Kabarett (Weimarer Republik)
Beschreibung
Die theatralische Mischform aus zeitkritischer Satire, literarischer Parodie und gelegentlichen avantgardistischen Impulsen gedieh in Bayern vor dem Ersten Weltkrieg insbesondere in München. Trotz der Aufhebung der Zensur nach 1918 kann von einer deutlichen Politisierung kaum die Rede sein. Das Kabarett stand nach wie vor in der gehobenen Unterhaltungstradition der "Kleinkunst", die durch aktuelle Anspielungen gewürzt wurde. In Bayern waren die Jahre der Weimarer Republik keine bemerkenswerte Blütezeit des Kabaretts, da sich die Szene eindeutig nach Berlin verlagert hatte. Dennoch gingen wichtige Impulse von Bayern aus, die die Literatur, das Theater und die Kunst belebten.
Vorgänger: Die elf Scharfrichter (1901-1904)
Das Künstlerbrettl "Die elf Scharfrichter" befand sich in einem 100 Plätze fassenden Miniaturtheater im Hinterraum der Münchner Kneipe "Zum goldenen Hirschen". Die Eröffnung am 12. April 1901 (fälschlich auch 13. April 1901) folgte knapp drei Monate nach der Premiere des ersten deutschen Kabaretts "Buntes Theater (Überbrettl)" in Berlin. Die Programme enthielten literarische Chansons, Rezitationen, Tänze, Sketche und Einakter, Volkslieder, auch Schatten- und Puppenspiele: Teils Protest gegen Zensur und Justiz ("Lex Heinze"), teils todessehnsüchtige Romantik, teils erotische Selbstbehauptung.
Zum Ensemble gehörten u. a. der Autor, der Schauspieler und Regisseur >> (1873-1965), der Lyriker >> (1876-1928) und der Komponist >> (eigentlich Hans Richard Weinhöppel, 1867-1938). Einflussreiche Diseuse (Chansoninterpretin) war >> (Marie Biller, 1874-1965). Auch der Dramatiker >> (1864-1918) trat mit eigenen Liedern zur Laute auf. Das Unternehmen, dem mehrere weniger erfolgreiche Nachahmer folgten, hielt sich nur bis 1904, lebte aber als Legende und Vorbild zukünftiger Kabarettkünstler weiter.
Künstlerkneipen
Bis in die 1920er Jahre war die dominante Form des Kabaretts in das informelle Bohème-Lokal mit Vortragspodium und Klavier, im Stil der ursprünglichen Pariser Cabarets. Hier verkehrten Künstler, Autoren, Musiker der Boheme-Szene und trugen eigene Werke vor. Es gab kein festes Programm mit engagiertem Ensemble; die theatralischen Elemente waren höchstens improvisiert. Besucher waren dazu eingeladen, selber aufzutreten.
Der 1903 in der Münchner Türkenstraße eröffnete "Simplicissimus" (auch "Simpl", zuerst "Neue Dichtelei" genannt) der Wirtin >> (1854-1929) bot ein Forum für junge Dichter und Vortragskünstler. >> (1878-1934) und >> (Hans Bötticher, 1883-1934) waren u. a. hier als "Hausautoren" engagiert. Bekannteste Rezitatorin dieser Szene war >> (Marietta Kirndorfer, auch genannt Marietta di Monaco, 1893-1981), >> (ca. 1890-1964) war der prominenteste Chansonsänger. Ende der 1920er Jahre knüpfte der Humorist und Vortragskünstler >> (1890-1942) an Ringelnatz' Tradition des philosophischen Unsinns und der verspielten Frechheit an. In den 1930er Jahren erlebte der "Simpl" einen neuen Aufschwung. 1935 trug >> (1905-1972) hier zum ersten Mal >> (1893-1983) "Lili Marleen" vor, ein Lied, das bald in neuer Vertonung von >> (1911-2002) um die Welt gehen sollte. Weitere Künstlerkneipen in München waren das "Schwabinger Brettel", "Serenissimus", die "Seerose" und "Germania".
Kleinkunsttheater der 1920er Jahre
München bot einige mondäne Lokale mit Unterhaltungsprogrammen, darunter das "Cherubin-Theater" und die "Bonbonnière" beim Hofbräuhaus (gegründet 1910), die zum Imperium des Impressarios >> (1883-1959, auch Gruß geschrieben) gehörten. Dessen "Deutsches Theater" bot glanzvolle Revuen, teils aus Wien und Berlin importiert. In die "Bonbonnière" wurden namhafte Künstler aus Berlin eingeladen, um den neuen Ton der Zeit anzugeben, u. a. der Conferencier >> (1884-1962) oder die Komponisten >> (1898-1985) und >> (1896-1976).
Ein satirisches Ensemblekabarett mit einem progressiven Programm und Wurzeln in der literarisch-künstlerischen Avantgarde wie die besten Berliner Bühnen konnte München jedoch während der 1920er Jahre nicht vorweisen. Als Münchner Entsprechung zum großen "Kabarett der Komiker" in Berlin entstand 1920 das "Annast" am Odeonsplatz, das ein Heim für Gastspiele bedeutender Humoristen, Kabarettisten und Sänger bot.
Vielfalt des Kabaretts: Karl Valentin und Bertolt Brecht
1906 öffnete das "Platzl" als Spielort für die schon ältere Form der bayerischen Volkssänger; prominentester Vertreter war >> (Ferdinand Weisheitinger, 1883-1949), dessen Karriere im "Dritten Reich" einen weiteren Höhepunkt erreichte. Im Volkssängertum verwurzelt, jedoch eigenständige Impulse entwickelnd, war >> (Valentin Ludwig Fey, 1882-1948) eine Inspiration für kommende Generationen weit über Bayern hinaus. In seinen Sketchen, Monologen, Couplets und abendfüllenden Stücken verband er groteske Körperkomik mit schlagendem Wortwitz und Nonsens. Kämpfe mit alltäglichen Gegenständen, Autoritätsfiguren und der Logik kennzeichneten seine Auftritte, die durch zahlreiche Schallplatten und Filme dokumentiert sind. Seine Partnerin war >> (Elisabeth Wellano, 1892-1960). Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre wurde Valentin durch Gastspiele zur Sensation der Berliner Kabarettszene; >> (1890-1935) lobte ihn als "Linksdenker". Der in geborene Dramatiker und Dichter >> (1898-1956) war einerseits durch sein Vorbild >> (1864-1918) inspiriert, eigene Bänkellieder zur "Klampfe" vorzutragen, andererseits durch die Theaterspiele Valentins, mit dem er auch auf der Bühne stand. Brecht wirkte auch bei Valentins Stummfilm "Die Mysterien eines Frisiersalons" (1922/23) mit, neben den Kabarettistinnen >> (1899-1993) und >> (1900-1971).
Späte Blüte: "Die vier Nachrichter" und die "Pfeffermühle"
Erst in den späten Jahren der Weimarer Republik entstanden zwei Münchner Kabaretts von historischer Bedeutung. Anfang 1931 trat im "Simpl" und im "Annast", später in den Münchner Kammerspielen ein neues Studentenensemble auf, dessen improvisierte und parodistische Art ein voller Erfolg war: "Die Vier Nachrichter" (auch "Die Nachrichter" genannt, bestehend aus >> [1908-1980], >> , >> [1904-1980] und wechselnden Pianisten). Neben Programmen mit losem Nummerncharakter präsentierten sie revueartige Stücke mit zusätzlichen Darstellern: "Hier irrt Goethe", "Der Esel ist los" (beide 1932), "Die Nervensäge" (1934) und "Der Apfel ist ab" (1935). Die Truppe machte auch in Berlin Furore; 1935 wurde sie verboten.
Am 1. Januar 1933 trat zum ersten Mal in der nunmehr von >> (1902-1954) geführten "Bonbonnière" das Kabarett "Pfeffermühle" auf, geleitet von >> (1905-1969), unter Mitarbeit von >> (1898-1975) und mit Texten von Erika und >> (1906-1949). Die satirischen Programme mit getarnten politischen Attacken waren ein kurzlebiger Höhepunkt der Münchner Kabarettszene: Das Ensemble flüchtete im März 1933 nach Zürich und wurde zum bedeutendsten Vertreter des deutschsprachigen Exilkabaretts bis zu seiner Auflösung im Februar 1937 in New York.
Ausblick
Nach 1945 wurde München zu einem Zentrum des politisch-satirischen Kabaretts mit den Ensembles "Die Schaubude", "Kleine Freiheit" und "Münchner Lach- und Schießgesellschaft". Direkte Anklänge an das Kabarett der Weimarer Republik tauchten Ende der 1950er Jahre in der "Kleinen Freiheit" auf, als Friedrich Hollaender aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte und mehrere erfolgreiche Revuen schrieb, die auch Glanzstücke seiner Berliner Vorkriegsrevuen enthielten.