest, Nürnberg, 18.-21. Juli 1929

Beschreibung

Der Arbeiter Turn- und Sport-Bund (ATSB) veranstaltete vom 18. bis 21. Juli 1929 im 1928 neu eingeweihten Nürnberger Stadion, dem heutigen Frankenstadion, sein zweites Bundesfest. Das erste hatte 1922 in Leipzig stattgefunden.

Funktionen der Arbeitersportfeste

Arbeitersportfeste hatten innerhalb der Arbeiterbewegung drei wesentliche Funktionen: Sie sollten der Selbstverwirklichung des Proletariats dienen. Sport sorgte für die Regeneration des Körpers und die Pflege des gesunden Selbstbewusstseins. Ferner bewirkte kollektiver Sport die Entfaltung des Bewusstseins, einer Klasse anzugehören, in der man sich gegenseitig unterstützt und gemeinsam für die Emanzipation kämpft. Schließlich waren Arbeitersportfeste Manifestationen im öffentlichen Raum, die die Stärke der organisierten Arbeiterbewegung zeigten.

Die Wahl des Veranstaltungsortes Nürnberg: Symbolischer "Wink" an die Bayerische Staatsregierung

Im Rathaussaal sprachen zur Eröffnung der Veranstaltung am 18. Juli 1929 die Vorstandsmitglieder des Arbeiter Turn- und Sport-Bundes, >> , SPD-Reichstagsabgeordneter (1881-1944), und >> (SPD, 1872-1954), der Nürnberger Oberbürgermeister >> (DDP, 1874-1945) sowie Reichstagspräsident >> , (SPD, 1875-1967) und Reichsinnenminister >> (SPD, 1875-1952). Die Wahl Nürnbergs und die feierliche Eröffnung des Festes sollten einem demonstrativen Bekenntnis zur Weimarer Republik dienen, als Antwort auf die Bayerische Staatsregierung, deren zwiespältige Rhetorik immer wieder separatistische Tendenzen vermuten ließ.

Zwischen Hochleistungssport und Breitensport

Die aus allen Ländern des Reichs und auch aus dem Ausland angereisten Sportlerinnen und Sportler wurden zwar von der Nürnberger Arbeiterbevölkerung mit offenen Armen aufgenommen und untergebracht; sie mussten aber Anreise und Verpflegung aus eigener Tasche bezahlen - für viele Teilnehmer kein kleines Opfer.

Einerseits befriedigte das Sportfest das im Laufe der 1920er Jahre zunehmende Bedürfnis, sich mit den Rekorden des bürgerlichen Leistungssports zu messen, andererseits legte der Arbeiter Turn- und Sport-Bund Wert darauf, die Arbeitersportbewegung als sozialistische Kulturbewegung zu propagieren: Gemeinschaftsgeist stiftende Körperertüchtigung gegen kapitalistisch-konkurrierende "Rekordfexerei".

Wettkämpfe und Massengymnastik

1.645 Athletinnen und Athleten maßen sich in rund 3.000 Wettkämpfen im Sportpark auf dem Zeppelinfeld am großen Dutzendteich. In manchen Disziplinen kam es zu außerordentlichen Ergebnissen: Der Finne Etholén siegte im 100-m-Lauf mit 10,7 Sekunden, der Leipziger Wagner im 5.000-m-Lauf mit 15 Minuten, 40,2 Sekunden. Im 100-m-Lauf der Frauen siegte die Nürnbergerin Stibitz mit 13,1 Sekunden; im Weitsprung der Frauen erreichte die Nürnbergerin Kehrt 5,16 m. Im 100-m-Kraulschwimmen gewann die Berlinerin Frohn mit 1 Minute, 19 Sekunden.

Die 1924 errichtete Leipziger Bundesschule des ATSB führte als Kontrast zur sportlichen Konkurrenz Übungen unter dem Titel "Unser Körper in Formung, Schulung, Kraft und Schönheit" vor. 13.400 Männer und 4.800 Frauen zeigten Massenübungen - auch um der bürgerlichen Öffentlichkeit zu signalisieren, dass die Arbeiterklasse diszipliniert war und "fähig zur Ordnung", wie es in der offziellen Festschrift heißt.

Konflikte um den Klassenkampf

1928 war es in der deutschen Arbeitersportbewegung nach langen Auseinandersetzungen zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Sportlern zur Spaltung gekommen. Während des Nürnberger Bundesfestes im folgenden Jahr verteilte die ausgeschlossene Opposition vom KPD-Parteilokal in der Prechtelgasse Flugblätter und Einheitsfrontplaketten an die Sportler, um der immer deutlicher werdenden offenen Unterstützung der SPD durch den ATSB zu widersprechen.

Politische Manifestation auf der Abschlussveranstaltung

Das Turnfest schloss am 21. Juli 1929 mit dem abendlichen Festspiel "Mach dich frei" am Dutzendteich. 10.000 Mitwirkende zeigten mit Sprech- und Bewegungschören "die politisch-ideologische Versklavung und ökonomische Unterdrückung des Proletariats" sowie den opfervollen Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse, wie die Festschrift bemerkte. Im Anschluss kam es zu einem Festzug mit Spruchbändern wie "Arbeitersportler sind Soldaten der Revolution". 70.000 Festteilnehmer sangen bei der Abschlusskundgebung im Stadion die "Internationale".

Bayerische Staatsbibliothek