Kurfürsten

Beschreibung

Im 13. Jahrhundert entstandene Gruppe von Fürsten, die bis 1806 alleinig zur Wahl des deutschen Königs berechtigt war. In der ursprünglichen Ausformung handelte es sich um sieben Kurfürsten, davon drei geistliche (Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln) und vier weltliche (Böhmen, Pfalz, Sachsen, Brandenburg). Die Forschung diskutiert verschiedene Theorien, warum ausgerechnet diese Gruppe das Recht der Königswahl erhielt (Bestimmung durch den Papst, Inhaber der Erzämter, Festlegung im Sachsenspiegel, Erbrecht, Reichsgesetz). Die später als "Reichsgrundgesetz" bezeichnete Goldene Bulle von 1356 schrieb Zahl und Rechte der Kurfürsten fest. Erst 1648, 1692/1708 und 1803 entstanden weitere Kurwürden. Die Goldene Bulle sicherte die Kurwürde der Wittelsbacher der pfälzischen Linie des Hauses. Dort verblieb sie bis 1623 und ging dann an die bayerischen Wittelsbacher über. 1648 wurde eine neue Kurwürde für die pfälzischen Wittelsbacher geschaffen, die jedoch 1777 mit der bayerischen vereinigt wurde.

Definition

Die sieben Kurfürsten des Reiches ("principes electores imperii") waren drei geistliche Fürsten (die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln) und vier weltliche (der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg). Sie hatten das ausschließliche Recht, den römisch-deutschen König und späteren Kaiser zu wählen.

Die Kurfürsten gab es in den ersten Jahrhunderten des ostfränkischen, dann deutschen Reiches noch nicht. Damals wurden die Könige von einem größeren Kreis, vor allem von Fürsten und Großen erhoben. Es ist aber für lange Zeit nicht im Einzelnen überliefert, wer jeweils zu diesem Kreis gehörte, noch wie dieser sich definierte. Erst anlässlich der staufisch-welfischen Doppelwahl 1198/99 werden 62 Königswähler urkundlich bezeugt (vgl. dazu unten "Erbrechtliche Theorie").

Erstmaliges Auftreten 1298

Zum ersten Mal vereinigten sich oben genannte sieben Kurfürsten am 24. Juli 1298 in Mainz "für eine heilsame Reform der Verfassung des heiligen Reiches" ("pro salubri sacri status imperii reformatione"). Nach der Absetzung König >> (reg. im Reich 1292-1298) und dessen Schlachtentod (2. Juli 1298) einigten sich dessen frühere Anhänger und Gegner am 24. Juli 1298 darauf, drei Tage später in Frankfurt >> (reg. im Reich 1298-1308) zum König zu wählen. Sie stellten über dessen Wahl am 28. Juli 1298 in Frankfurt die erste Urkunde aus, die alle Kurfürsten mit ihren sieben Siegeln beglaubigten (Q 75; Q bezieht sich auf den Quellenanhang in: Wolf, Die Entstehung des Kurfürstenkollegs). Mit >> , Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern (reg. 1294-1317), gehörte auch ein Wittelsbacher zu diesem Kurverein. Der König von Böhmen ließ sich dabei noch vertreten. Erstmals vollzählig in Person trafen alle sieben Kurfürsten auf dem ersten Hoftag des neu gewählten Königs im November 1298 in zusammen. Dies hatte es "seit Menschengedenken noch niemals gegeben" (Johann von Victring; Q 81).

Ebenfalls 1298 nannte >> (reg. im Reich 1314-1347, Kaiser 1328) die Königswähler erstmals urkundlich ein "collegium" (Q 73). Im gleichen Jahr wurden die Königswähler auch erstmals - und zwar an drei verschiedenen Stellen - mit dem deutschen Titel "kurfursten" bezeichnet (Q 76, 77, 79). Bald darauf entstand in Zürich das erste Repräsentationsbild des Königs mit den sieben Kurfürsten (wahrscheinlich 1299 anlässlich des Besuchs König Albrechts).

Entstehung des Kurfürstenkollegs

Der Ursprung des Königswahlrechts und die Entstehung des Kurfürstenkollegs sind außerordentlich umstritten. Sie sind in einem langen Zeitraum zu verfolgen: von 1198 bis 1298, im weiteren Sinn sogar von 1002 (kinderloser Tod Kaiser >> [reg. als römisch-deutscher König 983-1002, Kaiser ab 996]) bis 1356 (Goldene Bulle Kaiser >> [reg. als römisch-deutscher König 1346-1378, Kaiser ab 1355]). Verschiedene Theorien wurden vorgeschlagen:

a) Kuriale Theorie

Papst >> (reg. 1294-1303) erklärte 1300 gegenüber den Kurfürsten unter Berufung auf die Bulle "Venerabilem" von 1202 (Q 15, 31), dass das Königswahlrecht vom apostolischen Stuhl bestimmten Fürsten gewährt worden sei. König Albrecht, der sich vom Makel des Königsmordes (an Adolf von Nassau) befreien wollte, erkannte dies 1303 auch ausdrücklich an. Die Kurfürsten haben diesen Anspruch jedoch nicht bestätigt. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis, wie sie es im Kurverein von Rhens 1338 bekannten, besaßen sie ihre Rechte nicht von der Kirche, sondern "vom Reich".

b) Erzämtertheorie

Die Erzämtertheorie ist erstmals in der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Handschrift der Stader Annalen nachweisbar: "Der Pfalzgraf wählt, weil (quia) er Truchseß ist, der Herzog von Sachsen, weil er Marschall ist, der Markgraf von Brandenburg, weil er Kämmerer ist. Der König von Böhmen, der Schenke des Reiches, wählt nicht, weil er kein Deutscher ist." (Q 80) Die Stelle ist unstreitig vom Sachsenspiegel (Landrecht III 57,2) abhängig (Q 58), in der aber die kausale Verknüpfung (quia/weil) noch fehlt. Trotzdem hat die Forschung (gegen Mitteis) lange Zeit aus der Sachsenspiegelstelle geschlossen, dass den vier Laienfürsten seit dem 13. Jahrhundert deshalb das Kurrecht zustand, "weil diese sich im Besitz bestimmter Hofämter, die später Erzämter genannt wurden, befunden hätten" (Krieger, König, 67f.).

Nach >> (geb. 1937) ist die Erzämtertheorie bei der staufisch-welfischen Doppelwahl (1198) vom Erzbischof >> (reg. 1193-1205, 1210-1216) und seinem Anhang aufgestellt worden, um die schwache Rechtsposition der welfischen Partei zu stützen. Warum soll diese aber gerade Trier, Böhmen, Sachsen und Brandenburg ein Erstkurrecht zugesprochen haben, die doch auf der staufischen Seite standen? Die Erzämtertheorie verschiebt das Problem der Entstehung des Kurkollegs nur und löst es nicht. Selbst wenn die Kurrechte wirklich auf die Erzämter zurückgehen sollten, so entstünde logisch die zweite Frage, warum denn bestimmte Fürsten die Erzämter innehatten, andere aber nicht.

Nach >> (geb. 1952) ist Boshofs Annahme, für die es keine zeitgenössischen Belege gibt, zwar eine "ansprechende Vermutung", aber "nicht beweisbar". Erkens geht von der Prämisse aus, dass "das Kurfürstenkolleg im 13. Jahrhundert nicht durch einen besonderen Rechtsakt entstanden ist, sondern durch eine allmähliche Entwicklung, auf die verschiedene Einflüsse einwirkten". Einen der wichtigsten Faktoren bildete der Sachsenspiegel.

>> (geb. 1935) sieht die "Entstehung des Kurfürstenkollegs als Folge einer Rechtskonstruktion Eikes von Repgow", des Verfassers des Sachsenspiegels (1220/35).

c) Sachsenspiegel

"Die Dûdischen (Deutschen) sullen durch recht den kuning kiesen (wählen)." In Ergänzung zu diesem "1. Königswahlparagraph" im Sachsenspiegel (Landrecht III 52, 1 = Q 30) werden im "2. Königswahlparagraph" (III 57,2 = Q 58) sechs der sieben späteren Kurfürsten als "Erste an der Kur" bezeichnet. Die drei Weltlichen haben die Kur und ein Amt, die drei Geistlichen zwar die Kur, aber kein Amt, der Böhme zwar ein Amt, aber keine Kur (Q 58). Der Sachsenspiegel vertritt also keine Entsprechung von Kur und Amt. "Für Eike gab das Erzamt keinesfalls den Rechtsgrund für das Erstkurrecht ab" (Mitteis, Königswahl). Es fehlt im Sachsenspiegel noch die Ausschließlichkeit des Kurrechts; denn nach den Ersten an der Kur "kiesen" alle Reichsfürsten. Die Zahl Sieben und das Wort Kurfürsten kommen nicht vor.

Die Datierung und Interpretation des 2. Königswahlparagraphen ist für die Entstehung des Kurfürstenkollegs zentral. Bisher wurde nahezu immer vorausgesetzt, dass auch diese Stelle bereits von >> (erw. 1209-1233) stamme. Eine Königswahl durch genau die dort genannten zweimal drei "Ersten an der Kur" und unter ausdrücklichem Ausschluss des Böhmen, der 1198/99, 1212, 1237 und 1257 völlig unangefochten einer der Wähler gewesen war, ist jedoch erst bei der Wahl >> (reg. 1273-1291) 1273 nachweisbar. Daher ist - im Unterschied zum zweifellos echten 1. Königswahlparagraphen - der 2. Königswahlparagraph zur Zeit Eikes anachronistisch und wurde offenbar erst anlässlich dieser Wahl interpoliert (Castorph, Wolf). Außerhalb des Sachsenspiegels ist die Stelle erstmals 1274/75 im Deutschenspiegel belegt. Der hypothetische Vorwählerkreis von 1198 oder 1220/35 erscheint dagegen als eine Rückprojektion der späteren Kurfürsten.

d) Erbrechtliche Theorie

Die "erbrechtliche Theorie" wurde erst in den letzten Jahren von >> (geb. 1935) entwickelt. Sie gründet auf den Verwandtschaftsverhältnissen der Könige und ihrer Wähler als einer bisher unbeachteten zeitgenössischen "neuen Quelle". Sie geht davon aus, dass 1198/99 bei der Doppelwahl 62 Fürsten, nämlich 39 geistliche (die meisten Bischöfe) und 23 weltliche urkundlich überliefert sind (Q 7-11). Während deren Wahlrecht bisher nicht weiter begründet wurde, beruht die erbrechtliche Theorie darauf, dass die weltlichen Königswähler von 1198/99 gerade diejenigen Dynastien repräsentierten, die im erbrechtlich legitimierenden sechsten (oder sogar noch näheren) Grad (Sachsenspiegel Landrecht I 3,3) von mindestens einem der früheren Könige, letztlich von >> (reg. 919-936) abstammten. Die älteren Königsdynastien (Ottonen, Salier, Rheinfelden, Supplinburg) waren allesamt im Mannesstamm ausgestorben, lebten aber in weiblichen Linien fort (darunter im heutigen Bayern in den Wittelsbachern, den Andechs-Meraniern und den Ronsbergern). Auch die Staufer waren nur einer dieser "königlichen Tochterstämme". Diese Königswähler-Dynastien repräsentierten quasi die "Erbengemeinschaft Reich". Auf deren Identität mit den 1198/99 als Königswähler bezeugten Fürsten beruht die erbrechtliche Theorie: "Wahlberechtigt waren die Erbberechtigten."

Die ursprünglich große Zahl der Königswähler ("principes imperii, ad quos de iure spectat electio") reduzierte sich im Laufe des 13. Jahrhunderts auf die kleine Zahl der sieben Kurfürsten. Bei den Geistlichen nahmen die große Zahl der Bischöfe, dann auch die Erzbischöfe der jüngeren Metropolitansitze an den Wahlen nicht mehr teil, so dass schließlich 1273 (1266 galt Bremen noch als wahlberechtigt, Q 50) nur noch die drei ältesten (Mainz, Trier und Köln) übrig blieben. Indem Einladung und Leitung der Wahl, Krönung und Inthronisation des Königs in ihren Händen lag, waren sie vor den übrigen Bischöfen hervorgehoben. Von den weltlichen starben die meisten Wählerdynastien vor 1273 aus. An den Gegenkönigswahlen 1246, 1247 und 1252 nach der Absetzung >> (reg. 1211-1250) durch den Papst (1245) nahmen nur noch Staufergegner teil.

Einigkeit besteht auch darüber, dass sich an der Doppelwahl 1257 erstmals nur die späteren sieben Kurfürsten beteiligten. Während man bisher daraus schloss, dass das Kurfürstenkolleg schon zuvor entstanden sein müsse, bildeten die Wähler der Könige >> (gest. 1272) und >> (gest. 1284) nach der erbrechtlichen Theorie lediglich zwei verfeindete Parteien von Staufergegnern, die sich an zwei unterschiedlichen Orten versammelt hatten und noch gar nicht als Kurfürstenkolleg konstituiert waren. Sie wählten getrennt je einen eigenen König. Nach bayerischen Zeugnissen (Salzburger Annalen, Hermann von Niederaltaich) nahm außer dem Pfalzgrafen >> (reg. 1253-1294) auch dessen Bruder >> (reg. 1253-1290) als zweiter Wittelsbacher teil. Dies spricht ebenfalls dafür, dass der Kreis der Königswähler damals noch nicht abgeschlossen war.

Da die Namen der Wähler von 1257 (nicht aber der Herzog von Niederbayern) im Prozess der beiden gegeneinander gewählten Könige vor der päpstlichen Kurie aktenkundig wurden (Q 49), wirkte diese Auswahl präjudizierend. Sie gelangte vor 1265 in den Kommentar des >> (gest. 1271) zu den päpstlichen Dekretalen (Q 51) und in die 1268/71 am päpstlichen Hof entstandene Papst-Kaiser-Chronik des Böhmen >> (gest. 1278), der den sieben Wählern auch erstmals sieben Ämter zuteilte (Q 52). Vermutlich waren es diese sieben, die der Papst nach dem Tode König >> 1272 zur Neuwahl aufrief (eine Urkunde darüber ist aber nicht erhalten). Sechs davon wählten 1273 Rudolf von Habsburg zum König, wogegen der Stauferenkel >> (reg. 1253-1278), der ebenfalls kandidiert hatte, jedoch protestierte. Auf dem Hoftag 1275 wurde der Böhmenkönig geächtet, die siebente Stimme beider wittelsbachischen Brüder gemeinsam als eine für das Herzogtum Bayern gezählt und damit erstmals in Deutschland die Sieben als Zahl der Wähler genannt (Q 60). Damals bezeugte auch der Pfalzgraf und Herzog von (Ober)Bayern Ludwig, dass sein Bruder Heinrich (von Niederbayern) bereits 1257 mit ihm zusammen an der Königswahl teilgenommen hatte. Entsprechend schreibt der Schwabenspiegel 1275/76 den rheinischen Erzbischöfen die drei ersten geistlichen und dem Pfalzgrafen, dem Sachsen, dem Brandenburger und dem Bayern (dabei also zwei Wittelsbachern) die vier ersten weltlichen Stimmen zu (Q 61). Eine 1295 oder einige Jahre später zu datierende Handschrift fügte die Ausschließlichkeit hinzu: "und ander niemen sol den chaiser welen".

Wie stark die Wähler Rudolfs von dynastischem Bewusstsein und vom Denken in Erbansprüchen geprägt waren, verrät die Forderung, die beide Wählerfamilien – die Wittelsbacher ebenso wie die Askanier – als eine Wahlbedingung stellten. Sie verlangten Töchter des neuen Königs zur Ehe. Zwei Hochzeiten (mit dem wittelsbachischen Pfalzgrafen Ludwig II. und dem askanischen Herzog Albrecht von Sachsen) wurden 1273 am Abend des Krönungstages Rudolfs in Aachen gefeiert (Q 57). Juristisch erscheinen Königskandidatur und Eheforderung, Königswahl und Eheversprechen, Königskrönung und Ehevollzug der Königswähler mit den Königstöchtern wie ein Zug-um-Zug-Geschäft. Zwei weitere Hochzeiten wurden mit dem wittelsbachischen Herzog Otto III. von Niederbayern und dem askanischen Markgrafen >> (reg. 1280-1286, gest. 1303) 1279 gefeiert. Wittelsbacher und Askanier wurden auf diese Weise zu Tochterstämmen auch des neuen Königs, der das Reich nach dem Interregnum wieder neu begründet hatte. Nachdem die bayerische Ehe kinderlos geendet hatte und König Rudolf sich mit dem Sohn des Böhmenkönigs versöhnt hatte, erhielt dieser ebenfalls eine Tochter Rudolfs zu Frau und 1289/90 auch wieder das (ausdrücklich erbliche) Wahlrecht (Q 65). Dabei wurde festgelegt, dass das Schenkenamt dem Böhmen und "keinem anderen" (also nicht dem Bayern) zustehen sollte. Trotzdem verlangte 1298 der junge Herzog Ludwig der Bayer bei der ersten Wahl König Albrechts, wegen der Ordnung der Abstammung (ordine geniture) dem collegium der Königswähler anzugehören, allerdings vergeblich (Q 73).

Es waren daher die deutschen Schwiegersöhne und Enkel König Rudolfs, die sich 1298 bei der Wahl Albrechts von Österreich erstmals in der dann traditionellen Zusammensetzung der Kurfürsten vereinigten (Q 75). Sie bildeten zusammen mit dem von ihnen gewählten König eine Erbengemeinschaft Rudolfs von Habsburg. Die erbrechtliche Theorie kann insofern sowohl die große Zahl der Königswähler von 1198/99 als auch die kleine Zahl der Kurfürsten von 1298 (endgültig 1356) erklären. Für die erbrechtliche Theorie spricht u. a., dass die "Annahme einer späteren Ergänzung des Sachsenspiegeltextes (…) leichter zu verstehen ist als eine Erklärung für die Betreuung gerade dieser Fürsten mit den Erzämtern zu finden" (Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte 2005, 95).

Die Kurfürsten in der Goldenen Bulle

Das Kurfürstenkolleg von 1298 war noch nicht reichsrechtlich abgesichert und daher weiterhin gefährdet. Bei der Doppelwahl von >> (gest. 1330) und Ludwig dem Bayern standen 1314 eine habsburgisch-pfälzische und eine luxemburgisch-bayerische Partei einander gegenüber. Es bestand auch noch keine Einigkeit darüber, dass die Kurwürde nur der Primogenitur-Linie einer Königswählerdynastie gebührte. So sah der wittelsbachische Hausvertrag von Pavia 1329 vor, dass die Kurwürde zwischen der pfälzischen und der bayerischen Linie alternieren sollte.

Die Primogenitur wurde erst in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. 1356 vorgeschrieben, die in den Artikeln VII "Von der Erbfolge der Kurfürsten" und XXV die Erblichkeit des Königswahlrechts der weltlichen Kurfürsten kodifizierte. Danach folgten Recht, Stimme und Macht zu solcher Wahl ("ius, vox et potestas electionis huiusmodi") aus Geburt und Erbfolge. Es ist das älteste deutsche Erbgesetz überhaupt, entsprach aber einer lange geübten Gewohnheit. Die in der Goldenen Bulle anerkannten weltlichen Kurfürsten konnten bereits auf vier oder fünf Generationen ihrer Vorfahren als Königswähler seit 1198 zurückblicken. Die Goldene Bulle nennt die Kurfürsten eine Vereinigung ("unio") und eine Erbengemeinschaft ("consortium"). "Das Reich war ein Wahl-Königreich und ein Erb-Wählerreich". (Wolf, Entstehung, 99)

Spätere Veränderungen im Kurfürstenkolleg

Nach dem Aussterben der askanischen Markgrafen von Brandenburg verlieh König Ludwig der Bayer die Kur 1324 seinem Sohn >> (gest. 1361). Von dessen kinderlosem Bruder und Nachfolger >> (reg. 1351-1373, gest. 1379) erwarb Kaiser Karl IV. die brandenburgische Kur und verlieh sie nacheinander seinen Söhnen >> (reg. 1376-1400) 1373 und >> (reg. als römisch-deutscher König 1410-1437) 1378. Auch hier wurden die Kurrechte den nächsten Verwandten der Kaiser gegeben.

Trotz der Erbregeln der Goldenen Bulle gab es 1410/11 bei den Wahlen Sigmunds von Luxemburg und >> (1410-1411 gewählter röm.-dt. König) Streit über die Führung der brandenburgischen Stimme, weil es offen war, ob eine Kur durch Verpfändung des dazugehörigen Territoriums übertragen werden konnte. Es gab daher noch einmal ein Doppelkönigtum, das erst durch den Tod Josts 1411 beendet wurde. Außerhalb der näheren Verwandtschaft verkaufte der söhnelose König Sigmund die von ihm selbst innegehabte, mit der Markgrafschaft Brandenburg verbundene Kur 1415 dem hohenzollernschenBurggrafen >> (reg. 1397-1429). Als die askanischen Herzöge von Sachsen ausstarben, verlieh König Sigmund deren Kur 1423 dem Wettiner >> (reg. als Markgraf von Meißen 1407-1423). Sowohl die Hohenzollern als auch die Wettiner blieben Kurfürsten bis zum Ende des alten Reiches.

Der Kaiser entzog jedoch dem im Schmalkaldischen Krieg 1547 gegen ihn unterlegenen Herzog >> (reg. als Herzog von Sachsen 1532-1554) die Kurwürde und übertrug sie an dessen Vetter >> (reg. als Kurfürst von Sachsen 1547-1554). Der ebenfalls gegen den Kaiser aufständische Pfalzgraf >> (reg. 1610-1623) verlor nach der Niederlage am Weißen Berg bei Prag und seiner Ächtung die Kurwürde 1623 an seinen bayerischen Vetter >> (reg. 1597-1651). In beiden Fällen verblieben die Kuren in den Häusern Wettin und Wittelsbach. Auch jetzt noch galten sie offenbar als ererbtes Vorrecht einer Dynastie. Im Westfälischen Frieden (Osnabrück Artikel IV § 5) erhielten die Wittelsbacher 1648 zusätzlich zur bayerischen eine achte Kur für die Pfalzgrafen.

Die Welfen, die schon 1198/99 das Königswahlrecht ausgeübt, nach eigenem Selbstverständnis aber 1235 mit dem Verzicht auf das Herzogtum Sachsen verloren hatten, erhielten nach dem Erwerb des Herzogtums Sachsen-Lauenburg 1692/1708 eine neunte Kur für das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Gleichzeitig lebte die böhmische Kur, die zeitweise nur beschränkt ausgeübt worden war, in den Händen des habsburgischen Kaiserhauses wieder auf.

Im Spanischen Erbfolgekrieg verlor >> (reg. 1679-1726), der sich gegen den Kaiser gestellt hatte, 1705 die Kur, erhielt sie aber beim Friedensschluss 1714 zurück. Da die Wittelsbacher zeitweise auch den Erzstuhl von Köln besaßen, verfügten sie seit 1583 über zwei und von 1648 bis 1761 sogar über drei Kurstimmen (Bayern, Pfalz, Köln), von 1716 bis 1729 mit Trier und von 1729 bis 1732 mit Mainz sogar vier Kurstimmen. Zu einer gemeinsamen Politik fanden die lange Zeit verfeindeten Linien der Wittelsbacher erst mit der Wittelsbachischen Hausunion von 1724. Dies begünstigte nach dem Aussterben des habsburgischen Mannesstammes 1740 die Wahl >> (reg. 1726-1745) von Bayern 1742 zum Kaiser. Als Pfalzgraf >> (reg. 1742-1799) das Herzogtum Bayern 1777 erbte, wurden in Erfüllung einer Bestimmung des Westfälischen Friedens (Osnabrück Artikel IV § 9) beide wittelsbachischen Kurwürden wieder zu einer einzigen vereinigt, wodurch sich die Zahl der Kurfürsten auf acht verringerte.

Ende der Kurfürsten

Zum letzten Mal wählten die Kurfürsten 1792 einen Kaiser. Nachdem das Reich seine linksrheinischen Reichsgebiete an Frankreich verloren hatte, erloschen aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 Kurköln und Kurtrier, während die Mainzer Kurwürde auf übertragen wurde. Das Haus Habsburg bekam eine zweite Kur für Salzburg (ab 1805 Würzburg). Baden (Zähringer), Württemberg und Hessen-Kassel (Haus Brabant) erhielten die Kurwürde neu. So gab es beim Untergang des Alten Reiches 1806 zehn Kurfürsten.

1806 machte >> (1769-1821, Kaiser von Frankreich 1804-1814) den früheren Erzbischof von Mainz, >> (1744-1817) zum Fürstprimas des Rheinischen Bundes, dessen Mitglieder (und bisherige Kurfürsten) Bayern, Sachsen und Württemberg zu Königreichen, Baden und Würzburg zu Großherzogtümern. Böhmen war seit alters bereits Königreich (1198), Brandenburg kam jetzt zum Königreich Preußen das bis dahin nur aus den außerhalb des Reiches gelegenen Provinzen Ost- und Westpreußen bestand. Von den enteigneten Kurfürsten führte Braunschweig (Hannover) den Titel noch bis 1814. Es wurde nach der Niederlage Napoleons restituiert und – mit der Begründung, dass Kurfürsten königlichen Rang besaßen – ebenfalls Königreich. Hessen-Kassel erhielt sein Territorium 1813 zurück und nannte sich bis zur Annektion durch Preußen 1866 Kurfürstentum.

Bayerische Staatsbibliothek