Ordenswesen (20. Jahrhundert)

Beschreibung

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte das Ordenswesen in Bayern eine große Blüte. Die Zahl der Ordensgemeinschaften, die Dichte der Niederlassungen und die Zahl der Ordensgeistlichen nahmen vor allem während der Weimarer Republik deutlich zu. Nach den Unterdrückungen durch den Nationalsozialismus blieb das Ordensleben nach wie vor attraktiv; zu einer Krise kam es erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) in Verbindung mit dem gesellschaftlichen Wandel der 1960er Jahre. Die Zahl der Neueintritte geht seitdem deutlich zurück, Niederlassungen müssen aufgegeben werden. Besonders betroffen sind die Schul- und Krankenpflegeorden, weniger die kontemplativen Gemeinschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden auch ordensähnliche evangelische Gemeinschaften.

Ausgangslage

Das 19. Jahrhundert brachte in Bayern, wie auch in anderen Ländern, eine Blüte des Ordenslebens und überwand die Folgen der Säkularisation, die auch in Bayern klösterliches Leben in weitem Umfang beseitigt hatte. Die kirchliche Erneuerung führte nicht nur zu einem neuen Aufblühen der alten Orden, sondern auch zur Neugründung von Kongregationen. Die neuen Gemeinschaften widmeten sich gemäß dem Konkordat von 1817 (Art. VII) vor allem dem Unterrichtswesen und der Krankenpflege. Viele Orden wirkten in den Missionen in Übersee.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verlief die Entwicklung, die im 19. Jahrhundert eingesetzt hatte, kontinuierlich weiter. Weder der Erste Weltkrieg noch der folgende staatliche Umbruch bedeuteten eine wesentliche Beeinträchtigung. Vielmehr erhielten die Orden durch die organisatorische Trennung von Staat und Kirche ab 1918/19 eine neue Bewegungsfreiheit.

Der zahlreiche Ordensnachwuchs gestattete den Ausbau der Infrastruktur des Ordenswesens. So wurden in Bayern in (1900), (1901), (1904), (1904) und (1918) beispielsweise Klöster der Benediktiner neu- oder wieder gegründet und bald zu Abteien erhoben. Viele weitere männliche und weibliche Ordensgemeinschaften vermehrten die Zahl ihrer Niederlassungen in Bayern. Die Jesuiten, die im Kulturkampf 1872 aus Bayern vertrieben worden waren, kamen 1912 zurück und schufen 1921 eine eigene oberdeutsche Provinz mit Sitz in . 1916 gründeten die Salesianer Don Boscos in ihre erste bayerische Niederlassung.

Der Unterricht der Mädchen lag in ländlichen katholischen Regionen in weitem Umfang in den Händen von Schulorden wie den Armen Schulschwestern (Mutterhäuser in München und Speyer). Die Englischen Fräulein spielten im katholischen höheren Mädchenschulwesen eine wichtige Rolle. Krankenpflege wurde vor allem von den Barmherzigen Schwestern geleistet (Mutterhäuser in München und ). Die Franziskanerinnen verschiedener Gemeinschaften (wichtigste Mutterhäuser in , und Augsburg) wirkten in kirchlichen Einrichtungen vor allem als Hauswirtschafterinnen, Erzieherinnen und Krankenschwestern.

In allen Ordensgemeinschaften war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein erheblicher Zuwachs an Mitgliedern, teilweise mehr als eine Verdopplung, zu beobachten. Die bayerischen Franziskaner (OFM) zählten beispielsweise um 1900 etwa 340, um 1930 jedoch etwa 560 Mitglieder. Die Zahl der Schulschwestern stieg im gleichen Zeitraum von etwa 1.870 auf 3.850, die der Barmherzigen Schwestern von 1.200 auf 3.300 und die der größeren Franziskanerinnen-Gemeinschaften von insgesamt rund 2.300 auf 5.850.

Eine organisierte Zusammenarbeit gab es nur zwischen den in Missionen tätigen Priesterorden. An der 1898 gegründeten deutschlandweiten Superioren-Konferenz, der späteren „Vereinigung Deutscher Ordensobern“ (VDO), beteiligten sich auch Ordensobere aus Bayern.

Zeit des Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

Die zwölfjährige Herrschaft des Nationalsozialismus (1933–1945) war für die Orden in Bayern eine Periode des Stillstands, für manche Gemeinschaften auch eine Phase erheblicher Pressionen. Der Zulauf neuer Mitglieder zu den Orden hielt zwar zunächst an, doch wurden sie von außen und schließlich auch durch die Kriegsumstände in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Trotz der im Bayerischen Konkordat (1924/25) und im Reichskonkordat (1933) vereinbarten Niederlassungs- und Betätigungsfreiheit der Orden wurden Ordensleute aus dem Unterrichtswesen gedrängt und klösterliche Schulen zur Schließung gezwungen. Eine gesteuerte Welle von Prozessen wegen Devisen- und Sittlichkeitsvergehen (1936/37) diente dazu, das Ansehen der Ordensleute in der Öffentlichkeit zu beschädigen. Die Klöster der Missionsbenediktiner in , Münsterschwarzach und Schweiklberg wurden 1941 staatlich aufgehoben. Einzelne Ordensleute wurden in Gefängnissen oder Konzentrationslagern interniert.

Während des Kriegs waren zahlreiche Ordensmänner zum Wehrdienst eingezogen; viele von ihnen sind gefallen. Ordensfrauen, nicht zuletzt aus den Schulen verbannte Lehrerinnen, leisteten vielfach Dienst in Lazaretten. Einige Ordensleute aus Bayern spielten eine wichtige Rolle im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime (z. B. die Münchner Jesuiten P. >> [1907–1945] und P. >> [1876-1945]).

Nach 1945

In der Nachkriegszeit nahmen die Orden in Bayern ihre angestammten Aktivitäten in Seelsorge, Mission, Unterricht, Erziehung, Krankenpflege usw. wieder auf und leisteten damit auch einen Beitrag zum Wiederaufbau. Die Nachwuchszahlen waren im Allgemeinen noch gut, auch wenn sie nicht an die Spitzenwerte der Zwischenkriegszeit heranreichten. Ein gewisses Nachwuchsreservoir für die Klöster in Bayern bildeten auch die heimatvertriebenen Katholiken aus dem Osten, vor allem aus Schlesien. In Bayern ließen sich außerdem einige vertriebene Konvente nieder, so die Benediktiner aus dem böhmischen Braunau, die eine neue Heimat im Kloster fanden, oder Arme Schulschwestern aus Böhmen, die in eine neue Niederlassung einrichteten.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) brachte verschiedene Anregungen zur Erneuerung des Ordenslebens. Im nachkonziliaren Prozess der Erneuerung waren generell auch krisenhafte Erscheinungen zu beobachten. Davon wurden auch die Orden in Bayern erfasst. Die Zahl der Neueintritte ging erheblich zurück; manche Mitglieder verließen ihren Orden. Viele Niederlassungen besonders aktiv-apostolischer Gemeinschaften (Schul- und Krankenpflegeorden) mussten aufgegeben werden. Dadurch verschwand die bis in die 1960er Jahre noch flächendeckende Präsenz von Ordensleuten in den katholischen Regionen Bayerns. Monastische und kontemplative Klöster waren jedoch von der Tendenz weniger betroffen. Dem allgemeinen Rückgang stehen aber auch neue Aufbrüche gegenüber, die sich in einzelnen Neugründungen und in neuen Tätigkeitsfeldern von Ordensleuten manifestieren (Seelsorge an Randgruppen, Hospizarbeit u. ä.). In den letzten Jahrzehnten haben sich auch ausländische Ordensleute in Bayern niedergelassen und teilweise Einrichtungen übernommen, die von bayerischen Ordensgemeinschaften nicht mehr getragen werden konnten (z. B. Franziskaner aus Polen, Schwestern aus Indien, Pauliner, etc.).

Orden und Bistümer

Für das kirchliche Leben im Allgemeinen spielten die Orden im 20. Jahrhundert in Bayern eine bedeutendere Rolle als in manchen anderen (katholischen) Regionen Deutschlands. Viele Ordenspriester wirken bis heute in der Pfarr- und in der Sonderseelsorge.

Als Besonderheit Bayerns gilt, dass – im Unterschied zu den übrigen deutschen Diözesen – während des 20. Jahrhunderts regelmäßig auch Ordensleute Bistümer leiteten:

>> OFM1895–1902Augsburg >> OSB1905–1932 >> OSB1936–1968 >> OSB1992–2004Augsburg

Zahl der Ordensmitglieder und Niederlassungen im Zeitraum zwischen 1900 und 1975

JahreNiederlassungen (Männer)OrdensgeistlicheOrdensmitglieder (Männer)Niederlassungen (Frauen)weibliche Ordensmitglieder19001001.7291.05210.67519201318712.3881.64717.98219251811.0833.5581.86222.08119321631.2624.7012.03224.97019391955.1391949/502203.7752.72327.44019652542.1043.9442.36229.91119682361.9323.6892.37028.00319752161.6182.4221.65320.218

Quellen: Statistisches Jahrbuch für Bayern (1900-1965) und Kirchliches Handbuch (1968-1975).

Evangelische Gemeinschaften

Dem Ordenswesen sind in einem weiteren Sinn auch Kommunitäten in der evangelischen Kirche zuzurechnen, deren Mitglieder sich wie die katholischen Ordensleute auf die "evangelischen Räte" (Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam) verpflichten. In Bayern entstanden 1949 die Christusbruderschaft und 1950 die Communität Casteller Ring mit Sitz auf dem bei . Die Bedeutung dieser Gemeinschaften für die bayerische evangelische Landeskirche ist jener der Orden in der katholischen Kirche jedoch kaum vergleichbar.

Bayerische Staatsbibliothek