Reichskleinodien

Beschreibung

Die Reichskleinodien sind der Kronschatz des bis 1806 bestehenden Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation und der einzige weitgehend vollständig erhaltene Kronschatz des Mittelalters. Von 1424 bis 1796 war Nürnberg ihr dauerhafter Aufbewahrungsort. Seit 1800 befinden sich die Reichskleinodien in Wien. Nur zwischen 1938 und 1946 kamen sie nochmals nach Nürnberg. Zu den ältesten Objekten (Reichskrone, Heilige Lanze, Kreuzpartikel) kamen im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters noch weitere Reichsinsignien, Krönungsgewänder und Reliquien. Sie wurden in der Regel bei den Krönungen der deutschen Könige und fallweise auch der römischen Kaiser verwendet. Nach 1518 blieb der Bestand der Reichskleinodien, die auch eine sakrale Bedeutung besaßen, unverändert.

Begriff und Bedeutung

Als "Reichskleinodien" wird der Schatz der Insignien, der Krönungsgewänder und der Reliquien des Heiligen Römischen Reiches (deutscher Nation) bezeichnet. Die Reichskleinodien wurden bei den Krönungen der deutschen Könige, fallweise auch bei römischen Kaiserkrönungen verwendet. In ihrem Besitz sah man - jedenfalls vom 13. Jahrhundert an, wahrscheinlich schon früher - eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Herrschaft. So wurde dieser Insignien- und Reliquienschatz zu einem selbständigen Symbol des Reiches.

Die Reichskleinodien wurden in "Heiltumsweisungen" öffentlich gezeigt, wie es an Orten mit Reliquienschätzen üblich war. Die erste derartige Feier ist 1315 überliefert. Der Gegenkönig >> (reg. 1314-1347, ab 1328 Kaiser), Herzog >> (gest. 1330), ließ anlässlich eines Hoftags in Basel die Reichskleinodien vom Münster aus zeigen. Das hatte ebenso politische Bedeutung wie eine ähnliche "Weisung" Ludwigs des Bayern 1324 in .

Zur kirchlichen Feier entwickelte sich die Heiltumsweisung der Reichskleinodien unter Kaiser >> (reg. 1346-1378, Kaiser ab 1355). Karl erwirkte 1354 vom Papst die Einführung eines kirchlichen Festes der "Heiligen Lanze und der Kreuzesnägel". Seither fand die Heiltumsweisung jährlich statt. In dieser Zeit bezog man bereits alle Insignien und Gewänder des Schatzes direkt auf Kaiser >> (reg. 768-810, Kaiser ab 800), der seit 1165 als heilig verehrt wurde. Sie waren daher Insignien und Reliquien.

In fand bereits wenige Wochen nach der Ankunft der Kleinodien in der Reichsstadt 1424 die erste Heiltumsweisung statt. Sie wurde bis 1523 jährlich abgehalten und dann beim Übertritt der Reichsstadt zur Reformation (endgültig 1525) eingestellt.

Aufbewahrungsorte

Ursprünglich wurden die Insignien und Reliquien vom jeweiligen König/Kaiser verwahrt, so von den Saliern und Staufern auf der Burg Trifels (Stadt Annweiler, Lkr. Südliche Weinstraße, Rheinland-Pfalz) und von den frühen Habsburgern auf der Kyburg bei Winterthur (Kanton Zürich, Schweiz). Ludwig der Bayer ließ sie in den Alten Hof nach München bringen. Karl IV. hütete sie zuerst in Prag, dann auf Burg Karlstein bei Prag. Kaiser >> (reg. 1410-1437, Kaiser ab 1433) verlieh der Freien Reichsstadt Nürnberg das Privileg der ständigen Aufbewahrung der Reichskleinodien (29. September 1423).

Der Rat der Stadt Nürnberg hatte die Kleinodien jeweils in die Stadt zu bringen, in der die Krönung des Königs stattfand. Das war zunächst Aachen, dessen Recht als Krönungsort bis 1806 formal fortbestand, dann meistens, aber nicht ausschließlich Frankfurt am Main, der Ort der Königswahl. Jeweils zwei bis vier Begleiter wurden vom Rat der Stadt ausgewählt; ihnen erteilte am Schluss der Krönungsfeierlichkeiten der neu Gekrönte den Ritterschlag.

1796 brachten die Verantwortlichen der Stadt die Reichskleinodien vor der französischen Armee in Sicherheit, zunächst an den Sitz des Reichstages in , schließlich nach Wien. Dort wurden sie im Auftrag von Kaiser >> (reg. als röm. Kaiser 1792-1806) in der kaiserlichen Schatzkammer hinterlegt (1800). Bei der Flüchtung gingen einige Objekte für immer verloren (so die Sporen, die Armillae, das Umerale, die zur Adlerdalmatica gehörende Gugel, u. a. m.)

Die Aachener Objekte

Als Reichskleinodien gelten auch drei Objekte des Aachener Münsterschatzes. Sie wurden der Legende zufolge von Kaiser >> (reg. 983-1002, Kaiser ab 996) im Grabe Karls des Großen gefunden, nämlich das Evangeliar (Aachen um 800), die Stephansbursa (karolingisch, 1. Drittel 9. Jahrhundert) und der Säbel Karls des Großen (eine osteuropäische Waffe des 10. Jahrhunderts). Als Reliquien des ersten abendländischen Kaisers waren sie bei allen Krönungen präsent. Als der Aachener Münsterschatz in den Franzosenkriegen nach Paderborn geflüchtet wurde, übernahm der kaiserliche Gesandte >> (1753-1818) diese drei Objekte und ließ sie ebenfalls nach Wien bringen (1801). Seither bilden die Nürnberger und die Aachener Reichskleinodien eine Einheit.

Das Schicksal der Reichskleinodien nach 1806

Am 6. August 1806 erklärte Kaiser Franz II. unter dem Druck eines Ultimatums >> (1769-1821) das Heilige Römische Reich für aufgelöst. Damit verloren die Reichskleinodien ihren offiziellen Rang. Sie blieben in der Wiener Schatzkammer.

1938 ließ >> (1889-1945) die Reichskleinodien von Wien wieder nach Nürnberg bringen, ebenso die drei Aachener Kleinodien, wo sie in der als Meistersingerkirche bezeichneten Katharinenkirche ausgestellt wurden. Später sollten zumindest die wichtigsten Insignien während der Reichsparteitage im Kongressgebäude der NSDAP gezeigt werden. Während des Zweiten Weltkrieges war der Schatz in den Kunstbunkern unter der Nürnberger Burg geborgen. Dort fand ihn die amerikanische Besatzungsmacht. Sie übergab die Reichskleinodien Anfang 1946 in Wien der österreichischen Bundesregierung. 1954 wurden sie in der neu gestalteten Schatzkammer in der Wiener Hofburg wieder ausgestellt.

Die ältesten Objekte

Die ältesten und im Mittelalter wichtigsten Teile der Reichskleinodien sind die Krone, die Heilige Lanze und die Kreuzpartikel. Der Wunderkraft der beiden Reliquien schrieb man siegbringende Wirkung für den König/Kaiser zu. Kaiser >> (reg. 1024-1039, Kaiser ab 1027) ließ für sie das Reichskreuz als Reliquienbehälter anfertigen.

Nach und nach kamen zu diesen Objekten weitere Insignien: das Schwert, der Reichsapfel usw. Wieso einige darunter nicht austauschbar waren, andere offenbar sehr wohl, dürfte in ihrer Verbindung mit einer verehrten Persönlichkeit oder der Erinnerung an ein entscheidendes Ereignis zu erklären sein. So hat >> (reg. 1002-1024, Kaiser ab 1014) die Krone >> (reg. 936-973, Kaiser ab 962) offenbar demonstrativ wiederverwendet; er ließ auch ein neues Kronenkreuz anfertigen. Mit seinem Nachfolger Konrad II., von dem der Kronenbügel stammt, scheint die Kontinuität dieser Krone als "Reichskrone" einzusetzen. Bei dem Reichsschwert stammt die Klinge wahrscheinlich von einer besonderen Waffe, vielleicht aus einer entscheidenden Schlacht. >> (reg. 1056-1105, Kaiser ab 1084) ließ für sie eine neue Scheide mit Darstellungen von 14 Königen (Stammbaum von Karl dem Großen her?) schaffen. >> (König ab 1198, Kaiser ab 1209, gest. 1218) erneuerte Parierstange und Griff. Im Gegensatz dazu wurden offenbar andere Insignien gegen kostbarere ausgetauscht, so der Reichsapfel (Köln?, spätes 12. Jahrhundert). Es mussten auch verlorene ersetzt werden (Szepter).

Das älteste Verzeichnis von 1246

Das älteste bekannte Verzeichnis der Reichskleinodien entstand am 17. September 1246 bei der Übernahme der Burg Trifels und der dort verwahrten "keyserlichen Zeichen" durch >> (reg. 1237-1254) für seinen Vater Kaiser >> (König ab 1211, Kaiser ab 1220, gest. 1250). Darin werden auch Gewänder angeführt. Sie kamen aus der königlichen Werkstätte in Palermo und wurden wohl für die Kaiserkrönung Friedrichs II. 1220 und von da an regelmäßig bei Krönungen verwendet. Für Friedrich II. wurden zu den älteren Gewändern (Pluviale 1133/34) einige Stücke ergänzt, darunter das sogenannte Zeremonienschwert.

Spätere Ergänzungen bis 1518/23

Wohl eher zufällig sind später noch einzelne Insignien und Gewänder in den Reichsschatz gekommen, so ein Aspergile (Weihwasser-Sprenger), zwei einfache Reichsäpfel und vor allem die sogenannte Adlerdalmatica, die fallweise anstelle der sizilianischen "Dalmatica" getragen wurde. Karl IV. ließ einige Reparaturen und Verbesserungen an einzelnen Stücken des Reichsschatzes vornehmen (Heilige Lanze, Zeremonienschwert). Für das Reichskreuz ließ er einen neuen Fuß anfertigen, ferner für mehrere Objekte Futterale (Koffer der Krone). Drei der Reliquiare, die Papst >> (reg. 1362-1370) ihm 1368 geschenkt hatte, kamen zu den Reichskleinodien (Kettenglieder von den Fesseln der Apostel >> und >> , dazu das Kettenglied des >> , das Karl IV. wahrscheinlich 1354 in Trier erworben hatte; Span von der Krippe >> und Gewandstück des Evangelisten Johannes).

Die Stadt Nürnberg ließ für die Reliquiare des Reichsschatzes einen Silberschrein anfertigen (1438/40; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), ebenso mehrere Koffer für verschiedene Insignien. Der Schrein hing im Chor der Heilig-Geist-Kirche. Schließlich hat die Stadt 1518 den Reliquienschatz durch zwei Monstranzen mit einem Stück vom Tischtuch des Letzten Abendmahles und vom Schurztuch Christi bei der Fußwaschung bereichert.

Beschreibung von 1790

1790 erschien die Publikation von >> (1733-1811) über die Reichskleinodien, zusammen mit den Kupferstichen der einzelnen Objekte von >> (1687-1765). Ob ihrer Genauigkeit besitzen sie auch heute noch Quellenwert, vor allem für die Stücke, die bei der Flucht aus Nürnberg verlorengegangen sind.

Bayerische Staatsbibliothek