Gauleiter

Beschreibung

Mit den ersten Wahlerfolgen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) nach ihrer Wiedergründung 1925 und ihrer Ausdehnung im Deutschen Reich gewannen von Adolf Hitler (1889-1945) persönlich ernannte und von ihm abhängige Parteiführer eine zunehmende Bedeutung. In den seit 1925/26 zunächst in Bayern und dann im Rest des Reiches errichteten Gauen sollten diese Gauleiter die Propaganda, Mobilisierung und Wahlkämpfe der jungen, aber schnell expandierenden Partei koordinieren.

Die Gauleiter im Machtgefüge des "Dritten Reiches"

Das Amt des Gauleiters war zunächst ein reines Parteiamt. Entsprechend dem Führerprinzip waren die Gauleiter nur >> (1889-1945) verantwortlich und trugen die politische Gesamtverantwortung für ihr jeweiliges "Hoheitsgebiet". Damit verbunden waren das Aufsichtsrecht und die Disziplinargewalt über sämtliche Dienststellen der angeschlossenen Verbände und Gliederungen der NSDAP innerhalb des Gaues. Deren regionale Organisation wurde nach 1933 schrittweise in die Gauleitungen integriert. Meist war der Leiter des jeweiligen Gauamts (dem Gauleiter unterstellt) in Personalunion Gauwalter des entsprechenden Verbandes (der jeweiligen Reichswaltung unterstellt). Dies brachte einen massiven Ausbau des Verwaltungsapparates mit sich, zugleich beschränkte die damit einhergehende fachliche Zentralisierung zahlreicher Ämter in der Reichsleitung der NSDAP den Einfluss der Gauleiter. Neben den Gauleitern waren vor allem die Amtsleiter mit vornehmlich politischen Funktionen wichtig, vor allem der Gaugeschäftsführer, der Propaganda-, der Schulungs- und der Organisationsleiter, der Personalamtsleiter und der stellvertretende Gauleiter.

Aus ihrer Führerunmittelbarkeit und ihrer politischen Aufgabe leiteten die Gauleiter einen umfassenden politischen Führungsanspruch ab, sie intervenierten bei Behörden und vertraten die Interessen der Partei. Wichtigstes Einfallstor in die staatliche Verwaltung war die Personaleinstellung und -führung, da ihnen die Erstellung politischer Gutachten für alle Bewerber und Mitglieder des öffentlichen Dienstes oblag. Viele Gauleiter versuchten zudem, Einfluss durch die Übernahme staatlicher Ämter im Gaugebiet zu erlangen (als Reichsstatthalter bei den Mittelstaaten, Oberpräsidenten oder Regierungspräsidenten in Preußen). Nur in den "Reichsgauen" (7 österreichische Gaue, Sudetenland, Wartheland (auch: Warthegau), Danzig-Westpreußen) waren ab 1938 Partei- und Staatsverwaltung umfassend verschmolzen. Neben förmlichen Personalunionen vor Ort konnte es auch lohnen, anderweitig ein hinreichendes politisches Gewicht in die Waagschale werfen zu können (z. B. als Landes- oder Reichsminister, als Reichsleiter der NSDAP oder durch besondere Nähe zu Hitler).

Die bayerischen Gauleiter nach 1933

Eine bayerische Besonderheit war die Existenz mehrerer Gaue in einem Land (abgesehen von Preußen). Die Gauleiter standen damit nach 1933 einer Landesregierung und einem Reichsstatthalter gegenüber, die ihre Kompetenzen für das Land als Ganzes wahren wollten. Mit >> (1868-1947) hatte Hitler jedoch einen Reichsstatthalter ernannt, der selbst nicht Gauleiter war, keine Hausmacht in der NSDAP hatte und mit der Dauer des NS-Regimes immer mehr an Einfluss einbüßte. Formal war keiner der Gauleiter über seine auf Gleichrangigkeit bedachten Kollegen gestellt, was aber nichts über die tatsächlichen Machtverhältnisse und das politische Schwergewicht der sechs Amtsträger aussagt.

Das Spektrum der bayerischen Gauleiter ist in Bezug auf Biographie und politische Stellung repräsentativ. Die Gauleiter waren 1933 zwischen 40 und 50 Jahren alt, durchweg "Alte Kämpfer" der NSDAP. Bis auf >> (1882-1981) hatten alle ein Studium absolviert, drei von ihnen waren Volksschullehrer gewesen. Regierungsämter in München übernahmen 1933 >> (1890-1944, Innenminister) und >> (1891-1935, Kultusminister), was aber nicht im Sinne einer Unterordnung oder Kabinettsdisziplin missverstanden werden darf. Als Regierungspräsidenten ihres Gaues waren Wahl und >> (1896-1968) ansatzweise in die Innenverwaltung eingebunden, während >> (1895-1944) und >> (1885-1946) eine solche – wenn auch eher formale – Unterordnung unter den Innenminister oder die Landesregierung ablehnten und deshalb keine Staatsämter annahmen.

Schemm, der zugleich Reichswalter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) war, und besonders Wagner galten als die politischen Schwergewichte unter den bayerischen Gauleitern, gerade Wagner wegen seiner besonders engen Beziehungen zu Adolf Hitler. Streicher und Bürckel gerierten sich als Lokalfürsten, die betont auf ihre Autonomie bedacht waren. Hellmuth und Wahl werden dagegen meist als minder bedeutende und eher blasse Gauleiter eingeschätzt, die keine landes- oder reichspolitischen Ambitionen hatten. Das sollte aber nicht über deren spezifische Effizienz bei der regionalen Herrschaftsausübung hinwegtäuschen. Immerhin leiteten beide ihre Gaue ohne Unterbrechung von deren Gründung bis zum Zusammenbruch 1945.

Von den im Laufe des "Dritten Reiches" nachrückenden Gauleitern sind vor allem zwei zu erwähnen: >> (1891-1945) folgte Schemm als Reichswalter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes nach und übernahm zugleich den Gau Bayerische Ostmark. >> (1895-1945) leitete ab 1942 de facto die Geschäfte aller vier bayerischen Ministerien und wurde am 10. April 1944 geschäftsführender bayerischer Ministerpräsident. Wegen des Bedeutungsverlustes der staatlichen Behörden konnte er aber diese Ämterhäufung nicht mehr zu einer landesweiten Machtstellung ausbauen.

Dezentralisierungsschübe 1936 und 1939

Die Gaue übernahmen nach der Verkündung des Vierjahresplanes 1936 zunehmend Mobilisierungs- und Steuerungsfunktionen zur Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs, besonders in Hinblick auf die Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Die Einführung des Amtes eines Reichsverteidigungskommissars (RVK) mit Beginn des Zweiten Weltkriegs erweiterte die Macht der Gauleiter deutlich. Durch eine Verfügung des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 1. September 1939 wurde für jeden Wehrkreis als regionale Exekutive des Ministerrats ein RVK bestellt. Für dieses Amt waren nur jene Gauleiter vorgesehen, die bereits ein staatliches Amt innehatten. Die anderen Gauleiter konnten für ihr Gebiet zwar zu "Beauftragten" des RVK ernannt werden, dies drohte sie aber zu Gauleitern zweiter Klasse zu machen. Die RVK waren eine zivile staatliche Mittelinstanz, die alle staatlichen Dienststellen eines Gaues zusammenfassen und auf die Erfordernisse des Krieges ausrichten sollten, insbesondere mit Blick auf die Sicherstellung von Nahrungs- und Energieversorgung, Kriegswirtschaft und die Sicherung der Zivilbevölkerung. Damit konnten die Gauleiter aus eigener Kompetenz auf ein umfassendes Aufgabengebiet und die dazugehörigen Behörden und Sonderverwaltungen zugreifen.

Die bayerischen Gauleiter nach 1942

Parallel zur Ausrufung des "totalen Krieges" wurden zum 16. November 1942 neue Reichsverteidigungsbezirke eingeführt, die deckungsleich mit den Gauen waren, so dass nun jeder Gauleiter als RVK seines Territoriums amtierte. Die gewerbliche Wirtschaft wurde mit den Gauwirtschaftskammern endgültig den Gauleitern unterstellt, die zugleich als Gaubeauftragte für den Arbeitseinsatz fungierten. Die Gauleitungen waren so auf der regionalen Ebene mit den wichtigsten Sonderverwaltungen verschränkt. Sie waren zudem für Wohnungsbau, Luftschutz und den Stellungsbau zur Verteidigung ihres Gebiets zuständig. Bayern zerfiel zunehmend in einzelne Gaue; die Regierung in München funktionierte noch als Verwaltung, wirkte aber kaum noch integrierend.

Die Gauleiter waren durch den Führererlass vom 20. September 1944 auch für die Aufstellung des Volkssturms zuständig, wobei der militärische Befehl der Wehrmacht zufiel. Tatsächlich maßten sich gegen Kriegsende besonders fanatische Gauleiter aber auch hier Kompetenzen an. Ende 1944 konnten einzelne Gauleiter noch zum RVK "im Operationsgebiet" werden und als oberste vollziehende Gewalt dort auftreten beziehungsweise zum "Vorgesetzten RVK" berufen werden. So wurde Paul Giesler als "RVK Süd" zum Vorgesetzten Wahls und dreier österreichischer Gauleiter. Diese Maßnahmen konnten in den letzten Kriegsmonaten allerdings kaum noch Wirkung entfalten. Mit dem schnellen Vorrücken der Front erwuchsen den Gauleitern vielmehr in Person der Kommandanten von Wehrmacht, allgemeiner und Waffen-SS Konkurrenten, die ihren Bewegungsspielraum kurz vor dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" wieder einschränkten.

Die bayerischen Gauleiter vor dem Zusammenbruch 1945

Die bayerischen Gauleiter sind in ihrem Verhalten bei Kriegsende repräsentativ für das Gauleiterkorps des "Dritten Reiches". Die Todesumstände Josef Bürckels sind unklar; nach der Räumung von Metz 1944 scheint es aber zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und der SS gekommen zu sein, weshalb Bürckel vom Leiter der Parteikanzlei, >> (1900-1945), entmachtet wurde. Sein Nachfolger >> (geb. 1903) tauchte bei Kriegsende unter und wanderte wahrscheinlich aus. Ebenso war Hellmuth untergetaucht, wurde aber 1947 verhaftet. Wächtler verließ im April 1945 mit seinem Stab , was Hitler als Zurückweichen vor dem Feind deutete; er wurde aus der Partei ausgeschlossen und von der SS erschossen. Während Wahl die kampflose Übergabe im Hintergrund befördert haben soll und 1945 verhaftet wurde, erwiesen sich Streichers Nachfolger >> (1895-1945) und Giesler als fanatische Anhänger Hitlers bis zum Schluss. Sie setzten ihre Durchhalteparolen auch in die Tat um, so zum Beispiel Giesler bei der Niederschlagung der "Freiheitsaktion Bayern" noch in den letzten Kriegstagen.

Stand und Perspektiven der Forschung

Die Funktionsgeschichte der Gaue der NSDAP bedarf noch der weiteren systematischen Erforschung. Die Gaue stellten nicht nur eine parteiinterne Verwaltungsgliederung dar oder eine Parallelverwaltung, die in die staatlichen Behörden hineinregierte. Sie errangen mit der Dauer des nationalsozialistischen Regimes eigene exekutive Kompetenzen. Die Gauleiter fungierten als regionale Ebene neuer, für die nationalsozialistische Polykratie typischer Sonderverwaltungen, erlangten als RVK Zugriff auf sämtliche Behörden in ihrem Machtgebiet und wurden so zu regionalen Koordinierungsinstanzen des NS-Regimes. Die Untersuchung der regionalen Herrschafts- und Verwaltungspraxis und der Bedeutung der Gaue für die Aufrechterhaltung des NS-Systems bis 1945 steht weitgehend noch aus. Ebenso fehlen Studien zu den Funktionsträgern der Gauverwaltungen, selbst zu vielen Gauleitern sind umfassende biographische Studien selten. Seit kurzem sind die Fragen nach dem Verhältnis von Gauen und staatlicher Verwaltung, nach dem spezifisch neuen, quasi-staatlichen Charakter der Gaue als dezentrale Instanzen im zentralistischen "Führerstaat" von neuem in den Fokus der zeitgeschichtlichen Forschung geraten.

Bayerische Staatsbibliothek