Rodung

Beschreibung

Die Erforschung von Rodungsvorgängen steht in engem Zusammenhang mit der Siedlungsgeschichte, welche allerdings nicht die technische Seite der Rodung mit einschließt. Historische Rodungsvorgänge können insbesondere mittels archäologischer, kartographischer und quantifizierender Methoden erforscht und dargestellt werden. Kenntnisse über den Umfang von Rodungen tragen dazu bei, grundlegende naturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Fragen - etwa nach dem Einfluss des Menschen auf die Hydrologie (Bodenerosion und Akkumulation) und zur Klimageschichte - beantworten zu können.

Zur Erforschung von historischen Rodungsvorgängen

Da Wald die natürliche Bodenbedeckung in Mitteleuropa seit dem Ende der letzten Eiszeit darstellt, waren die Anlage und der Ausbau von Siedlungen nahezu immer mit der Beseitigung von Wald (Rodung) verbunden. Hans-Rudolf Bork u. a. (1998) nehmen für die Mitte des 8. Jahrhunderts (wie alle folgenden Jahresangaben nach Christus) einen Waldanteil für Mitteleuropa von 90 % an. Aktuell liegt der Waldanteil in Bayern bei 35 % der Staatsfläche.

Obgleich Rodung also ein raumgreifender und alltäglicher Vorgang war und ist, finden sich - anders als in der archäologischen Forschung - in der siedlungsgeschichtlichen Literatur keine systematischen Untersuchungen zum technischen Vorgang der Rodung: Ihr Erkenntnisziel war das Ergebnis von Rodung, also die Erschließung von gerodetem Land, das als Kulturland verstanden wird. In diesem Sinne wird Rodung als Landnahme oder Landesausbau interpretiert. Dementsprechend werden siedlungsgeschichtliche Perioden mit weitflächigen Rodungen mit Begriffen wie "frühmittelalterliche Landnahme" oder "hochmittelalterlicher Landesausbau" belegt. Das Interesse richtete sich auf die Träger von Siedlungsprozessen vor allem unter dem Aspekt der Lenkung (Kolonisation), auf die oftmals verbundenen planmäßigen Siedlungsformen (z. B. Straßen-, Anger- und Waldhufendorf) sowie die Verbreitung von Ortsnamenformen, welche dazu Informationen geben. Manche Ortsnamenendungen zeigen zudem Umfang und Methode der Rodung (z. B. meint "schwenden/schwanden" die Rodung mit Feuer; allein im Allgäu gibt es dazu mehr als Ortsnamen). Erreichen gerodete Flächen nur eine geringe Ausdehnung inmitten von Wald, spricht man von Rodungsinseln. Ein redender Ortsname dafür ist z. B. (Lkr. Bad Kissingen, Erstnennung 1167 als Waldemannesroth durch das Kloster Aura, heutige Namensform erstmals belegt 1582 in einem Register des Amts Aschach).

Kartographische und quantifizierende Darstellungen von Rodungen

Die skizzierten Ansätze waren die Grundlage der 1952 bis 1958 angestellten Versuche des Geografen >> (1872-1959), die Verteilung von Wald und Offenland in Mitteleuropa zu verschiedenen Zeitphasen (Bestand an Wald Ende des 19. Jahrhunderts; gerodet seit etwa 900; gerodet vor 900 hauptsächlich im 8. und 9. Jahrhundert) im Maßstab 1:1,5 Mio. kartographisch darzustellen. Vor 900 besiedelte Regionen wurden als Altsiedelland bezeichnet.

Die Karte von Schlüter ist nicht nur im regionalen Detail kritisiert worden. Sie erscheint auch deshalb problematisch, weil sie eine Einsinnigkeit der Wald-Offenland-Entwicklung über mehr als 1.000 Jahre hin unterstellt, mithin den möglichen und wahrscheinlichen wiederholten Wechsel von Nutzungen auf einer Fläche nicht widerspiegelt. Des Weiteren suggeriert die Darstellung Schlüters Exaktheit in den Grenzziehungen zwischen Wald und Offenland, obgleich das methodische Problem, von den ersten exakten flächendeckenden Bodennutzungsaufnahmen, den sog. Uraufnahmen des 19. Jahrhunderts, parzellenscharf auf frühere Bodennutzungsverhältnisse mangels einschlägiger Quellen nicht gelöst werden kann. Bei günstiger Quellenlage sind lediglich die Entwicklung einzelner Flächenelemente von Fluren bis ins Hochmittelalter hinein auch in Karten nachzuzeichnen möglich, wie Friedrich Eigler (2000) beispielhaft vorführt.

Tabellarische oder graphische Darstellungen der Entwicklung von Wald und Offenland seit ca. 650 in ganz Mitteleuropa von Bork (1998) oder für Mainfranken von Rüdiger Glaser, Helmut Saurer und Winfried Schenk (1991) sind lediglich als Beschreibungen allgemeiner Trends der Landschaftsgeschichte zu werten; die genannten Flächenanteile sind nur Orientierungswerte. In diesem Sinne explizit als didaktisches Medium zu verstehen ist die Karte "Germanien und Raetien zur Römerzeit, 50 n. Chr." von Hansjörg Küster (2001). Auf der Basis pollenanalytischer Befunde zeigt sie vornehmlich die damals vorherrschenden Baumarten sowie einige wenige archäologisch gesicherte Offenlandareale um die großen Kastellorte, wie z. B. Augusta Vindelicorum, Campodunum und Castra Regina.

Landschaftsgeschichtliche Bedeutung von Rodungen

Kenntnisse über den Umfang von Rodungen sind aus landschaftsgeschichtlicher Sicht von grundlegender Bedeutung. Veränderungen im Verhältnis von Offenland und Wäldern, gleich ob sie natürliche oder anthropogene Ursache haben, beeinflussen in Wechselwirkung den Naturhaushalt wie die Inwertsetzungsmöglichkeiten und -strategien des Menschen. Damit sind Fragen angesprochen, die sowohl naturwissenschaftlichen als auch kulturwissenschaftlichen Ansätzen und Methoden folgen, so zum Einfluss des Menschen auf die Hydrologie, damit zur Bodenerosion und Akkumulation sowie zur Klimageschichte. Untersuchungen zu Rodungsvorgängen und daraus abgeleiteten Wald-Offenland-Bilanzierungen liefern zudem Basisinformationen zu regionalisierten Energie- und Stoffbilanzierungen in der Vergangenheit.

Auelehmbildungen und Überschwemmungen als beispielhafte Folgen von Rodungen

In diesem Mensch-Umwelt-Beziehungsgefüge steht die Erforschung holozäner Flussdynamik und Auenbildung unter dem Einfluss des historischen Rodungsgeschehens. Je nach Herkunft des Forschers werden dabei die Wirkungen des Klimas mit der Eigendynamik der Flüsse und mit anthropogenen Einflüssen in unterschiedlicher Gewichtung in Verbindung gebracht.

Die aktuelle Forschung ist sich heute jedoch weitgehend einig, dass die jungholozänen Auelehmbildungen überwiegend auf Rodungen zurückzuführen sind. Die Aufhöhung und damit Einengung der Täler in Mitteleuropa im Zuge von Rodung gilt als empirisch gesichert. Für das Maingebiet konnte dieser Zusammenhang anhand dendrochronologischer Untersuchungen vor allem von Bernd Becker (1983) in historischer Zeit belegt werden: Namentlich zur Römerzeit, im Frühmittel- und im Hochmittelalter, also zu Hochzeiten von Rodungen, kam es zu Überflutungen und Sedimentverlagerungen bisher nicht erreichten Ausmaßes. Obgleich die Auen als Produkte von Rodungen und zugleich infolge von Rodungen ständig von Hochwässern bedroht waren und sind, sind sie in vorindustrieller Zeit wichtige agrarische Ergänzungsräume (u. a. Weideflächen, Standorte für Mühlen, Fischfang) gewesen.

Bayerische Staatsbibliothek