Hugo von Trimberg: Der Renner

Beschreibung

Umfangreiche christliche Lebenslehre des Bamberger Schulmeisters Hugo von Trimberg (ca. 1235-nach 1313) in über 24.000 Versen. Hugo verfasste mehrere deutsche und lateinische Schriften. "Der Renner" ist das einzige überlieferte deutschsprachige Werk Hugos. Als eine der erfolgreichsten mittelalterlichen Dichtungen in deutscher Sprache erlebte "Der Renner" bis ins 18. Jahrhundert eine ununterbrochene Rezeption.

Leben

Ein "rector scholarum" >> (ca. 1235-nach 1313) tritt in einigen Urkunden (vgl. u. a. Regesta Boica V, 31) an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert als Zeuge auf. In mehreren lateinischen Schriften nennt sich der Autor "Hugo de Verna, villa cis Herbipolim". Die gleiche Person figuriert in der deutschen Dichtung der "Renner" unter dem Namen "Huc von Trimberc".

Die Angaben lassen erschließen, dass Hugo um 1235 in dem fränkischen Dorf (Gde. Niederwerrn, Lkr. Schweinfurt) geboren sein dürfte. In , wohl am Neumünsterstift, erfuhr er seine Schulbildung. Vermutlich 1260 erlangte er die Position eines Schulmeisters am Stift St. Gangolf und Maria in der Bamberger Teuerstadt; eine feste Pfründe war mit dieser Stelle aber nicht verbunden, Hugo war für seinen Lebensunterhalt auf die Besoldung durch den Scholaster des Stifts und die Abgaben seiner Schüler angewiesen. Da er einen großen Haushalt mit bis zu zwölf Personen zu versorgen hatte, bemühte er sich um Nebeneinkünfte; zu diesem Zwecke kopierte und sammelte er Bücher, nahezu 200 ("Renner" V. 16.645 ff.), die er im Alter gewinnträchtig zu verkaufen hoffte. Doch er betätigte sich nicht nur als Kopist, sondern auch selbst als Dichter: In seinem umfassenden Alterswerk, dem "Renner", spricht er (V. 25) von sieben deutschen und (V. 27) viereinhalb lateinischen "büechelîn", also mindestens zwölf eigenen Schriften, die aus seiner Feder geflossen seien. Nach 1313 gibt es keine Angaben mehr zu ihm. Ein genaueres Todesdatum ist jedoch nicht bezeugt.

Werke

Von den genannten zwölf Schriften Hugos sind uns nur fünf namentlich bekannt, vier davon erhalten. Drei lateinische Werke kennen wir mit Namen und Inhalt:

Ein Kalenderheiligengedicht unter dem Titel "Laurea Sanctorum" ist das älteste aller erhaltenen Werke Hugos. Zu 200 Heiligen liefert er den Namen, verbunden mit einer Fürbitte, die er so reich wie nur möglich zu variieren trachtet (Selbstnennung V. 408ff.).Das "Solsequium" (Sonnenfolger, eine Art des Wegerichs) besteht aus einer Sammlung von 166 Exempeln zur Predigtausschmückung (Selbstnennung im Prolog V. 4)."Registrum multorum auctorum" (Selbstnennung V. 3) nennt Hugo eine Schulliteraturgeschichte in 848 Versen; "Solsequium" und "Registrum" fungierten indirekt auch als Quellen für den "Renner".

Von einem vierten Werk, genannt "Codicellus multarum litterarum", wissen wir aus der Aufzählung im "Registrum" (V. 843 f.) lediglich den Namen. Dazu kommen 61 von Hugo verfasste Zusatzverse als Epilog zur "Vita BMV rhythmica", die Hugo kopieren ließ, sie werden von 5 Hss. überliefert. Für das kleine lateinisch-deutsche Gedicht "Von der Jugend und dem Alter" (40 Langzeilen in 2 gemischten Strophen; hg. Ehrismann, "Renner", 4. Band, S. 1-3), das oft zusammen mit dem "Renner", aber auch separat überliefert wird, ist Hugos Autorschaft ebenfalls gesichert.

Das literarische Hauptwerk, der "Renner"

Der "Renner" ist das einzige erhaltene deutsche Werk Hugos, eine moraldidaktische christliche Lebenslehre in 24.611 zumeist paargereimten Versen. Umrahmt wird der "Renner" von einem allegorischen Prolog (V. 1-268, dabei V. 1-36 in drei zwölf-zeiligen Strophen) und einem autorbezogenen Epilog (V. 24.284-24.611). In seinem ersten Teil (V. 269-18.000) bietet der "Renner" eine nach den sechs bzw. sieben Hauptsünden in sechs "distinctiones" gegliederte Sündenlehre ("hôchfart" = "superbia" V. 269-4.367, "gîtikeit" = "avaritia" V. 4.368-9.431, "frâz" = "gula" -11.726, "unkiusche" = "luxuria" -13.963, "zorn" und "nît = "ira et invidia" -15.946, "lazheit" = "acedia" -18.000). Als zweiter Teil schließt sich eine Heilslehre an, die aus der Betrachtung der Hl. Schrift (V. 18.001-19.160) und der wunderbar geordneten Natur (19.161-20.346) zu einem von "riuwe" bestimmten christlichen Leben hinführen will (V. 20.347-24.283).

Der Titel ist auf die mehrfach verwendete Formulierung "Nu sul wir aber vürbaz rennen, und unsern herren baz erkennen" (V. 4.365f. u. ö.) zurückzuführen. Dahinter steht das Bild eines eigenwillig über das Land rennenden, sich der Führung des Reiters bzw. Dichters immer wieder entziehenden Pferdes (V. 13.925-940). Im Prolog wird, ausgehend vom "locus amoenus", eines auf der Heide über einer Quelle und einem Dornstrauch stehenden Birnbaums, eine weit gespannte Baumallegorie entwickelt, an die Hugo zu Beginn der einzelnen "distinctiones" immer wieder anknüpft. Dabei beschränkt er sich ausschließlich auf moralische Ausdeutung, klassifiziert seine Dichtung sogar als Predigt (V. 2.008: "Swie vil wir predigen, schrîben, tihten..."), will aber nicht in Konkurrenz zu gelehrten Geistlichen, "pfaffen", treten (V. 20.639f: "Daz zimt pfaffen und münchen wol, Ein leie niht tiefe predigen sol"). Immer wieder bilden vielfältige Beispielerzählungen (Fabel, Legendarisches, historische Exempla etc.), die er z. T. auch in seinen lateinischen Werken verwendet, den Ausgangspunkt für längere moralische Ausdeutungen. Durch geschickte Verschränkung dieser auf die narrativen Elemente folgenden Moralisationsketten entsteht ein Argumentationskomplex, der eine scharfe Abgrenzung der Einzelteile nahezu unmöglich macht, andererseits erlaubt, an vielen verschiedenen Stellen Einschnitte zu setzen.

Hugo bezieht die Hauptsünden auf die mittelalterliche Ständegesellschaft seiner Zeit und unterwirft die einzelnen Stände einer harschen Kritik. Adel und Geistlichkeit kritisiert er ebenso wie die habgierigen Emporkömmlinge, die adeliges Gebaren nachahmen (v. a. die Ausführungen zu "halpritter" V. 1.459-1.712). Ritterlich-höfischer Kultur steht er verständnislos gegenüber (etwa V. 11.567ff.), sie spiegelt für ihn nur den Verfall der alten, jedoch vergessenen Weltordnung. Für die Armen und Machtlosen aber hegt Hugo Sympathie.

Mit der Beschreibung der Eigenarten verschiedener deutscher Dialekte (V. 22.253 ff.) und dem besonderen Lob seiner fränkischen Heimat (V. 22.308-22.324) zeigt er Verständnis für regionale Eigenheiten.

Entstehung

Hugo hat den "Renner", sein großes Alterswerk, nicht in einem Zug gedichtet, sondern über Jahrzehnte daran gefeilt. Die Zeitangaben in den verschiedenen Handschriften bezeugen einen ersten Abschluss um 1293 (vgl. Varianten zu V. 18.930) und eine spätere Version von 1300 (vgl. V. 24.562), letzte Nachträge beziehen sich aber noch auf Vorgänge in Rom 1313 (V. 17.188).

Der Autor selbst gab mindestens zwei unterschiedliche Fassungen seiner Lehrdichtung in Umlauf (Autorversionen B und A mit geringfügigen Abweichungen im Versbestand und wenigen Formulierungsvarianten). Hugos ursprüngliche Einteilung des Textes in "distinctiones" in der Textform B wird einzig in der Handschrift B1 (Berlin, SBPK, mgf 17), und dort auch nur unvollständig überliefert. Eine Handschrift der Textform A wurde vom Würzburger Protonotar >> (gest. 1355) mit einer neuen Gliederung in 42 ungleichmäßige Kapitel versehen, welche nun die Mehrheit der Textzeugen (35 der heute noch erhaltenen mindestens 66 Handschriften) aufweist.

Verbreitung und Rezeption

Mit seinen zahlreichen Abschriften gehört der "Renner" zu den erfolgreichsten mittelalterlichen Dichtungen in deutscher Sprache. Im Zuge der Überlieferung wurden über die Einteilung hinaus weitere Redigierungsarbeiten vorgenommen. So lässt sich eine im Text gekürzte, aber dafür bebilderte Fassung in 15 Handschriften nachweisen (Bz). Die Illustrationen verbildlichen zumeist die eingeflochtenen Exempelerzählungen. Eine eigenwillige Fassung der A-Version mit Umgestaltung des Sündenschemas stellt die ebenfalls illustrierte Bearbeitung durch den Gerichtsschreiber >> (gest. 1444) in der Heidelberger Handschrift cpg 471 von 1425 dar.

1549 legte >> in Frankfurt eine Druckausgabe vor und widmete sie dem Pfalzgrafen >> (dem Weisen, reg. 1544-1556), der sich 1545/46 dem lutherischen Bekenntnis angeschlossen hatte. Der Drucker folgte dabei, abgesehen von einer gründlichen und durchgängigen sprachlichen Modernisierung, getreu seiner handschriftlichen Vorlage, die dem Überlieferungszweig B (Distinktionenfassung) zuzurechnen ist und der Pariser Handschrift P (Bibl. Nat., cod. ms. all. 116) nahesteht. Als Exemplar stand ihm nach eigener Aussage ein Kodex zur Verfügung, den ihm der Vater des Pfalzgrafen, >> (reg. 1476-1508), überlassen hatte. Dieses Exemplar ist nicht erhalten und mit keiner der heute in Heidelberg befindlichen "Renner"-Handschriften identisch.

Im 18. Jahrhundert lobten >> (1700-1766), >> (1715-1769) und >> (1744-1803) unabhängig von einander den "Renner". >> (1722/29-1781) nannte ihn ein "merkwürdiges Gedicht", brachte seine geplante Ausgabe aber nicht zum Abschluss.

Editionen und Forschungsstand

Der Druck durch den Historischen Verein Bamberg von 1833/34 war die erste moderne Wiedergabe des Textes. Die Ausgabe von >> (1855-1941) aus dem Jahr 1911 bedürfte eine gründlichen Revision. Hierfür ist die Forschung weit vorangetrieben. Ergänzend zur vorliegenden Darstellung der Überlieferung wären freilich auch Untersuchungen zu thematischen Kernpunkten und zur poetischen Technik notwendig.

Bayerische Staatsbibliothek