Russische Emigranten in Bayern, 1918-1945

Beschreibung

Nachdem bereits vor dem Ersten Weltkrieg russische Künstler und auch Emigranten in Bayern lebten, kamen nach der russischen Revolution von 1917 verstärkt Russen aus politischen Gründen nach Bayern. Sie spielten einerseits eine bedeutende Rolle in der Münchner Räterepublik; andererseits wurde Bayern zwischen 1920 und 1923/24 zu einem Auffangbecken rechtsgerichteter, konterrevolutionärer und antisemitischer Emigranten, die zeitweise mit deutschen Rechtsextremisten, darunter auch der NSDAP, kooperierten. Neben München war auch Coburg, wo mit Großfürst Kirill (1876-1938) einer der Anwärter auf den Zarenthron residierte, ein Zentrum der Emigrantenszene.

Russische Emigranten in Bayern im 20. Jahrhundert

Die russische Emigration nach Bayern war ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, das von den politischen und sozialen Ereignissen und Umwälzungen im Russischen Reich und in der Sowjetunion bestimmt wurde. Sie fand in verschiedenen Wellen statt, deren Zusammensetzung und Stärke sehr unterschiedlich waren.

Die erste bedeutende Emigrationswelle ereignete sich von 1918 bis 1920. Etwa 2 Millionen Menschen mussten das Territorium des Russischen Reiches im Gefolge der Oktoberrevolution von 1917 verlassen.Der Kern der zweiten Welle umfasste diejenigen Personen (Kriegsgefangene und „displaced persons“), die sich der "Repatriierung" in die Sowjetunion während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg widersetzten.Die dritte Welle der russischen oder sowjetischen Emigration – mit etwa 500.000 Personen gleich stark wie die zweite Welle - fand während des Kalten Krieges statt.

Als solche ist die russische Emigration in Bayern nur ein Ausschnitt der russisch-bayerischen Beziehungen. Nicht unter diesen Begriff fallen zahllose vor dem Ersten Weltkrieg in Bayern lebende russische Künstler, von denen >> (1866-1944) der bekannteste ist, oder die russischen und sowjetischen Kriegsgefangenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Neben der russischen Emigration im engeren Sinne existierten auch einige Exilgruppierungen anderer Nationalitäten aus dem Russischen Reich oder der Sowjetunion, von denen die ukrainische Diaspora in die größte war.

Russen in der Münchner Räterepublik 1919

Zu den ersten russischen Emigranten in Bayern gehörte eine kleine Anzahl revolutionärer Russen, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine mehr oder weniger kurze Zeitspanne in München verbrachte, darunter auch >> (1870-1924) und >> (1879-1940). Revolutionäre russischer Herkunft wie >> (1883-1919), >> (1885-1937) oder Tovia Akselrod (1887-1938) spielten dann in der Münchner Räterepublik des Jahres 1919 eine herausragende Rolle. In der Roten Armee der Räterepublik kämpfte auch eine etwa 80 Mann starke Einheit aus russischen Kriegsgefangenen.

Die erste Welle der Emigration

Die erste große Welle russischer Emigranten nach Bayern und Deutschland wurde durch die Oktoberrevolution ausgelöst. In deren Gefolge mussten Hunderttausende, darunter Angehörige der politischen und wirtschaftlichen Oberschicht des Russischen Reiches, aber auch Kosaken oder Soldaten der weißen antibolschewistischen Bürgerkriegsarmeen, das Land verlassen. Sie fanden überall in Europa, aber auch in Nordafrika, Ostasien sowie später auch in Amerika Zuflucht.

Nur ein geringer Teil von ihnen kam Anfang der 1920er Jahre nach Bayern, vor allem nach München. Nach dem gescheiterten Kapp-Putsch entwickelte sich die bayerische Landeshauptstadt zu einem Auffangbecken nicht nur eines Teils der deutschen, sondern auch der russischen rechten Szene.

Die russische Kolonie in Bayern mit Zentrum in München blieb immer klein und konnte sich nie mit den Hauptstädten der Emigration, Berlin oder Paris, vergleichen. Ihr fehlte die kulturelle und politische Vielfalt, die diese Städte zu lebendigen Zentren russischen Lebens im Ausland machte. Im Jahr 1921 waren 1.105 russische Staatsbürger in Bayern offiziell registriert, hinzu kam eine schwer bestimmbare Anzahl vorübergehender oder illegal im Freistaat lebender Russen. Laut Schätzungen der Berliner Emigranten belief sich deren Anzahl in München auf etwa 500. Die Hochphase der russischen Emigration war auf eine kurze Zeitspanne beschränkt: Nach 1923/24 nahm ihre Zahl in München und Bayern deutlich ab.

Soziale Zusammensetzung der Emigranten

Die Münchner Kolonie bestand fast ausschließlich aus Vertretern des Ancien Régime, Generälen, Offizieren und Adligen, die etwa im "Verband Russischer in Bayern lebender Grundbesitzer" zusammengeschlossen waren. Die offizielle Interessenvertretung der russischen Emigranten nach außen übernahm das "Russische Komitee" (Komitet po delam russkich bezencev). Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für den Zusammenhalt der Kolonie hatte vor allem die im Jahr 1922 gegründete und bis heute bestehende russisch-orthodoxe Gemeinde. Sie war Teil der Russischen Auslandskirche, die beanspruchte, die orthodoxen Gläubigen in der Diaspora zu vertreten. Zu der Münchner Gemeinde gehörte auch >> (1917-1943), Mitglied der "Weißen Rose", dessen Familie 1921 aus Russland nach Bayern emigriert war.

Politische Aktivitäten

Politisch spielte die Münchner Kolonie innerhalb der zersplitterten Emigrationslandschaft durch ihre relative Geschlossenheit eine besondere Rolle. Politischer Grundkonsens der Münchner Russen war ein strikt konterrevolutionärer und teils extrem antisemitischer Monarchismus.

Bayern war eine Hochburg der so genannten legitimistischen Bewegung, die innerhalb des monarchistischen Lagers der Emigration den Thronanspruch des in residierenden Großfürsten >> (1876-1938) unterstützte. Mehrere, oft kurzlebige politische Verbände entstanden zu diesem Zweck, die unter der Losung "Gott! Heimat! Gesetzmäßiger Zar!" alle einen betonten Monarchismus, Antiparlamentarismus und Antibolschewismus vertraten.

Höhepunkt des Münchner Einflusses innerhalb der politischen Landschaft der Emigration war der Kongress von 1921 (29.5-6.6.1921), der die Rückkehr der nationalen, monarchistischen Emigration auf die politische Bühne signalisierte.

Deutsch-russische Zusammenarbeit im rechtsextremen Umfeld

Größere Nachwirkungen als die Flügelkämpfe innerhalb der russischen Emigration hatten die seit 1920 geknüpften Kontakte zwischen monarchistischer Emigration und der deutschen national-völkischen Rechten in München, darunter auch der NSDAP. Über die Vermittlung der Deutschbalten >> (1884-1923) und >> (1893-1946) kam es zur Kontaktaufnahme und zum zeitweiligen Bündnis zwischen beiden Seiten. Einigend wirkte der gemeinsame Antibolschewismus, Antisemitismus und Antiparlamentarismus.

Knotenpunkt dieses Bündnisses war die "deutsch-russische Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung". Die Forderung nach einem Bündnis mit den antibolschewistischen Russen färbte auf die nationalsozialistische Konzeption ab: Bis 1922/23 war für >> (1889-1945) die Zusammenarbeit mit einem nationalen Russland eine wichtige außenpolitische Option. Ansprechpartner auf russischer Seite war der politische Kopf der Münchner Emigration, General Vasilij Biskupskij (1878-1945).

Radikale Kräfte

Einen besonders radikalen Antisemitismus vertrat der ehemalige Gardeoffizier Fedor Vinberg (1871-1927). Er verfasste eine Reihe reaktionärer und antisemitischer Pamphlete, in denen er zum "Kreuzzug" gegen die "jüdische Revolution" aufrief, und spielte eine verhängnisvolle Rolle bei der Verbreitung der "Protokolle der Weisen von Zion", eines Pamphlets zum Beweis einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung, das auch von Hitler und Rosenberg rezipiert wurde. Rechtsextreme Münchner Russen waren auch für den Mordanschlag auf den liberalen Politiker >> (1869-1922), den Vater des weltberühmten Schriftstellers, am 28. März 1922 in Berlin verantwortlich.

Die Emigration in nationalsozialistischer Zeit

Biskupskij, von seinen Münchner Verbindungen profitierend, machte schließlich unter nationalsozialistischer Herrschaft Karriere: Er avancierte 1936 zum Leiter der russischen Vertrauensstelle in Berlin und nahm damit den einflussreichsten Posten der russischen Emigration im nationalsozialistischen Deutschland ein. Wie Biskupskij kooperierten einige der in Deutschland verbliebenen russischen Emigranten mit den Nationalsozialisten. Der Hass auf die stalinistische Sowjetunion war stärker als die Skrupel vor einer Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland, das aus seiner antirussischen und antislawischen Ideologie kein Geheimnis machte.

Bayerische Staatsbibliothek