Ottheinrich-Bibel
Beschreibung
Um 1430 entstandene, aber erst hundert Jahre später vollendete Handschrift des Neuen Testaments in mittelbairischer Schreibsprache. Früheste erhaltene illustrierte Handschrift eines Neuen Testaments in deutscher Sprache. Auftraggeber war Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt (reg. 1413-1447). Den größeren Teil der Buchmalerei ließ der spätere Besitzer der Bibel, Pfalzgraf Ottheinrich (reg. in Pfalz-Neuburg 1522-1557, Kurfürst von der Pfalz 1556-1559), bei dem Lauinger Maler Mathis Gerung (ca. 1500-1570) anfertigen. Dem Pfalzgrafen verdankt die Bibel ihren Namen. Nach mehreren Besitzwechseln, auch durch Verschleppung als Kriegsbeute, erwarb die Bayerische Staatsbibliothek die Handschrift und führte damit den im 19. Jahrhundert zerteilten Codex wieder zusammen (1950 und 2007/08).
Name und Entstehung der Handschrift
Die aus 307 großformatigen Pergamentblättern bestehende deutsche Übersetzung des Neuen Testaments wird seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts "Ottheinrich-Bibel" genannt, nachdem sie früher als "Gothaer Bibel" bekannt war (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 8010). Pfalzgraf >> (reg. 1522-1559) ließ die unvollendet gebliebene Handschrift fertig ausmalen, was mit seinem Wappen und einer entsprechenden Inschrift auf einem freigebliebenen Blatt an ihrem Ende festgehalten wurde.
Entstanden war sie allerdings schon etwa hundert Jahre früher. Herzog >> , der Bärtige, von Bayern-Ingolstadt (reg. 1413-1447) gab sie um oder kurz nach 1430 in Auftrag. Sein Wappen und das seiner ersten Gemahlin >> (ca. 1380-1408) haben sich im Einband der Handschrift erhalten. Ein Schreiber schrieb den Codex vollständig in sorgfältiger Textura. Die Aussparungen für die Bilder wurden mit Maleranweisungen in lateinischer Sprache versehen. Den Buchschmuck fertigten drei Meister oder Werkstätten. Er wurde jedoch nur auf etwa einem Fünftel der Blätter vollendet. Die übrigen Miniaturen und Initialen ergänzte in den Jahren 1530 bis 1532 der Künstler >> (ca. 1500-1570) im Auftrag von Ottheinrich von Pfalz-Neuburg, der die Handschrift über die Landshuter Linie der Wittelsbacher geerbt hatte.
Weitere Geschichte der Handschrift
Ottheinrich brachte die Bibel später nach Heidelberg. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges wurde sie zweimal als Kriegsbeute verschleppt, 1622 nach und 1632 nach Weimar, von wo sie bald darauf in die Bibliothek der Herzöge von Sachsen-Gotha gelangte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vermutlich in den 1860er Jahren, wurde sie dort in acht Teilbände zerlegt. Drei Bände (eins, zwei und sieben) wurden 1945 nach Coburg gebracht. Diese erwarb die Bayerische Staatsbibliothek im Jahr 1950. Die übrigen fünf Bände waren 1936 im Tausch gegen zwei Gemälde von >> (1472-1553) an das Kurpfälzische Museum in Heidelberg entliehen worden. Sie wurden 2003 an die Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha'sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft zurückgegeben, von der sie die Bayerische Staatsbibliothek 2007 erwerben konnte. Der im 19. Jahrhundert umgearbeitete Einband der Handschrift, der in Gotha verblieben war, wurde der Bayerischen Staatsbibliothek von der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha 2008 als Leihgabe überlassen.
Der frühneuhochdeutsche Bibeltext
Der in mittelbairischer Schreibsprache abgefasste Text des Neuen Testaments geht auf eine erstmals im Jahr 1350 in der "Augsburger Bibel" niedergeschriebene deutsche Übersetzung der Vulgata zurück. Diese im nordbairischen Raum entstandene Übersetzung ist die älteste erhaltene Verdeutschung des gesamten Neuen Testaments. Im 15. Jahrhundert teilte sich die Bearbeitung des Textes in zwei Übersetzungszweige auf, in die fast ausschließlich in Handschriften überlieferte "Gruppe s" (Sigle nach Donalies) und die Ottheinrich-Bibel. Letztere repräsentiert einen eigenen, nicht weiter verbreiteten Zweig der Überlieferung. Ihr Redaktor hatte das Ziel vor Augen, einen deutschen Bibeltext zu bieten, der aus sich selbst heraus, ohne die lateinische Vorlage, verständlich ist.
Der Buchschmuck
Die Ottheinrich-Bibel gilt als früheste erhaltene illustrierte Handschrift eines Neuen Testaments in deutscher Sprache. In Größe und Anlage ist sie allein der vier Jahrzehnte zuvor entstandenen "Wenzelsbibel" vergleichbar, die das Alte Testament enthält. Die insgesamt 146 Bilder illustrieren in der Regel die Perikopen, das heißt die im Kirchenjahr gelesenen einzelnen Passagen aus den Evangelien, den paulinischen und katholischen Briefen sowie der Apostelgeschichte. Die spätmittelalterliche Ausstattung im ersten Teil der Handschrift konnte drei verschiedenen Regensburger Meistern oder Werkstätten zugewiesen werden, die nach ihrem Anteil an den Initialen und Miniaturen als Hieronymusmaler, Matthäusmaler und Markusmaler bezeichnet werden. Während der Hieronymusmaler vorwiegend von der böhmischen Buchmalerei beeinflusst ist, verarbeiten die beiden anderen Maler auch Wiener und italienische Vorbilder. Der Matthäusmaler orientiert sich dabei eher an >> (1267-1337), der Markusmaler an >> (ca. 1280-1348), >> (ca. 1330-ca. 1390) und anderen. Beide haben ihre Ausbildung in der Werkstatt des Meisters der Worcester-Kreuztragung (erste Hälfte des 15. Jahrhunderts) erhalten, der nach einem um 1425 entstandenen Tafelbild im Art Institute in Chicago (Worcester Collection) benannt ist. Insgesamt gehören der ersten Ausstattungsphase 29 Miniaturen und 43 Deckfarbeninitialen an.
Die übrigen Miniaturen und Initialen schuf etwa hundert Jahre später Mathis Gerung. Er griff bei seiner Arbeit auf Vorlagen vor allem von >> (1471-1528), Lucas Cranach d. Ä. und >> (1473-1531) zurück. Die Abschriften zweier Verträge vom 23. Dezember 1530 und vom 24. September 1531 geben Aufschluss über die näheren Umstände. Für die 99 Miniaturen und 235 Initialen bis zur Apokalypse erhielt Gerung insgesamt 70 Gulden und eine Hofwinterkleidung, für die Ausmalung der Apokalypse noch einmal 20 Gulden und eine Hofsommerkleidung. Die Illustrationen zur Ottheinrich-Bibel waren Mathis Gerungs erstes Auftragswerk für Ottheinrich, dem in den nächsten zwei Jahrzehnten noch weitere folgten.
Forschungsgeschichte
Die wissenschaftliche Erforschung der Handschrift begann 1836 mit einer ersten ausführlichen Beschreibung von >> (1764-1847) und >> (1780-1851) ("Beiträge zur älteren Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha II"). Im Jahr 1886 wurde Mathis Gerung als Maler der späteren Miniaturen identifiziert, während die Lokalisierung der älteren Malereien nach Regensburg erst 1987 im Rahmen der Ausstellung "Regensburger Buchmalerei" gelang. Die eindeutige Identifikation des Auftraggebers erfolgte schließlich im Jahr 2002 im Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe der ersten zwei Bände der Ottheinrich-Bibel.