Süddeutsche Freiheit. Zeitung für das neue Deutschland

Beschreibung

1918/19 in München erscheinende Wochenzeitung, zuletzt herausgegeben von Gustav Klingelhöfer (1888-1961). Die "Süddeutsche Freiheit" befürwortete – in Tradition des politischen Expressionismus – die Revolution, unterstützte den Rätegedanken und verstand sich national, föderalistisch, antiindividualistisch und antikommunistisch. Mit religiös-sozialistischem Pathos forderten die Autoren, einen "neuen Menschen" zu schaffen. Die Programmatik der Zeitung verdeutlichten auch die ganzseitigen avantgardistischen Holzschnitte auf den Titelblättern. Im April 1919 wurde das Blatt eingestellt.

Erscheinungsdauer, Herausgeber, Ziele

Bereits zehn Tage nach der Proklamation des Freistaates Bayern erschien am 18. November 1918 in die politische Wochenschrift "Süddeutsche Freiheit" mit einem Umfang von vier Seiten als Montagszeitung. Bis zur Einstellung der Zeitung während des Generalstreiks 1919 folgten weitere 20 Ausgaben. Die letzte Ausgabe erschien mit der Ausrufung der "Baierischen Räterepublik" am 7. April 1919.

Die Schriftleitung lag zunächst bei >> (1894-1975). Mit der dritten Ausgabe übernahm >> (1892-1973) diese Aufgabe, ab der sechsten Ausgabe >> (1888-1961), ein Freund >> (1893-1939), der die Zeitung laut Walther von Hollander von ihm erworben hat und politisch radikalisierte. Der neue Untertitel lautete nun "Zeitung für das neue Deutschland" (davor: "Münchner Montagszeitung"). Ab der neunten Ausgabe erschien die Zeitung mit der Eigenwerbung: "Unser Ziel: Die nationale großdeutsche Bundesrepublik. Der nationale sozialistische Volksstaat, Überwindung des imperialistischen Kapitalismus. Die nationale und internationale Werkgenossenschaft der Völker. Unser Weg: Die Überwindung des preußischen Machtzentralismus. Bekämpfung jedes Herrentums der Person und der Klasse. Erziehung aller zur politischen und sozialen Verantwortlichkeit. Pflege der internationalen Solidarität des Geistes."

Autoren

Für die Zeitung schrieben neben den verantwortlichen Redakteuren linksliberal, sozialdemokratisch, sozialistisch, anarchistisch, pazifistisch, spartakistisch bzw. kommunistisch und im feuilletonistischen Teil vereinzelt auch katholisch oder konservativ orientierte Autoren.

Zu ihnen gehörten u. a. die Schriftsteller und Publizisten >> (1879-1950), >> (1885-1950), >> (1878-1934), >> (1889-1953), >> (d. i. Karl Lindner [geb. 1890]), Mira Munk (1891-1950, oder auch Munkh, ursprünglich Mira Deutsch, verheiratet mit Walter v. Hollander), >> (1870-1945), >> (1898-1963), >> (geb. 1895), die Politiker >> (1854-1938) und >> (1875-1945), die Wissenschaftler >> (1880-1937) und >> (1891-1952), der Vertreter der Studentenschaft >> (1894-1982), der Arzt und Schriftsteller >> (1891-1937), >> (1895-1976), Walter Loewenfeld (1889-1925), der Bruder des Juristen >> (1887-1963), die Frauenrechtlerin >> (1857-1943), der Architektur-Kritiker >> (1885-1948), der Begründer der Anthroposophie >> (1861-1925) und der Theologe Helmuth Burgert (1893-1971).

Themen

Die "Süddeutsche Freiheit" war Teil der öffentlichen Neuordnungsdebatte nach der Niederlage 1918. Sie enthielt politische und feuilletonistische Beiträge insbesondere des heterogenen linken Spektrums, das die Revolution 1918/19 unterstützte. Außer dem Willen, eine öffentliche Diskussion jenseits bürgerlicher Vorstellungen zu entfalten, kann in den ersten Ausgaben keine einheitliche Programmatik festgestellt werden. Man bekundete Sympathien für Spartakisten, grenzte sich aber von der Berliner "Freiheit" oder der "Roten Fahne" entschieden ab, übte dennoch Kritik an >> (1867-1919) und beschäftigte sich mit wirtschaftlichen Fragen und einer (Teil-)Sozialisierung sowie der Integration des Rätesystems in eine demokratische Verfassung. Kritik richtete sich auch gegen die Internationale. Betont wurde die Eigenständigkeit der Revolution in Bayern, die man gegen die Vorgänge in Berlin abzugrenzen suchte. Die politischen Forderungen blieben insgesamt föderalistisch ausgerichtet.

Die erste politische Leitlinie

Erich Mühsams Eröffnungsbeitrag gab die erste politische Linie der Zeitung vor. Er rechtfertigte den Aufstand der Kieler Matrosen sowie die Konstituierung von Arbeiter- und Soldatenräten. Die Revolution verpflichte zu einer antimilitaristischen Gestaltung der Gesellschaft, die sich gegen Krieg und Ausbeutung wende. Vorbild könnten dabei nicht die westlichen Staaten sein. Insbesondere der französische Zentralismus wurde von den Redakteuren abgelehnt. Deutlich wurde ebenfalls eine Kritik an den Entwicklungen in der Sowjetunion ("Terror des Bolschewismus").

Mit dem Wechsel des verantwortlichen Redakteurs ab der sechsten Nummer setzte die Zeitung Schwerpunkte wie Bildung und Universität, Religion und Sozialismus oder die Rolle der Frauen in der neuen Gesellschaft. Nach der Ermordung Kurt Eisners plädierten Herausgeber und Autoren für die Räterepublik und für eine gewaltfrei zu erreichende Diktatur des Proletariats. Entsprechend trat der Herausgeber Gustav Klingelhöfer nach der Ermordung Eisners aus der Mehrheits-Sozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) aus und in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) ein.

Expressionismus und Sozialismus

In der graphischen Gestaltung zeigte sich die "Süddeutsche Freiheit" als Teil der kulturellen Avantgarde. Die erste Seite war jeweils einer Graphik (Zeichnung, Holzschnitt) vorbehalten. >> (1881-1940) und >> (1887-1959, auch Maurmeier, Mauermayr, Mauermeyer) versuchten in ihren Illustrationen, den Erwartungen des Publikums an eine realistische Darstellung entgegen zu arbeiten. In den Bildern von >> (1892-1940) und >> (1888-1954) wurde expressionistisches Pathos mit sozialistischen Inhalten verbunden und religiös eingefärbt. Fritz Schaefler und Aloys Wach waren mit >> (1889-1938) und >> (1888-1945) u. a. im "Aktionsausschuß revolutionärer Künstler" vertreten.

Der neue Mensch

Ebenso expressionistisch geprägt waren einzelne kulturpolitische Entwürfe. In verschiedenen Ausgaben wurde im Zuge eines "Kultes des Neuen" ein "neuer Mensch" (Nr. 15/16) von Eugen Roth vorgestellt, welcher - nachdem der Staat des alten Menschen bereits zerschlagen sei - auch dessen Geist "töten" müsse. Alle Hoffnung wurde mit diesem expressionistischen Topos in die Jugend gesetzt, die, im Sinne einer "neuen Frömmigkeit" (Nr. 15/16), mittels Gottesfurcht, Armut, Keuschheit und Wahrheit (Nr. 9) die Grundlage "ein[es] neue[n] Bund[es] des Geistes" (Nr. 15/16) bilden sollte. Eine Konsequenz dieser Haltung war die wiederholte Beschäftigung mit Verbindungslinien zwischen Religion und Sozialismus bis hin zum Abdruck katholischer, protestantischer und jüdischer Positionen.

Die alte und die neue Rolle der Frau

Bereits in den ersten Ausgaben wurde das Wahlrecht für Frauen gefordert. In der 20. Ausgabe vom 31. März 1919 verhandelten ausschließlich Autorinnen unter der Losung "Frauen auf zum Dienst am Volk" die Rolle, die der Frau in der Revolution zukommen sollte. Die typische Frau sei, so schrieb das damalige USPD-Mitglied >> (1882-1951), abseits der theorieintensiven Parlamente in praxisorientierten Einrichtungen wie Gemeindevertretungen und Schulverwaltungen zu finden. In dem Artikel von Anita Augspurg "Die Frau im Staat" hingegen wurde die "von sozialem Triebe ganz erfüllte Eigenart der Frau" als notwendiges Korrelat des "militaristisch und bureaukratisch eingestellten Geist des Mannes" verstanden, weshalb eine zu Siemsens Analyse diametral entgegengesetzte Position bezogen wurde.

Der organische Staat und die staatlichen Organe

Verhandelt wurden unter der Herausgeberschaft von Klingelhöfer repräsentative und sog. organische Formen der Demokratie, wobei die organische dem Räteystem angemessen sein sollte. Das Bild des Staates als Körper wurde in der 18. Ausgabe (17. März 1919) von Rudolf Steiner in einem Aufruf "An das Deutsche Volk und an die Kulturwelt" fortgesetzt. Der Staat solle über drei selbständige Glieder verfügen: Politik, Wirtschaft und geistige Produktion, die, wie Organe des menschlichen Körpers, nicht "die Aufgabe des anderen übernehmen [können], jedes aber unter Wahrung seiner Selbständigkeit mit den anderen zusammenwirken muß".

Die letzte Ausgabe

In der 21. und letzten Ausgabe vom 7. April 1919 wurde von >> (1883-1964) in dem Beitrag "Demokratie oder Diktatur" eine "Herbeiführung des Sozialismus auf dem Wege der latenten Diktatur des Proletariats" vorgeschlagen, da diese im modernen Parlamentarismus nicht möglich sei. Nicht ohne Pathos wurde deshalb im Artikel "Die Räte geistiger Arbeiter" von Moritz Geiger ein utopisches Gemeinschaftsideal proklamiert: "Was uns not tut, ist die Gemeinschaft von Geistigen, bei denen der Geist aus dem Herzen und nicht nur aus dem Kopfe stammt [...] aus Gemeinschaften des Geistes, die solchen Herzens sind [...], kann die innere Führung der neuen Zeit entstehen – mögen sie sich Bünde oder Räte oder Gemeinschaften nennen oder wie sonst."

Gründe für die Einstellung der Zeitung

Ob die Zeitung aufgrund des Generalstreiks oder der Pressezensur nicht mehr erscheinen konnte, ist unklar. Vieles spricht dafür, dass der Herausgeber Gustav Klingelhöfer in seiner Funktion als Stellvertreter Ernst Tollers im Oberkommando der Roten Armee zunächst aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen mit den Reichswehrverbänden und den Freikorps nicht mehr dazu kam, die Zeitung zu machen, und sie nach seiner Verurteilung im Juni 1919 zu 5 ½ Jahren Festungshaft aufgeben musste.

Bayerische Staatsbibliothek