Raubritter
Beschreibung
Unter Raubrittern versteht man Adelige, die angeblich im späten Mittelalter aufgrund des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels und der veränderten Kriegstechnik in Not geraten wären und daher versucht hätten, ihre Existenz durch Raub und Plünderung zu sichern. Das Wort "Raubritter" ist in der deutschen Sprache seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert allgemein bekannt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierte es sich dauerhaft, da es sowohl zur bürgerlichen als auch zur sozialistischen Adelskritik passte. Für die wissenschaftliche Erforschung des Mittelalters ist der Begriff unbrauchbar.
Bedeutung des Begriffs
Raubritter waren nach landläufiger Vorstellung Angehörige des niederen, ritterbürtigen Adels, die infolge des zunehmenden Verlusts militärischer Funktionen sowie aufgrund des im späten Mittelalter tiefgreifenden Wandels in Herrschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, vor allem durch die Folgen des Übergangs von der Natural- zur Geldwirtschaft, in Not geraten waren. Ihre prekäre Situation versuchten sie - so die populäre Meinung - durch Straßenraub sowie durch Beutemachen in mutwillig angezettelten Fehden und Überfällen insbesondere auf Städte und Kaufmannszüge zu verbessern.
Entstehung und Verbreitung
Der Begriff als solcher lässt sich zwar schon 1672 nachweisen (Christian August Pfalz, Abominatio desolationis Turcicae, Prag 1672, 47 u. ö.), fand aber erst seit dem späteren 18. Jahrhundert eine weitere Verbreitung. Allerdings hatten schon früher viel gelesene Ritterromane und aufklärerische Geschichtswerke die Gestalt des räuberischen Ritters und Plackers unter die Leute gebracht. Die erzählenden, naturgemäß zumeist parteilichen Quellen des späten Mittelalters sprechen in diesbezüglichen Kontexten, in denen es freilich mitnichten allein um Auseinandersetzungen zwischen landgesessenem Adel und städtischem Bürgertum ging, gewöhnlich von "raptores", "predones", "latrones", "spoliatores" oder "räubern" und bezeichnen deren Burgen bisweilen als "raubheußer".
Als die griffige Bezeichnung "Raubritter" einmal in der Welt war, fand sie, wohl nicht zuletzt wegen ihres in der deutschen Sprache so beliebten alliterierenden Charakters, rasch Eingang in die bildungsbürgerliche Literatur. Das "Staats-Lexikon" von >> (1775-1840) und >> (1790-1869) aus dem Jahr 1835/48, >> (1776-1861) "Weltgeschichte für das deutsche Volk" (1844/56), die weit verbreitete Weltgeschichte von Karl Friedrich Becker (1867) und Spamers illustrierte Weltgeschichte (1893-1898) sowie viele andere Werke trugen zu seiner Popularisierung bei. >> (1816-1895) fügte noch das Bild von den die städtischen Mauern umschwärmenden Raubvögeln hinzu (1859/67). Die Burgenromantik und die mit ihr verbundenen Sagen taten ein Übriges.
Seine Eignung für die politische Polemik bewährte der "Raubritter" erstmals im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, als beispielsweise >> (1805-1870) sich beklagte: "Wir leben im 19. Jahrhundert; die Burgen der Raubritter sind gefallen, allein die Lasten, welche sie ihren Grundholden aufgelegt, bestehen noch immer fort" (1847). Zunächst wurde auf solche Weise nur der Adel kritisiert und diffamiert. Inzwischen aber beschimpfen sich längst Kontrahenten aller weltanschaulichen Richtungen wechselseitig als Raubritter, wenn es gilt, die Berechtigung von Steuern, Gebühren, Mieten, Preisen, Löhnen und dergleichen mehr in Zweifel zu ziehen und dabei den politischen Gegner zu diskreditieren.
Theoretische Fundierung durch den Marxismus
>> (1820-1895) verwendete zwar nicht den Begiff, lieferte jedoch im Rahmen seiner Schrift über den deutschen Bauernkrieg (1850) die sozioökonomische Begründung für den Raubritter, die seither nicht allein im sozialistischen, sondern – vielfach unbedacht – auch im bürgerlichen Lager fortwirkt und bis ins spätere 20. Jahrhundert selbst in der wissenschaftlichen Literatur gängiges und nur selten einmal kritisch reflektiertes Klischee war: "Der niedere Adel, die Ritterschaft, ging ihrem Verfall rasch entgegen. Ein großer Teil war schon gänzlich verarmt und lebte bloß von Fürstendienst in militärischen oder bürgerlichen Ämtern; ein anderer stand in der Lehenspflicht und Botmäßigkeit der Fürsten; der kleinere war reichsunmittelbar. Die Entwicklung des Kriegswesens, die steigende Bedeutung der Infanterie, die Ausbildung der Feuerwaffe beseitigte die Wichtigkeit ihrer militärischen Leistungen als schwere Kavallerie und vernichtete zugleich die Uneinnehmbarkeit ihrer Burgen. Gerade wie die Handwerker wurden die Ritter durch den Fortschritt der Industrie überflüssig gemacht. Das Geldbedürfnis der Ritterschaft trug zu ihrem Ruin bedeutend bei. Der Luxus auf den Schlössern, der Wetteifer in der Pracht bei den Turnieren und Festen, der Preis der Waffen und Pferde stieg mit den Fortschritten der gesellschaftlichen Entwicklung, während die Einkommensquellen der Ritter und Barone wenig oder gar nicht zunahmen. Fehden mit obligater Plünderung und Brandschatzung, Wegelagern und ähnliche noble Beschäftigungen wurden mit der Zeit zu gefährlich." (Karl Marx/Friedrich Engels, Werke 7, Berlin-Ost 1960, 333)
Wissenschaftliche Bewertung
Tatsächlich verbinden sich im Raubritter-Begriff sowohl linke als auch bürgerliche Feudalismuskritik einerseits und ein tiefes Unverständnis im Umgang mit der uns fremden Staatlichkeit des späten Mittelalters andererseits. War doch die "rechte Fehde" als ultimatives Rechtsmittel und Instrument der bewaffneten Selbsthilfe ein an sich unumstrittenes Element der mittelalterlichen Verfassung, keineswegs aber Ausdruck von Entartung oder Verfall. Insofern ist es auch nicht gerechtfertigt, das Rechtsempfinden fehdeführender Adliger kurzerhand als vordergründige Verbrämung materieller Interessen abzutun, umso weniger, als durch jüngere Forschungen nachgewiesen ist, dass die wirtschaftlichen und sozialen Prämissen des gängigen Raubritterbildes in ihrer vielzitierten Pauschalität überhaupt nicht zutreffen.
Obgleich das Fehderecht – auch durch Fürsten und Städte – zweifellos sehr oft missbräuchlich angewendet wurde, geht es bei der Beurteilung des sogenannten Raubrittertums letztlich weniger um die immer von neuem erörterte Frage nach rechter oder unrechter Fehde als vielmehr grundsätzlich um die Einschränkung und endliche Ausschaltung der bewaffneten Selbsthilfe, insbesondere der Fehde, im Zuge der Entwicklung und Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols seitens der Landesherren wie auch der großen Städte, denen der Kampf gegen die ritterliche Gewaltanwendung nicht zuletzt als Mittel der Durchsetzung und Selbstbehauptung im allgemeinen Prozess der Territorialisierung diente. Nach dem erfolglosen Bemühen der vielfältigen hoch- und spätmittelalterlichen Landfriedensbestrebungen führten die Reichslandfriedensgesetzgebung seit 1495 (Ewiger Landfriede) und die Reichsexekutionsordnung (1512/55) im Lauf der Frühen Neuzeit zur Kriminalisierung der Ritterfehde und zur Monopolisierung der Gewaltanwendung auf Seiten der fürstlichen Landesstaaten und schufen so letztlich die Voraussetzung für die Entstehung des Begriffs "Raubritter", der freilich für den Gebrauch im wissenschaftlichen Diskurs untauglich ist.