Geschichtsschreibung (Spätmittelalter)
Beschreibung
In der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung gab es zwei Gattungen: Die Fortsetzungschronistik - ein Erbe des Früh- und Hochmittelalters - und spätmittelalterliche Neuschöpfungen. Wichtigste Träger waren nicht mehr die Klöster allein, sondern nun auch geistliche und weltliche Fürsten und ihre Höfe. Kennzeichnend für die wittelsbachische Hofchronistik ist die Chronik des Andreas von Regensburg, die zum Muster für bayerische Landeschroniken im 15. Jahrhundert wurde. Bedeutende Werke entstanden auch in Reichsstädten wie Nürnberg oder Augsburg. Am Ausgang des Spätmittelalters blühte allerdings auch wieder die Klostergeschichtsschreibung auf (früher Klosterhumanismus).
Historisch-politische Hintergründe
Die spätmittelalterliche Geschichtsschreibung im Raum des heutigen Staates Bayern wurde davon geprägt, dass ihre Träger in Altbayern, Franken und Schwaben staatlich, kirchlich und städtisch besonders vielfältig geformt waren. So wandelte sich das Stammesherzogtum Bayern in ein Territorialfürstentum, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Geschichtsschreibung. Auch die Verluste Bayerns bei der Ausbildung von Österreich und den Alpenländern mussten sich auf die Geschichtsschreibung auswirken. Die bayerischen und fränkischen Stammesgebiete standen sich bis in das 19. Jahrhundert hinein getrennt gegenüber. In Franken bildete sich in geistlichen und weltlichen Territorien, durch Reichsstädte (und in der Frühen Neuzeit Ritterkantone) eine sehr zersplitterte Staatlichkeit aus. Dieser Staatlichkeit entsprach eine vielfältige, aber ganz ungleiche Geschichtsschreibung in einigen Klöstern, Bischofskurien und Städten. Nürnberg ragte hervor. Ähnliches gilt für die kleineren Teile von Schwaben, die teilweise schon früher an Bayern kamen und in denen immerhin die Bischofs- und Reichsstadt dem Beispiel folgte und einen eigenen bedeutenden Schwerpunkt für die Geschichtsschreibung bildete.
Gattungen
In der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung existierten zwei Gattungen: Zum einen die Fortsetzungschronistik als früh- und hochmittelalterliches Erbe, zum anderen die spätmittelalterlichen Neuschöpfungen, deren Aufblühen durch die erste Zeit der großen Epidemien von der Mitte des 14. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts unterbrochen oder verzögert wurde. Der wichtigste Träger der Chronistik des frühen und hohen Mittelalters waren die Klöster. Bei der spätmittelalterlichen Verlagerung der Chronistik auf geistliche und weltliche Fürsten wurden die Vogteiverhältnisse wichtig. Insbesondere weltliche Fürsten profitierten von der Chronistik jener Klöster, deren Vögte sie waren.
Klösterliche Fortsetzungschronistik
Für die Geschichtsschreibung im wittelsbachischen Territorium sind besonders die Klöster (Lkr. Pfaffenhofen a. d. Ilm), , (Lkr. Miesbach) und (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen) erwähnenswert. Letzeres brachte Äbte-Gesta, eine der typischen Formen der klösterlichen Geschichtsschreibung, hervor (Sprandel, Festschrift Jürgen Petersohn, 368-383). Eine frühe Erweiterung war das an der Donau gelegene Kloster Niederaltaich, dessen Vogtei die Wittelsbacher in einer Art feindlicher Übernahme von den Grafen von Bogen erhielten. Die Wittelsbacher profitierten von einer Ausformung der Klosterchronistik durch individuelle und vielseitige Chronisten. Abt Hermann von Niederaltaich (gest, 1275) verfasste die "Annales" - ein Werk über die allgemeine Reichs- und Kirchengeschichte und die bayerische Geschichte, das zu den wichtigsten Quellen des 13. Jahrhunderts zu rechnen ist. Es fand eine überaus große Verbreitung und entwickelte sich zum Vorbild für spätere Generationen von Geschichtsschreibern.
Im Übrigen lebte die Klosterchronistik im Schutze und Schatten von Bischofskirchen weiter. Sie stand in einem Wettbewerb mit der Chronistik an den Bischofskirchen. Eine gewisse Bischofschronistik gab es überall, auch als Gesta episcoporum (so zum Beispiel in ). In einigen Fällen überragte die dem Bischof nahestehende Klosterchronistik die Bischofschronistik weithin. Dabei spielte die Nähe von Bischofsklöstern zu Reformbewegungen und deren Einfluss auf die Chronistik eine Rolle. Als Beispiele sei auf Michelsberg in und Prüfening bei verwiesen, dessen Bibliothekar >> (gest. nach 1173) mit Michelsberg in besonderer Verbindung stand.
Neuschöpfungen des Spätmittelalters
Bei der Geschichtsschreibung ist der Einbruch der Epidemien 1348 so tiefgreifend, dass vorhergehende Veränderungen demgegenüber verblassen. An der südlichen Grenze Bayerns, im Kloster Marienberg im Vinschgau, schrieb ein Klosterchronist: "Alle starben außer dem Abt, zwei Brüdern und dem Berichterstatter". So hing die durchgehende Berichterstattung gewissermaßen am "seidenen Faden". 1347-1517 wurden wenigstens an 110 Orten in Deutschland Chroniken geschrieben, 1348-1350 waren es nur 16 Orte. Anschließend kam es zu einem Aufschwung. Der Nürnberger >> (1329-1407) griff am Ende des 14. Jahrhunderts mit Einzelnachrichten bis auf 1349 zurück.
Reichsstädte Augsburg, Nürnberg, Regensburg
Unter den neuen Chroniken ragen die Chroniken der Reichsstädte Nürnberg, Regensburg und Augsburg hervor. Sicherlich fehlen ihnen kirchliche Einbindungen oder religiös-reformerische Einflüsse durchaus nicht. Dabei begegnet man Berufschronisten wie >> (um 1435-nach 1479), der zuerst für Augsburger Klöster und dann für Nürnberger Patrizier Chroniken schrieb, in denen er besonders kirchliche Einbindung mit reichsstädtischem Interesse und humanistischen Einflüssen verband. Auch der Klosterhumanist >> (1462-1516) schrieb am Ende einer langen Laufbahn als Chronist außerhalb unserer Gebiete eine Klosterchronik für das Schottenkloster.
Aber es gab auch ausgesprochen laikale Chronisten. Das herausragende Beispiel ist wohl >> (1440-1514) - ein Nürnberger Arzt und Humanist, der an die chronikalische Tradition anknüpfte und aus der früheren Papst-Kaisergeschichte mit vielen neuen, humanistischen Elementen eine Weltgeschichte machte. Die laikalen städtischen Chroniken haben zwei Anknüpfungspunkte nahe dem Rathaus in einem quasi paraliterarischen Bereich: zum einen die Rechenschaftsberichte - so verfasste in Nürnberg der Bierbrauer >> (1430-1506/07) eine Art chronikalisierten Rechenschaftsbericht als Bettlervogt der Stadt -, zum anderen die heroldsartige Darstellung zum Ruhme der Stadt oder einiger Geschlechter in ihr. Einen Sonderfall stellt Augsburg mit seiner "Sodalitas literaria Augustana" dar, in der gebildete Laien sich um die Sammlung von Geschichtsquellen kümmerten.
Wittelsbachische Herzogshöfe
Außerhalb oder am Rande der Städte gab es die wittelsbachischen Herzogshöfe, in denen sich über die Jahrzehnte des 14. und 15. Jahrhunderts geradezu ein System von Chroniken zum Ruhme der Herzöge ausbildete. Zuerst ist die Chronik "De gestis principum" (bis 1326) aus , einer wittelsbachischen Zisterziensergründung, zu erwähnen. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war die (alt-)bayerische Geschichtsschreibung insgesamt stark von der Herrschaft Kaiser >> (reg. 1314-1347, als Kaiser seit 1328) geprägt.
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ragt die "Chronik der Fürsten von Baiern" heraus, die der Augustinerchorherr >> (um 1380-nach 1442) verfasste. Sie stellt die erste zusammenhängende bayerische Landesgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart dar und entwickelte sich zum Vorbild für die bayerischen Historiographen des 15. Jahrhunderts. Andreas arbeitete im Auftrag der Wittelsbacher. Überhaupt trugen die Teilungen Bayerns zur Verbreiterung dieses Systems dynastischer Chronistik bei. Andreas' Fortsetzer ist in Landshut der weltliche Hofadelige >> (gest. 1502), der das bisher lateinische Werk in Deutsch weiterführte. In München, wo man sich in Opposition zu Landshut befand, wurde diese Fürstengeschichte trotzdem durch >> (um 1420-1496/1500) und >> (1435/40-1495) rezipiert und als Grundlage der baierischen Geschichtsschreibung auch nach der Vereinigung von 1505 verstanden.
Aufschwung der Geschichtsschreibung nach 1400
Der rasche Aufschwung der Geschichtsschreibung nach 1400 profitierte von der Ausbreitung einer - nach der heutigen Terminologie - "nationalen" Gesinnung nicht nur in Ritter- und Bürgerkreisen, sondern auch unter Literaten, beispielsweise unter Chronisten. Diese Gesinnung korrespondierte mit regionalen Aspirationen. Sie führte auch zu heftigen Stellungnahmen bei innerdeutschen Konflikten. So schrieb der Abt des niederbayerischen Klosters (Gde. Neuhaus a. Inn, Lkr. Passau) >> (1460/62-1513) in seiner Chronik, als er eine Koalition deutscher Fürsten gegen Bayern im niederbayerischen Erbfolgekrieg aufmarschieren sah: "Tota pene Germania ad unius regionis perditionem animata est" (etwa "Ganz Deutschland will ein Gebiet/eine Region vernichten").
Ein weiteres Motiv für den Aufschwung war das Bedürfnis nach Neuigkeiten, das überall in Deutschland, so auch in Bayern, spürbar wurde. Ein Lübecker Dominikaner, >> (ca.1365-ca.1438), war es, der am deutlichsten in seiner großen Stadt- und Weltgeschichte schrieb, er mache sein Werk für Zeitvertreib und Kurzweil der Laien. Dem entspricht Andreas von Regensburg, der seine Chronik beginnt, indem er die Höflinge am Hof in anspricht: "Lasset es eurem freien Adel zum Wolgefallen sein, daß ich in kurzweiligen Worten in geheimem Gespräch ein wenig mit euch plaudere".
Ende des 15. Jahrhunderts nahm schließlich auch die Klostergeschichtsschreibung nochmals einen Aufschwung, vor allem in den Stiften um (etwa >> von Vornbach mit seinem Hauptwerk "Gestarum in bavaria libri VI" oder >> von Aldersbach). Hier werden bereits die Anfänge des bayerischen Klosterhumanismus sichtbar.