Manuale des Michael de Leone
Beschreibung
Das "Manuale" des Michael de Leone (gest. 1355) ist eine Sammelhandschrift aus der Zeit um 1350, in der der bischöfliche Protonotar, Kanoniker und Scholaster des Würzburger Neumünsterstifts Michael de Leone zahlreiche Texte geistlicher und weltlicher Provenienz aus dem Würzburger Literaturbetrieb der Zeit vereinigte. Die Pergamenthandschrift zählt zu den bedeutendsten Literatursammlungen des 14. Jahrhunderts in Mitteleuropa.
Handschrift und Überlieferung
Als "Manuale" des >> (gest. 1355) wird eine zweibändige Sammelhandschrift bezeichnet, die der Würzburger Kleriker, bischöfliche Protonotar und Scholaster des Neumünsterstiftes um die Mitte des 14. Jahrhunderts für sein Stift schreiben ließ. Die Pergamenthandschrift im Umfang von 87 Blättern im Folioformat (33 × 25 cm) ist zwar erst im Jahr 1600 und dann bis 1785 im Besitz des Stiftes nachweisbar, dürfte sich jedoch mit Sicherheit bereits zu Lebzeiten Michael de Leones im Bestand der ungewöhnlich gut ausgestatteten Bibliothek des Neumünsterstifts befunden haben. Der noch vorhandene gotische Originaleinband zeigt Spuren der Verwendung als Kettenbuch (Liber Catenatus) in einer typisch spätmittelalterlichen Pultbibliothek.
Aus nicht nachvollziehbaren Gründen war die Handschrift 1803 nicht unter den Beständen des säkularisierten Stifts. Sie wurde 1822 durch die Witwe des Historikers und Archivars >> (1762-1817) für elf Gulden erworben und kam zu einem späteren Zeitpunkt in die Würzburger Universitätsbibliothek, wo sie heute unter der Signatur M. p. misc. f. 6 aufbewahrt wird.
Entstehungsgeschichte
Die Handschrift besteht aus zwei ursprünglich selbständigen Teilen mit jeweils einer eigenen, durchgehenden Kapitelzählung, die von der planenden Hand Michael de Leones herrührt.
Der zweite Teil gilt als der ältere und dürfte um das Jahr 1343 begonnen worden sein. Hier finden sich hauptsächlich Texte, die in engerer Verbindung mit Verwaltung und Liturgie des Stiftes stehen. Der Abschluss ist bald nach 1348 mit den Nachträgen zum Testament Michael de Leones und seinen Stiftungen für das Neumünsterstift anzusetzen.
Schon einige Zeit vorher, wohl um 1345, begannen die Arbeiten am ersten Band, der zahlreiche über das engere Interessengebiet des Stiftes hinausweisende Texte enthält. Die Arbeiten an diesem Band wurden parallel zur Entstehung des "Hausbuchs" vorangetrieben, einer weiteren Sammelhandschrift de Leones für die nachfolgenden Generationen der Familie in dem von ihm erworbenen "Großen Löwenhof" in Würzburg, die heute in der Universitätsbibliothek unter der Signatur 2° Cod. ms. 731 verwahrt wird. Ein Teil der Texte wurde parallel in das Manuale und das Hausbuch aufgenommen. Auch einige der eingesetzten Schreiber konnten in beiden Codices identifiziert werden. Durch ein Schreiberkolophon des auch im Hausbuch tätigen Giselher ist lediglich der Eintrag von Johannes Luterbeks "Vita Sancti Burghardi" im Manuale präzise auf das Jahr 1350 zu datieren (fol. 47r). Um dieselbe Zeit dürfte das umfangreiche Pestcorpus in Kap. 13 (fol. 59r-66v) hinzugefügt worden sein, das sich ebenfalls im "Hausbuch" befindet. Weitere Ergänzungen und Nachträge erstrecken sich bis in Michaels letzte Lebensjahre 1354/55.
Die Schriften Michael de Leones im Manuale
Unter den vielfältigen Inhalten des Manuale befinden sich auch einige Stücke aus der Feder Michael de Leones: eine kurze Geschichte der Taten des Würzburger Bischofs >> (reg. 1333-1345) (23r-25r), eine am Beginn der Kompilation positionierte Fundationsgeschichte des Neumünsterstifts (1rv), eine knappe Bistumsgeschichte "De cronicis temporum hominum modernorum" (26r-29v), einige Gebete, ein Komplex über die Rechte des Klerus unter Verwendung von Texten >> (gest. 1357) (67r-71v), eine Erläuterung über das rechte Bauen (78v; im "Hausbuch" parallel als Apostilla zur "Epistola de cura rei familiaris" des >> ) sowie Kommentare und Glossen zur "Divisio metrica" des Hermann von Schildesche (21v-23r). Abgesehen von Michael de Leones Bearbeitung des "Renners" von >> (ca. 1235-nach 1313) befinden sich sämtliche seiner Werke im "Manuale". Sie nehmen aber insgesamt nur wenig Raum ein.
Schriften zur Reichspolitik im Manuale
Im Vordergrund stehen die von Michael zu einer Sammlung eigenen Wertes für sein Stift zusammengetragenen Schriften anderer Autoren, die zu einem großen Teil in unmittelbarer persönlicher Beziehung zu ihm standen. Neben theologischen und philosophischen Schriften, die einen Zusammenhang mit Michaels Tätigkeit als Scholaster des Stifts erkennen lassen, sowie weiteren liturgischen Werken fällt insbesondere der hohe Anteil an reichspolitischem Schriftgut auf. >> (gest. 1363) "Rimaticum querulosum" mahnt in der poetisch-allegorischen Form der Minneallegorie zur Reichstreue. Mit dem Würzburger Domkanoniker, bischöflichen Offizial und späteren Bischof von Bamberg (reg. 1353-1363), der einen hohen Anteil an der Ausbildung des deutschen Königswahlrechts hatte, verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Auch die Verdeutschung des Stückes in Reimpaarversen durch den Pfarrer >> aus (Lkr. Main-Spessart) fand Eingang in das Manuale. Wohl aus der Bibliothek des Neumünsterstifts selbst stammt das ältere Kuriengedicht Magister >> (gest. 1265). Er war in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Kanoniker am Neumünster. Gerade jene Werke besaßen in einer Stadt, deren bürgerliche Eliten sich durch besondere Reichstreue auszeichneten, während die Bischöfe sich stetigen Ansprüchen durch das avignonesische Papsttum, Provisionen, Doppelwahlen und häufigen Interedikten ausgesetzt sahen, einen hohen tagespolitischen Gehalt im Ringen >> (reg. im Reich 1314-1347, Kaiser ab 1328) mit der Kurie.
Texte mit lokalen und aktuellen Bezügen im Manuale
Aktuelle Probleme auf lokaler Ebene repräsentieren dagegen die Reformstatuten Bischof Ottos von Wolfskeel oder die Aktenstücke aus dem Prozess gegen den Ketzer >> (gest. nach 1342) aus dem Jahr 1342, an dem Michael de Leone beteiligt war. Bemerkenswert sind schließlich auch die Aufnahme von Prophetien von >> (1098-1179) bis >> (gest. 1202), die mit Endzeiterwartungen vor dem Hintergrund der großen Pest in Zusammenhang stehen dürften. Medizinisches Interesse lässt die Aufnahme einiger aktueller Pestregimina erkennen.
Daneben kommen auch immer wieder Kurztexte zur Aufnahme, einige Grabinschriften, unter denen besonders die Grabinschrift des wohl um 1230 als Inhaber einer Pfründe oder eines Lehens des Neumünsterstifts in Würzburg verstorbenen >> (ca. 1170-1230) hervorragt. Laut Manuale (und parallel dazu auch im "Hausbuch") wurde der Dichter im Kreuzgang des Neumünsters begraben. Zu Lebzeiten Michaels mag die Inschrift noch sichtbar gewesen sein. In das "Hausbuch" wurde auch eine – vielleicht in der Bibliothek des Stiftes überlieferte – Sammlung der Lieder Walthers aufgenommen.
Michaels Memoria im Manuale
Auftakt und Ende des "Manuale" bilden Notizen zu Stiftungen und Anniversarien Michael de Leones für sich selbst und für Mitglieder seiner Familie, mit der die hinterlassene Sammelhandschrift im doppelten Sinne zum Träger der Memoria Michaels im Stift wurde. Als Stiftsmitglied wurde er auch in der Stiftskirche des Neumünsters bestattet. Sein Epitaph ist bis heute erhalten.
Übersicht über Gliederung und Inhalt
Die folgende Tabelle zählt nur die wichtigsten Texte aus dem Manuale auf. Kurztexte wurden nicht eigens bzw. nur summarisch aufgeführt. Sie sind ausführlicher in der Beschreibung der Handschrift von Hans Thurn im Katalog der Neumünster-Handschriften in der Universitätsbibliothek Würzburg zu finden. Die Kapitelangaben folgen der gelegentlich inkonsequenten Zählung Michael de Leones.
Teil IKap. 1 (1r-10r) 1r >> , Verzeichnis der Stiftungen und Jahrtage für sich und seinen Bruder1rv >> , De origine Novi Monasterii1v-10r >> , Breviloquium de exposicione missaeKap. 2 (10r-15r) 10r-15r >> , Summa de officio sacerdotisKap. 3 (15r-18v) 15r-18v Passus inderdicti ecclesiastici18r-19v >> , OrationesKap. 4 (19r-19v) >> , OrationesKap. 5 (19v-20r) >> , Orationes, liturgische Texte, dt. und lat.Kap. 6 (21r-23r) 21r De subiecto philosophiae naturalis et eius distinctione21r-21v Kapitelverzeichnis zu >> , Tractatus prosaicus de ordine studendi pro iuvenisbus21v-23r >> , Divisio metrica ac generalis descripcio tocius philosophiae, mit Kommentaren und Glossen von >> 23r Versus de philosophiaKap. 7 (23r-26r) 23r-25r >> , De laudabilibus gestis recolende memorie domini >> episcopi Herbipolensis25r-25v Schiedsvertrag zwischen den Bürgern und Bischof >> vom 22. Oktober 134425v-26r Salubres ordinaciones domini >> episcopi Herbipolensis de festo beatorum Kyliani et sociorum eiusKap. 8 (26r-29v) >> , De cronicis temporum hominum modernorumKap. 9 (30r-31v) Glosse zum Vaterunser, Verse zu den 10 Geboten etc., lat.; Grabinschriften, darunter für >> und Kaiser >> (reg. 1211-1250) Kap. 10 (32r-35r) >> , Speculum sacerdotumKap. 11 (35v-37r) verschiedene Prophetien, lat., darunter Auszüge aus >> , >> und "Merlin de Brittania"Kap. 12 (37v-58v) 37v-39v >> , Ritmaticum querulosum40r-42v >> von , Von dem Romschen Riche eyn Clage43r-44v Johannes Luterbek, Vita Kyliani44v-47r Johannes Luterbek, Vita Sancti Burghardi47r-48v Nota über die Geschmacksarten, lat.,; verschiedene Gebete und Segen, lat.49r-58v >> de Swevia, De statu Romane Curiae per dyalogum; mit Glossen58v Nachtrag: Andreas de Zirkenbach, lat. Verse über den Streit zwischen Bischof >> (reg. 1345-1372) mit den Kap. 13 (59r-66v) 59r-61r Pestregimen aus Montpellier für Herzog >> (gest. 1358), lat.61r-63r Pestgutachten der Pariser Medizinerfakultät von 1348, lat.63r-64r Rezepte und Anleitungen gegen die Pest von >> (gest. 1348), lat.64r-66v Heintzelin der Klein von Costentz, Rede von den Heiligen Johansen zwein Teil IIKap. 1 +2 (67r-71v) 67r >> (gest. 1210), Liber derivationum, Fragment67r-71v >> , Auszüge und Kommentare zu Werken von >> und >> (de Zelo Chistiane Religionis), Abschrift der Authentica Habita >> (reg. 1152-1190, Kaiser seit 1155), etc.Kap. 3 (71r-71v) >> , Precula (Scholarengebet, lat.)Kap. 4 (72v-73v) Eidesformeln (Abtseid, Bürgereid, Judeneid), dt. und lat.Kap. 7 (73v-77r) >> , Reformstatut für die Kirche, im Anhang Eidesformeln für kirchliche Amtsträger und in geistlichen ProzessenKap. 8 (77r-77v) Geständnis und Widerruf aus dem Prozess gegen den Ketzer >> Kap. 9 (78r)Eid für einen Kapitelprokurator, konzipiert von >> Kap. 10 (78r-78v) >> , Epistola ad Raymundum78v >> , De artis theorica edificatorie et practicaKap. 11 (78v-79v) Beichtformular, lat.; Verse über die 10 Gebote etc., lat.Kap 10 (79v-80r) Stundengebet für Karfreitag, lat.; CollectaKap. 11 (80r-80v) Gebete für Sterbende, Todkranke, lat.; teilweise von >> Kap. 13 (81r) Fürbittgebet an den Hl. Johannes, lat.Kap. 14 (81r) Segen und Fürbittgebet für Abwesende und ReisendeKap. 15 (81r-83v) Segen und Gebete für verschiedene Gelegenheiten, lat.Kap. 16 (82v-83v) Segen und Gebete für verschiedene Gelegenheiten, lat. Kap: 17 (83v-87r) 83v-85v Testament >> , lat. 85v-87v Stiftungen und Anniversarien >> für sich, seinen Bruder, Pitanzien und Vikarien
Bewertung
Das Manuale gibt intensive Einblicke in das Wirken Michael de Leones als bischöflicher Protonotar, Kapitelherr und Scholaster des Neumünsterstifts. Es belegt darüber hinaus die Bedeutung der Bischofsstadt Würzburg als Zentralort der deutschen Literatur um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Unter den einzelnen Texten ragen weniger die von Michael selbst verfassten Stücke hervor; sein Verdienst liegt eher in der Zusammenführung, Redaktion und Kompilation von Texten eines Literaturbetriebs, der literarische Zusammenhänge und Persönlichkeiten einer Region bis auf die Ebene der Reichspolitik präsentiert.
Das "Manuale" zählt gemeinsam mit Michaels "Hausbuch" – in dessen Schatten es oft zu wenig Beachtung findet - zu den bedeutendsten Literatursammlungen des 14. Jahrhunderts in Mitteleuropa. Eine Gesamtedition existiert bis heute nicht; lediglich einzelne Texte sind bisher verstreut ediert. Eine bei Restaurierung der Handschrift 2006 geplante Digitalisierung könnte immerhin in eine Faksimilierung münden, die einer weiteren Erforschung der Sammlung als Grundlage dienen sollte.