Reiseberichte (Spätmittelalter)

Beschreibung

Zeugnisse der Mobilität und der Wahrnehmung des Eigenen wie Fremden. Das Einsetzen der Überlieferung im 14. Jahrhundert dürfte zugleich das Entstehen des Typus markieren. Spätmittelalterliche Reiseberichte thematisierten durchweg Fernreisen - in aller Regel Pilgerfahrten nach Jerusalem, Santiago de Compostela oder Rom. Hauptsächlich hielten bürgerliche Verfasser ihre Reisen fest. Ihre Berichte beziehen ihren Wert aus der Augenzeugenschaft der Verfasser und gewähren darüber hinaus Einblick in Sichtweisen des späten Mittelalters. Berichte über eine Durchreise durch Altbayern, Franken und Schwaben sind selten.

Quellen zur Geschichte des Reisens

Reiseberichte finden als Selbstzeugnisse (Ego-Dokumente) und als Quellen für die Wahrnehmung des Fremden seit längerem die verstärkte Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft und ihrer Nachbardisziplinen. Vielfältige Quellen dokumentieren Reisen. Hervorzuheben sind vor allem Rechnungen, bei denen es sich aber nicht um Reiseberichte im eigentlichen Sinne handelt. Ein bedeutendes und besonders frühes Zeugnis sind die Reiserechnungen des Bischofs >> (reg. 1191-1204) aus den Jahren 1203/04, die u. a. das einzige Lebenszeugnis für den Dichter und Sänger >> (ca. 1170-1230) enthalten. Der diplomatische Verkehr von Fürsten sowie Reichsstädten schlägt sich vielfach auch in Gesandtschaftsberichten nieder, die aber einem anderen Zweck dienen als Reiseberichte und deshalb auch von der Forschung als gesonderte Quellengattung betrachtet werden. Auch Briefe können ausführlichere Aufzeichnungen über Reisen enthalten.

Überlieferungssituation

Reiseberichte sind erst seit dem 14. Jahrhundert in größerer Zahl erhalten und wohl auch überhaupt erst angelegt worden. Dabei muss man nach dem Rang des Schreibers und dem Anlass der Reise differenzieren. Insgesamt sind bislang aus dem spätmittelalterlichen Europa über 600 Reiseberichte bekannt geworden. Ein analytisches Quelleninventar der Reiseberichte aus dem deutschsprachigen Raum (bearb. von Christian Halm, hg. von Werner Paravicini) erfasst für den Zeitraum 1334 bis 1531 lediglich 154 Zeugnisse, die im weiteren Sinne als Reiseberichte gelten können. Zumeist handelt es sich um bereits gedruckte Texte, so dass die Zusammenstellung durch weitere Archiv- und Bibliotheksfunde vermehrt werden kann.

Gegenstand der Berichte

Durchweg sind Reiseberichte nur über Fernreisen aufgezeichnet worden. Zumeist sind es Berichte über Pilgerreisen, wobei es sich ganz überwiegend um Aufzeichnungen von Jerusalempilgern handelt. Die Reise zu dem kaum minder beliebten Wallfahrtsort Santiago de Compostela (Spanien) wurde hingegen nur selten zum Gegenstand eines Pilgerberichts, ebenso die Pilgerfahrt zu den Apostelgräbern in Rom.

Reiseberichte aus dem heutigen Bayern

Bisher sind 35 Reiseberichte, die zwischen 1346 und 1522 von Autoren aus dem heutigen Bayern verfasst wurden, bekannt. 22 beschreiben Pilgerreisen ins Heilige Land, 6 Pilgerreisen nach Santiago de Compostela, 4 Reisen (nicht nur von Pilgern) nach Rom. Ständisch gehören 22 Verfasser dem Bürgertum an, 6 dem Adel, 4 dem Klerus, und nur ein Autor (Pfalzgraf >> , reg. 1522-1559) kann dem Fürstenstand zugewiesen werden.

Betrachtet man die Herkunft der Verfasser, gehören 22 nach Franken (davon 16 nach ), 7 nach Schwaben (davon 6 nach ) und 6 nach Altbayern. Auch wenn der Textbestand künftig noch vermehrt werden wird, scheint das Diktum des Geschichtsschreibers >> (1477-1534) nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein, die Altbayern blieben gerne daheim und bereisten nicht häufig ferne Länder. Hingegen scheint sich die überragende Bedeutung der Reichsstadt Nürnberg als spätmittelalterliches Handels- und Kommunikationszentrum auch in der relativ hohen Anzahl von Reiseberichten zu manifestieren, bei denen es sich allerdings fast durchweg um Pilgerberichte handelt. Der Patrizier >> (gest. 1462) hat über seine Pilgerreisen nach Santiago (1428), Jerusalem (1436) und Rom (1450) Berichte verfasst.

Über die sog. Heidenfahrt bzw. Preußenreise, die ein Privileg des europäischen Adels war und nach 1400 an Bedeutung verlor, sind bislang keine Aufzeichnungen von bayerischen Reisenden bekannt geworden. Ganz aus dem Rahmen fallen die Aufzeichnungen des >> (um 1380-um 1450), der 1396 in der Schlacht von Nikopolis von den Türken gefangen genommen wurde und erst nach 32 Jahren in die Heimat zurückkehren konnte. In dieser Zeit hat er die Türkei, Indien, die Mongolei, Innerasien und den Vorderen Orient kennengelernt. Der außergewöhnliche Reisebericht Schiltbergers ist deshalb schon im 15. und 16. Jahrhundert mehrfach gedruckt worden.

Entstehung, Zweck und Inhalt

Zentral ist die Frage, inwieweit die Darstellung auf Augenzeugenschaft oder auf Kenntnis literarischer Quellen beruht. In vielen spätmittelalterlichen Reiseberichten fließt beides zusammen. Die Berichte der Jerusalempilger wirken aufgrund des einheitlichen Reiseweges (Seeweg über Venedig) und des durch die Heiligen Stätten mehr oder minder vorgegebenen Reiseverlaufs stereotyp, bieten aber gerade dadurch interessante Vergleichsmöglichkeiten. Die neuere Forschung hat deutlich gemacht, dass die Sicht- und Wahrnehmungsweisen vielfach individuell geprägt waren, während spezifisch "ständische" Sichtweisen nur eine geringe Rolle spielten.

Weiterer Untersuchung bedarf noch die Frage, welchem Zweck spätmittelalterliche Reiseberichte dienten und welchem Schreibanlass diese Aufzeichnungen zu verdanken sind. Selbstdarstellung und Memoria werden eine wichtige Rolle gespielt haben. Das Unterwegssein an sich hat auch im späten Mittelalter nicht selbstverständlich zu Reiseaufzeichnungen geführt, weshalb zu bedenken ist, dass die erhaltenen Reiseberichte kein sozialgeschichtlich ausgewogenes Bild der Mobilität der Zeit bieten. Erst unter dem Einfluss des Humanismus und der europäischen Expansion nach Übersee werden die Schreibanlässe seit dem späten 15. Jahrhundert individueller. Nicht zufällig verfasste der Nürnberger Künstler >> (1471-1528) 1520/21 über seine Reise in die Niederlande ein Reisetagebuch. Doch nicht alle Reiseberichte dieser Zeit bewegen sich auf diesem Reflexionsniveau. Die Aufzeichnungen des niederbayerischen Adligen Hans III. Herzheimer (nach 1464-1532) über seine Reise nach Sachsen 1518/19 bieten Beschreibungen der besuchten Residenzbauten, Kirchen und anderer Sehenswürdigkeiten, enthalten aber kaum Selbstreflexionen.

Der Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit führte vor allem durch die Reformation zu einem Wandel der Reiseberichte. Fortan standen Pilgerberichte nicht mehr im Mittelpunkt. Die Wahrnehmung von Mensch und Umwelt veränderte sich. Seit dem 16. Jahrhundert wurde die humanistische Bildungsreise zum Vorbild für die adligen Kavalierstouren, die vielfach durch Reiseabrechnungen oder -berichte dokumentiert sind. Auch die Landesbeschreibungen gewannen durch den Humanismus an Bedeutung.

Text und Bild: Die Reiseberichte des Pfalzgrafen Ottheinrich

Nur selten sind im Zusammenhang mit Reiseberichten Bilder der Reisestationen überliefert. Pfalzgraf Ottheinrich von Pfalz-Neuburg ließ seine 1536/37 von nach Krakau unternommene Reise durch 50 Ansichten von Orten, die auf der Reiseroute lagen, in einem Album dokumentieren (Universitätsbibliothek Würzburg). Für die meisten dargestellten Ortschaften, darunter auch mehrere in Altbayern, Oberpfalz und Franken, bietet das Album die älteste Ansicht. Ob dazu auch ein Reisebericht verfasst wurde, ist nicht bekannt.

Reisende berichten über Bayern

Aufgrund der spezifischen Entstehungsbedingungen spätmittelalterlicher Reiseberichte sind Aufzeichnungen von auswärtigen Reisenden über Bayern verhältnismäßig selten. Die meisten Jerusalempilger begannen ihre Schilderung erst in Venedig, wenn sie auf dem Weg dorthin überhaupt durch Bayern reisen mussten. Eine Ausnahme stellt zum Beispiel der herzoglich-burgundische Rat >> (gest. 1459) dar, der 1433 auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land durch Altbayern und Schwaben gekommen ist. Nicht nur durch das Reiseziel ungewöhnlich ist der Pilgerbericht des >> (1422-1479) aus Halle (Saale), der zwei Wallfahrtsorte in der Provence aufsuchte und dafür unter anderem durch Franken und Altbayern kam. Das Reisetagebuch des venezianischen Gesandten Andrea de’ Franceschi von 1492 bietet die älteste Beschreibung der Stadt München. Eine systematische Sammlung solcher Berichte wäre landeskundlich aufschlussreich.

Bayerische Staatsbibliothek