Kriegszustand, 1914-1918/19

Beschreibung

Von der allgemeinen Rechtslage abweichender Ausnahmezustand, in dem besondere Vorkehrungen zum Schutz des Staates vor Gefahren von außen (Krieg) oder innen (Aufruhr) getroffen werden können. Kaiser Wilhelm II. verhängte den Kriegszustand am 31. Juli 1914, was allerdings nicht für Bayern galt. Hier wurde der Kriegszustand durch königliche Verordnung verhängt und blieb formal bis 1. Dezember 1919 bestehen.

Militärischer Rechtsbegriff mit einer völkerrechtlichen und innerstaatlichen Komponente

Auf Konferenzen in Genf und Den Haag 1906-1907 waren völkerrechtliche Grundsätze des Kriegsrechts formuliert worden, etwa die so genannte Landkriegsordnung, denen u. a. Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien und Russland beigetreten waren. Während des Ersten Weltkrieges waren die Signatarstaaten bemüht, sich daran zu halten. Dies galt auch für Bayern, etwa bezüglich der hier verwahrten Kriegsgefangenen. Das Vertragssystem enthielt u. a. Regeln über: Kriegsführende Truppen (Kombattanten), Kriegsgefangene, Kranke und Verwundete sowie Erklärung und Beendigung des Krieges.

Definition: Kriegszustand im innerstaatlichen Bereich

Kriegszustand, zu jener Zeit gleichgesetzt mit Belagerungszustand (so z. B. im Preußischen Gesetz über den Belagerungszustand), ist ein von der gemeingültigen Rechtslage abweichender Ausnahmezustand, der zur Abwendung einer außergewöhnlichen Gefährdung der Staatssicherheit von der Staatsregierung verhängt werden konnte. Schon aus früheren Zeiten ist bekannt, dass im Falle von Belagerungen wie auch bei inneren Unruhen das Militär die Staatsgewalt auch über die Zivilbevölkerung ausübte. Die Entwicklung zum modernen Rechtsstaat führte zur Forderung nach gesetzlicher Normierung, was zuerst 1791 in Frankreich erfolgte. Der Kriegszustand wurde nun öffentlich verkündet und ermöglichte es, Justiz und Verwaltung einzuschränken und Grundrechte aufzuheben.

Kriegszustand in Bayern 1914

Hier wurde der Kriegszustand nicht wie im übrigen Reich nach Art. 68 der Reichsverfassung durch den Kaiser ausgesprochen. Vielmehr war gemäß dem bayerischen Gesetz über den Kriegszustand von 1912 (mehrmals geändert) eine königliche Verordnung vorgesehen. Dies war nur im Kriegsfalle oder bei drohender Kriegsgefahr zulässig, nicht aber wie in Preußen bei einer Bedrohung von innen. Im Weltkrieg wurde der Kriegszustand für Bayern durch die bayerische Verordnung vom 31. Juli 1914 verhängt. Dieses Gesetz sah keine Ermächtigung zum Eingriff in die individuelle Freiheitssphäre vor, sondern nur eine Verschärfung des Strafrechts, insbesondere bei staatsgefährdenden Delikten. Das Standrecht (gemäß bayer. StGB) konnte angeordnet werden, das die Verhängung der Todesstrafe ausdehnte und ein summarisches Verfahren vorsah.

Militärdiktatur in Bayern im Weltkrieg

Das preußische Gesetz über den Belagerungszustand sah den automatischen Übergang der Exekutive auf die Militärgewalt vor. Regelungen dieser Art fehlten in Bayern absichtlich. Stattdessen wurde mit königlich bayerischer Verordnung vom 31. Juli 1914 die vollziehende Staatsgewalt von den Ministerien auf die Militärbefehlshaber übertragen, praktisch auf das Kriegsministerium und die drei im Lande befindlichen bayerischen stellvertretenden Generalkommandos. In der Pfalz war die Zivilgewalt dem Kommandeur der 3. bayerischen Division und in den Festungen und Germersheim den Kommandanten übertragen.

Diesen Militärstellen waren aber in Bayern nur die Mittel- und Unterbehörden nachgeordnet, während - anders als im übrigen Reich - die Staatsministerien neben dieser Hierarchie standen. In Bayern stand das Kriegsministerium an deren Spitze und konnte – anders als im übrigen Reich zu beobachten – gegenüber den nachgeordneten Stellen koordinierend wirken. Die Gerichte waren grundsätzlich nicht betroffen. Nur im Bereich des II. stellvertretenden Armeeoberkommandos () gab es Kriegsgerichte. Auch das Kriegsministerium unterstand letztendlich der Befehlsgewalt des Kaisers, die ab 1916 weitgehend durch das (preußische) Kriegsamt wahrgenommen wurde. Die Einwirkung der Zentralgewalt des Reichs war aber in Bayern durch die individuellen Regelungen eingeschränkt und weniger stark ausgeprägt.

Während des Kriegszustandes ergingen zahlreiche Spezialgesetze und Sonderregelungen, etwa zur Umsetzung der zentralisierten Kriegswirtschaft und im Bereich der Landwirtschaft zur Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen und Fertigerzeugnissen.

Ende des Kriegszustandes 1919 in Bayern

Am 12. November 1918 wurde durch einen Aufruf des Rats der Volksbeauftragen (Berlin) der Kriegszustand beendet. Dies galt für Preußen und das übrige Reich. Es war jedoch umstritten, inwieweit dies auch für Bayern mit seiner eigenständigen Gesetzeslage wirksam war. Daher wurde unter Bezugnahme auf Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung mit einer bayerischen Verordnung vom 4. November 1919 der Kriegszustand für Bayern zum 1. Dezember 1919 nochmals formal aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt galt bereits die am 15. September 1919 in Kraft getretene Bayerische Verfassung, die keine eigenen Regelungen zum Belagerungszustand enthielt.

Bayerische Staatsbibliothek